Alles unter Kontolle – Kontrolle im Alltag

Vertrauen? Hab ich. Oder nicht? Was genau ist das noch mal? Hab ich alles unter Kontrolle? Ich spüre das Gefühl nicht unbedingt permanent.

Testfall Alltag - Kontrolle?

Vertrauen? Hab ich. Oder nicht? Was genau ist das noch mal? Ich spüre das Gefühl nicht unbedingt permanent. Eigentlich vor allem dann, wenn es mal nicht da ist. Liegt das daran, dass ich im Alltag alles unter Kontrolle habe? Oder bin ich es einfach gewohnt, ständig zu vertrauen?

Nur wenige Stunden, aber jede Menge Vertrauen. Wie oft zählst Du Vertrauen in diesem Artikel? Ist Dir schon einmal aufgefallen, wie sehr unser Alltag von Vertrauen geprägt ist? Ob in uns selbst, in die Menschen um uns herum, oder einfach in das Leben. Ohne Vertrauen geht es nicht. Meist vertrauen wir ganz unbewusst. Oft ist ein Vertrauensvorschuss notwendig. Vertrauen beginnt da, wo unsere eigene Kontrolle aufhört. Genau genommen haben wir viel weniger unter Kontrolle als uns bewusst ist. Wir leben vom Vertrauen.

23:05 Uhr

Draußen ist es längst dunkel. Ich liege im Bett und denke nach. Innerhalb der nächsten halben Stunde werde ich einschlafen, einfach so für einige Stunden mein Bewusstsein abgeben. Was in der Zeit alles passieren könnte? Keine Ahnung. Ich vertraue darauf, dass ich morgen wieder aufstehe und alles gut ist.

Plötzlich fällt mir mein Wecker ein. Den muss ich unbedingt stellen. Morgen habe ich den ersten Arbeitstag in meinem neuen Job. Hoffentlich klingelt der Wecker auch. Zur Sicherheit stelle ich mir lieber mal einen zweiten. Man weiß ja nie.

06:00 Uhr

Auf den Wecker ist Verlass. Ich wache auf. Pünktlich, gesund und munter. „Jeder neue Tag, an dem man gesund aufwacht, ist ein Wunder“, hat Oma immer gesagt. Stimmt eigentlich. Darauf vertraue ich fast selbstverständlich.

06:37 Uhr

Während des Frühstücks scrolle ich durch die News. Zahlen, Fakten, Daten. Und lauter gegensätzliche Meinungen. Was ist wahr? Was vernünftig? Wem kann ich vertrauen?

Ich beiße in mein Brot. Hmm, Wahnsinn, nichts von dem, was ich esse, habe ich selbst gemacht, gepflanzt, gebacken oder produziert. Ich vertraue darauf, dass es nach bestem Wissen und Gewissen hergestellt wurde. Wie leicht kann man sich da täuschen.

07:20 Uhr

Ein Blick auf die Uhr. Höchste Zeit. Ich schwinge mich auf mein Fahrrad und radle los. Als der Bus hinter mir herfährt, spüre ich auf einmal wie verletzlich ich bin, so ganz ohne Blechgehäuse. Wie vielen Autofahrern muss ich auf meinem Weg wohl vertrauen? Und sie mir? Was passiert, wenn einer von uns, einer von ihnen oder ich nicht aufpasse? An jeder Kreuzung vertraue ich darauf, dass sich alle an die Verkehrsregeln halten. Wenn jetzt einer in den am Straßenrand parkenden Autos die Türe aufreißt, ohne zu schauen? Puh, nur nicht so viel nachdenken.

07:56 Uhr

Treffpunkt mit Anna im Foyer im dritten Stock. Sie soll mir eine Einführung geben. Auf den Stufen hinauf versuche ich, ruhig zu bleiben. Ich schaffe das schon, ich bin doch qualifiziert. Etwas außer Atem komme ich oben an. Meine Nervosität muss ich noch fünf Minuten überbrücken. Ich bin zeitig losgefahren, ich habe dem Morgenverkehr nicht getraut. Nach acht Minuten ist sie immer noch nicht da. Ach, jeder kommt mal zu spät! Ich schaue an mir herunter, ich fühle mich wohl in meinem Outfit. Es strahlt Professionalität und Selbstvertrauen aus.

Ich warte weitere sieben Minuten. Hoffentlich hat sie mich nicht vergessen? Oder stehe ich am falschen Ort? Na das fängt ja gut. Kann ich mir selbst heute vertrauen? Werde ich den Tag meistern? Doch da steht sie schon in der gläsernen Foyertüre. „Hi! Ich bin Anna“, sagt sie, lächelt und schüttelt mir die Hand. Also ab in das neue Abenteuer.

Philipp Burger im Grandios Interview

Philipp Burgers Skinhead-Zeiten sind lange vorbei und bereut. Dennoch kämpft der Musiker noch immer gegen sein rechtsradikales Image. Ein Gespräch über Irrwege und Umkehr, Schubladen und Händereichen und warum es niemanden zurückholt, wenn man ihn rausschmeißt.

Nazi - Das Label klebt

So hartnäckig, dass selbst die Realität es nur schwer von Philipp Burgers Image abkratzen kann. „Die sind doch rechts“, heißt es auch über Frei.Wild, seine Band, eine der umstrittensten im Deutschrock-Genre. Die Vergangenheit kann abfärben, auch wenn sie nichts zurückgelassen hat als Narben und Erfahrungen, aus denen man etwas lernen könnte. Zuallererst vielleicht, dass die Sache mit den beschrifteten Schubladen keine gute Idee ist. Und dass es Liebe ist, die zurückholt.

Philipp Burger kommt gerade mit dem Traktor zurück auf den Hof, die Zigarette im Mundwinkel, nicht gerade Schritttempo. Er begrüßt seine Gäste mit einem kräftig-herzlichen Händedruck. Den Tölzlhof, auf dem der 42-Jährige mit seiner Frau und den beiden Töchtern, seinen „größten Geschenken“, lebt, hat er selbst gebaut. Einiges davon tatsächlich im wahrsten Sinne des Wortes. Die gezimmerte Scheune, die vielen Holzelemente an den Wohngebäuden, die Vertäfelung und Balken im Wohnzimmer: alles erinnert an Burgers große Leidenschaft für das Zimmermannhandwerk. „In meiner DNA bin ich sicher Handwerker. Der Rest kam zufällig, ganz ohne Plan“, sagt er von sich selbst. Der „Rest“ sind bisher 17 Studioalben, ausgebuchte Konzerthallen, mehrere Gold- und Platin-Schallplatten als Auszeichnung für über 1,3 Millionen verkaufte Tonträger. Zum „Rest“ gehört auch der andauernde Kampf um den öffentlichen Umgang mit seiner Vergangenheit.

„Je mehr Menschen mir die kalte Schulter zeigten, umso mehr bäumte ich mich gegen sie auf“

Burger ist 15 Jahre alt, als er in die rechte Szene abdriftet. Es ist eine komplexe Mischung aus pubertärem Sturm und Drang, zu viel Alkohol, Faszination an verbotener Musik und dem wachsenden Bedürfnis, sich abzugrenzen. Die zerrissene politisch-kulturelle Situation Südtirols, die „uralten Geschichten der Feindschaft zwischen Italienern und Südtirolern“ bieten für all das eine scheinbar perfekte Projektionsfläche.

Und so kommt es, dass die italienischen Jungs auf dem Fußballplatz plötzlich zum verhassten Feindbild werden. „Umgekehrt genauso“, erinnert sich Burger heute. „Es hat eigentlich mit kleinen Stänkereien auf beiden Seiten angefangen. Dann gab es eine immer schnellere Radikalisierung in Richtung: ‚Den mag ich nicht mehr, weil er mich nicht mag‘.“ Keiner entscheide sich von heute auf morgen, plötzlich rechts zu sein, sagt er im Rückblick. „Das ist ja ein Prozess.“ Ein Prozess, an dessen Ende bei Burger die Haare abrasiert werden und die Schnürsenkel in den Springerstiefeln weiß sind.

Es ist vor allem die soziale Dynamik, die die Szene so attraktiv macht. Teil einer Gruppe zu sein, die sich als stark definiert, die ein Zuhause anbietet, das immer wichtiger wird, je mehr Ablehnung man außerhalb davon erfährt. Genau hier müsste man ansetzen, meint Burger heute. Denn dieses „Wir gegen die anderen“ wird von außen genauso zurückgespiegelt. Natürlich werden Burger und seine Skinhead-Freunde mit ihrem pöbelhaften Verhalten in den Clubs und Kneipen irgendwann gemieden, rausgeschmissen oder gar nicht mehr reingelassen. Doch was als klare Positionierung gegen die Rechten und ihr Verhalten gedacht ist, bewirkt das Gegenteil. „Je mehr Menschen mir die kalte Schulter zeigten, umso mehr bäumte ich mich gegen sie auf.

Je mehr Menschen mich als Nazischwein bezeichneten, desto mehr wollte ich mich von ihnen abgrenzen. Und desto radikaler vertrat ich Ansichten, die der nackten Provokation dienten“, sagt Burger über diese Zeit, die er heute als „die schlimmste Zeit meines Lebens“ bezeichnet.

Du bist sie (Die Einzige für mich) - Songtext Frei.Wild

Wie ein schönes Buch mit weisen Seiten
Ich las den Anfang, bis zum Ende las ich nicht
Seite für Seite, das Ende such‘ ich nicht, warum sollte ich?
Wie ein edles Schloss mit vielen Fenstern
Wie ein stolzes Werk voll Schönheit und Vollkommenheit
Ich fühle bei dir Zufriedenheit

Lebst all den Glauben an das Gute
Schenkst mir Zuflucht, gibst mir Sicherheit
Bist Schirm, bist Trost, du bist Umarmung
Gibst mir Halt, lässt mich niemals los

Bin ich mal unten und in Tränen
Ziehst du mich ganz sicher wieder hoch
Will dir sagen, was ich mal fühlte
Und verdammt, ich fühl‘ es immer noch
Ich fühl‘ es immer noch

Du bist sie, du bist sie
Du bist sie, die einfach alles für mich ist
Du bist sie, du bist sie
Du bist das mein zweites Ich

Wie ein heller Stern mit weichem Schimmer
Wie ein Sonnenstrahl durchdringst du jede Nebelwand
Wie eine Brandung, hältst jeder Welle stand

Verlangst so wenig, gibst so viel
Schenkst Lachen und beweist Entschlossenheit
Lebst deine Träume nie alleine
Deine Güte reicht unendlich weit

Mit deinen Händen heilst du Wunden
In deinen Armen lebt Geborgenheit
Und deine Augen sind ein Lachen
Sie besiegen jede Traurigkeit

Du bist sie, du bist sie
Du bist sie, die einfach alles für mich ist
Du bist sie, du bist sie
Ich kann nicht ohne dich
Lass mich, lass mich
Lass mich, lass mich
Ich lass‘ dich niemals im Stich
Lass mich, lass mich
Lass mich, lass mich
Dir sagen, ich liebe dich

Oh, ich brauche dich
Du bist alles für mich
Bist mein zweites Ich
Oh, ich liebe dich
Ich lass‘ dich niemals im Stich
Bist die Einzige für mich

Die Begegnungen mit Menschen sind es, die verändern

Es ist ein „Pingpong“-Spiel und mit jedem Schlag und Rückschlag werden die Fronten härter, der gegenseitige Hass größer und die Gräben tiefer. „Es hat nur wenige Leute gegeben, die anders agiert haben, die gesagt haben: ‚Euch tue ich echt erst recht die Tür auf. Euch schenke ich erst recht meine Zeit und meine Erfahrungen und meine Gespräche‘.“ Dabei wäre gerade das so wichtig für alle, die sich in einer ideologischen Welt verrannt haben und nur noch in ihrer „Filterblase“ aus Gleichgesinnten leben, findet der Musiker.

Als er im Rahmen des Zivildienstes anfängt, in einem Krankenhaus zu arbeiten, gibt es plötzlich Menschen, die sich mit ihm auseinandersetzen müssen. Die keinen Bogen um seine gefährliche Gesinnung machen, Die ihre Erfahrungen, Werte, Meinungen mit ihm teilen und diskutieren. Gleichzeitig begegnet er ganz unausweichlich den Abgründen des menschlichen Lebens: Krankheit, Leiden, Ohnmacht.

„Ja, der Zivildienst hat in mir eine grundsätzliche Veränderung angestoßen und ich begriff vielleicht zum ersten Mal, dass es im Leben um mehr als nur um Arbeit, Saufen, Party und Rangeleien geht. Hier hatten die Dinge, die ich tat, einen tieferen Wert.“ Es sind die Begegnungen mit Menschen, die Burger letzten Endes zum Umdenken bewegen. Mit leidenden, bedürftigen Menschen, die ihm zeigen, dass er gebraucht wird und seine Kraft sinnvoll nutzen kann. Mit Menschen, die zuhören, sich Zeit nehmen, sein Denken Schritt für Schritt wieder öffnen. Und nicht zuletzt auch mit den Menschen, die sein ganzes Leben schon für ihn da waren und ihn auch jetzt nicht fallen lassen: seine Eltern und seine beiden Schwestern – der „sichere Hafen“ seiner Familie.

Es holpert noch in Philipp Burgers Leben. „Drei Jahre zwischen einschneidenden Erinnerungen, hasserfüllten Liedern. Gewalt und Wut auf die Welt ließen sich nicht einfach so abschütteln.“ Aber schließlich steigt der 19-Jährige aus. Und viele mit ihm. Burger hatte, ohne dass es bewusst so ausgehandelt wurde, schnell eine Führungsrolle in seiner Brixener Clique eingenommen. Die damit verbundene Vorbildfunktion bleibt auch, als er geht. Nicht lange nach seiner Kehrtwende gibt es die Brixener Skinhead-Gang nicht mehr. Was bleibt, ist der „Nazi“-Stempel.

„Über uns reden wollten alle – mit uns leider niemand"

Als sich 2001 die Band „Frei.Wild“ gründet, können Burger und seine drei Kumpels noch nicht ahnen, wie sehr die Vergangenheit ihres Sängers sie verfolgen wird. Veranstalter ziehen ihre Zusagen zurück, die Antifa demonstriert vor Konzerten, eine Echo-Nominierung wird rückgängig gemacht, andere Musiker verweigern Auftritte auf gemeinsamen Festivals. Frei.Wild gilt als Rechtsrock, Burger als Nazi. Die Gelegenheit, sich selbst dazu zu äußern, wird nur selten gegeben. „Über uns reden wollten alle – mit uns leider niemand“, Burger muss diese Erfahrung immer wieder machen.

Der Musiker hat kein Problem damit, umstritten zu sein. Er hat seine Vergangenheit auch nie geleugnet oder verharmlost. Aber er will auch nicht in eine Ecke gestellt werden, die er schon lange verlassen hat. Gerade weil er weiß, wie zerstörerisch und gefährlich rechtes Gedankengut ist. „Dafür stehe ich nicht, dafür stehen meine Lieder nicht. Hört mir einfach zu, filtert meine Lieder, ich stelle mich – aber bleibt bitte fair. Gebt mir eine gerechte Chance, mich zu zeigen, wie ich wirklich bin. Lasst mich einer von denen sein, die sich geändert haben und sich in der Mitte der Gesellschaft sauwohl fühlen.“.

Das beste Auffangnetz meines Lebens war aus Liebe und Verständnis gestrickt.

Philipp Burgers Weg von rechts nach überall

Und Philipp Burger fühlt sich in der Mitte der Gesellschaft, in der Mitte des Lebens, sauwohl. Das merkt jeder, der ihm begegnet.

Persönlich oder in seiner Autobiografie „Freiheit mit Narben – Mein Weg von rechts nach überall“.

Da ist ein Mensch, der es liebt und ausstrahlt: das volle Leben. Der die Dinge gerne anpackt. Der hitzig diskutieren und schnell vergeben kann. Ein Handwerker mit unglaublichem Sprachtalent. Ein Musiker, der mit seiner rauchigen Stimme und lauten Liedern zehntausende Menschen in Feierlaune versetzt und sich selbst zum Gitarrenspielen gerne in die kleine Kirche auf seinem Grundstück zurückzieht. Ein Volltätowierter mit Hang zur Nachhaltigkeit. Ein leidenschaftlicher Landwirt, der vom Aussterben bedrohte Rinder- und Hühnerrassen züchtet. Ein Heimatliebhaber und Reiselustiger. Ein Draufgänger, der seinen Seelenfrieden wie einen Garten pflegt, durch eine Depression seinen Draht nach oben wiederentdeckt hat und beim Beten zur Ruhe kommt. Ein Ehemann und Vater, der seine Familie über alles liebt.

Und vor allem ein Mensch, der anderen eine Chance gibt. Der offen und entspannt auf andere zugeht. Jemand, der aus seiner Geschichte gelernt und die Erfahrung gemacht hat, dass eine ausgestreckte Hand mehr verändert als eine Schweigemauer. „Das beste Auffangnetz meines Lebens war aus Liebe und Verständnis gestrickt – und eben nicht aus Ablehnung und Zorn.“

Du wirst keinen drehen, indem du ihm sozusagen noch mal sagst, wie scheiße du ihn findest“, ist Burger überzeugt. Miteinander reden, den Menschen im Anderen sehen und jedem einen Neuanfang zugestehen. Das wäre Philipp Burgers Wunsch für alle.

Denn es ist Liebe, die zurückholt, nicht ein Label.

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