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Bernd Keller von true standard

Autor: Tobias Liminski I Fotos: Bernhard Spoettel

Redaktion: Tobias Liminski I Fotografie: Bernhard Spoettel

Halbzeit

Mit dem Namen Bernd Keller kann nicht jeder gleich etwas anfangen. In der Modebranche dagegen schon. Hier kennt man den heute 55-jährigen Designer und sein kreatives Talent bestens. Nach der klassischen Ausbildung – Schneiderlehre in Deutschland, Design-Studium in Italien – hat sich der gebürtige Pegnitzer in die internationale Modewelt gestürzt. Zunächst als Designer, später in unterschiedlichen Management- und Vorstands-Positionen.

Bernd Keller ist eine Größe in der Modeindustrie, gilt als genialer Kreativkopf, arbeitet für Marken wie HUGO BOSS, Adidas, PUMA und zuletzt auch Marc O’Polo. Aber Bernd Keller will mehr und macht sich nach 28 erfolgreichen Jahren selbstständig. Von da an widmet er sich voll und ganz seinen Themen Innovation, Design und vor allem der Nachhaltigkeit.

Wenn man an die Modeindustrie, die Welt der Models und Designer denkt, hat man unweigerlich die stereotypen Bilder vor Augen. Hohe Promi-Dichte, schillernde Namen wie Karl Lagerfeld, Coco Chanel, Guido Maria Kretschmer, Philipp Plein oder Jil Sander. Viele schöne Menschen, viel Blitzlicht, Glamour, Ästhetik. Das alles gibt es im Leben von Bernd Keller auch. Aber irgendwie scheinen Keller der Ruhm und Erfolg nicht zu Kopf zu steigen. Das hat Gründe. „Ich habe das Glück, dass ich mit einer Frau verheiratet bin, die mich erdet. Sie ist auch Christ, arbeitet als Heilerziehungspflegerin. Ihre Welt hat mich immer geerdet.“ Der dreifache Familienvater kennt beide Seiten der Modeindustrie. „Ich darf mich an supertolle Momente wie das Plakat am Times Square erinnern, auf dem meine Kollektion zu sehen ist. Ich kann mich an einer 50-Jahr-Feier bei Marc O’Polo mit Robbie Williams auf der Bühne und 3000 Gästen erfreuen. Das sind schon tolle Momente. Dafür bin ich sehr dankbar. Aber ich kenne auch die anderen Momente.“ 2018 erlebt Keller genau solch einen Moment. Beim Versuch, seinen Traum zu verwirklichen, scheitert er krachend. Der Traum vom eigenen Label, bei dem er Innovation, Design und vor allem Nachhaltigkeit zu 100 Prozent kreativ umsetzen und kaufmännisch bestimmen kann, hieß: †RUE STANDARD.

„Ich wollte doch was Gutes tun.“

„Das war eine ganze Kultur, die ich aufbauen wollte“, resümiert Bernd Keller mit leuchtenden Augen. Mit „viel Liebe und Leidenschaft“ skizziert der erfolgsverwöhnte Designer auf dem Strategiepapier die vielversprechende Zukunft seiner neuen Marke. Aber es kommt anders als geplant. Die Realität schlägt erbarmungslos zu. †RUE STANDARD scheitert abrupt am Investor, der sich eine Woche vor Vertragsunterzeichnung zurückzieht. „Das hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen, das kannte ich nicht.“ Man spürt, dieser Moment lässt Keller auch heute noch nicht kalt. „Die Zahlen waren ja da, das ,Proof of Concept‘ mit den großen Warenhäusern, alles war da. Ich wollte doch was Gutes tun, hatte jeden Schritt mit Gott durchgebetet.“ Bernd Keller hat es aber nicht mehr in der Hand, sucht vergebens nach einem Zeichen, das er vielleicht übersehen hat. Ende 2019 muss er vorerst den Stecker ziehen und Insolvenz anmelden.

Das bekannte Blitzlichtgewitter bleibt aus. Bernd Keller hat alles gegeben und alles verloren. Nur sein Talent und die Leidenschaft nicht. Und die Marke. Denn †RUE STANDARD lebt schon bald wieder auf. Herzschlag und Puls kommen wieder. Es sind Beziehungen, die Keller dabei helfen. Über seine weiteren Geschäftsfelder, unter anderem die Beratung der Textilindustrie, schafft er die Reanimation.

Bei Gesprächen zur Nachhaltigkeit, zur gezielten Produktentwicklung, zu Innovationen, zur Strategie und zum Markenaufbau, trifft er auf Stefan Kober, den CEO der Peter Hahn GmbH, einen Visionär, der an die Marke †RUE STANDARD glaubt. Kober kauft Keller die Rechte ab. „Heute mache ich die Kollektion für Peter Hahn unter dem Label †RUE STANDARD als Freelance Creative Director.“ Die Ausrichtung, das Logo, alles bleibt gleich. „Die Zusammenarbeit passt und ich hoffe, dass wir zeigen können, dass man im Premiumsegment der Modebranche auch mit ehrlichen Produkten echte Nachhaltigkeit mit ästhetischem Anspruch und Glamour verbinden kann.

„Manchmal ist man zu früh, manchmal explodiert die Idee.“

Was für Bernd Keller die echte, die „ehrliche Nachhaltigkeit“ ist, ist für Coco Chanel in den 1920er Jahren die Korsett-Befreiung der Frauen. Coco Chanel sucht einen Look für Frauen, in dem man sich frei bewegen kann. Chanel entdeckt den Jersey-Komfort der Militäruniformen für Frauen und befreit sie von Korsett und Webware. „Manchmal ist man zu früh, manchmal explodiert die Idee“, beschreibt Bernd Keller die Anfänge der späteren Stil-Ikone.

„Aber auch bei Coco Chanel waren die Anfänge nicht leicht.“

Bernd Keller schaut gerne auf Meilensteine der Modegeschichte zurück. „Hier kann man viel für sich und seine Ideen mitnehmen. So wie bei Aenne Burda zum Beispiel. Die sich gefragt hat, wie Mode für alle zugänglich gemacht werden kann.“ Zu ihrer Zeit kommt alles aus Paris. In der Zeit des Wirtschaftswunders wollen alle am Erfolg teilhaben. Zumindest optisch. Burda will raus aus dem Trümmer-Look, will etwas Neues. Paris ist aber eine unerreichbare Welt. Sie schafft den Durchbruch mit ihrer „Schnittmuster-Beilagen-Idee“. Auf einmal sind Glamour und Freude an der Mode für jeden Haushalt möglich. Mehr noch: Burda löst einen Hype um Haushaltsnähmaschinen aus und beeinflusst mit ihrer Idee die nächste Industriewelle. Aenne Burdas Durchbruch macht Hoffnung und bringt Ästhetik, Farbe und neue Materialien für alle. „Sie hat eben den Zeitgeist richtig interpretiert und das zur richtigen Zeit“, stellt Keller fest und hebt noch eine Designerin hervor, bei der er gerne die kreative Leidenschaft und das außerordentliche Talent unter die Lupe nimmt. „Auch Jil Sander war eine herausragende Persönlichkeit. Sie hat diese deutsche Strenge ästhetisch toll, feminin übersetzt. Eine Designerin, die ganz neue Wege gegangen ist. Die über Kosmetik ganz neue Business-Möglichkeiten geschaffen hat. Jil Sander hat visionär gearbeitet und war die Erste, die Kosmetik mit einer Modemarke verbunden hat. Sie hat mit Marken wie PUMA kooperiert. Jil Sander ist für mich eine Ikone im deutschen Modezirkus.“

„Ich kann verwalten oder ich kann was daraus machen.“

Der kleine Ausflug in die Geschichte der Modeindustrie, die Leidenschaft, mit der Keller von den Mode-Ikonen spricht, das zeigt: Bernd Keller macht alles was er anpackt mit Herz, Leib und Seele. Der Wandel der Zeit beschäftigt ihn. Bernd Keller ist nicht auf die stereotypen Bilder der Modewelt aus. Das kann man an einem kleinen Detail erkennen. Alle seine Skizzen und Ideen versieht der Modedesigner mit einem kleinen „SDG“. Das Kürzel für „Soli Deo Gloria“ Alles Gott zu Ehren. Keller will Mode kreieren, die wertschöpfend ist. Die darauf aus ist, tatsächlich nachhaltig zu sein, die die Schöpfung wahrt. Keller will eine Firmenkultur, die sich sozial engagiert, die die Mitarbeiter und die Umwelt vor Augen hat. „Greenwashing“ ist Bernd Keller zu wenig. „Die Modewelt ist die zweitschlimmste Industrie, die den Klimawandel beeinflusst. Das Thema gab es vor 25 Jahren einfach noch nicht.“

Auch wenn die Erfahrungen der Selbständigkeit nicht vergnügungssteuerpflichtig sind, Keller fühlt, es ist der richtige Weg. Mit Anfang 50 auf sein Leben zurückschauend, stellt er für sich fest: „†RUE STANDARD ist erst der Anfang.“ Keller denkt darüber nach, was wohl seine Familie über ihn und sein Leben einmal sagen würde, wenn er beispielsweise seinen achtzigsten Geburtstag feiert. Sind es die Erfolge die dann zählen? Ist es der Stolz auf das Erreichte in der Modewelt? Wie bin ich mit den mir geschenkten Talenten umgegangen? Die Antwort auf diese Fragen ist ein radikaler Umbruch. Vorbei sind die Jahre als CEO und Creative Director. Vorbei sind die Jahre als Wochenend-Familienvater. „Das schönste Kompliment für mich wäre, wenn ich meiner Familie ein Vorbild sein konnte. Wenn ich meine Talente voll ausgenutzt habe und in den Dienst der Sache gestellt habe. Wenn deutlich würde, dass diese Vorbildfunktion im Idealfall in Verbindung mit meinem Glauben steht. Mein größter Wunsch ist, dass meine Kinder auch den Weg zu Gott finden und eben auch erleben dürfen, dass Gott immer bei ihnen ist. So wie bei mir. Im Blitzlichtgewitter und auch in der dunkelsten Stunde meiner Karriere.“

„Das Tun ist für mich wichtiger als das Davonreden.“

„Man darf das Leben und seine Talente nicht wie eine Toolbox sehen“, fasst Bernd Keller sein bisheriges Leben zusammen, „vielmehr ist es der Reichtum an geschenkten Fähigkeiten. Dafür hat man auch eine bestimmte Verantwortung. Ich möchte dieser Verantwortung ein paar Schritte näherkommen. Ich kann verwalten oder ich kann was daraus machen.“ Das ist es, was Bernd Keller gerne an junge Designer-Talente weitergeben möchte. „Begabung ist das eine, die Leidenschaft dafür, das ist für mich der wichtigste Aspekt. Jedes Talent, jede Leidenschaft braucht vor allem ein Ziel. Etwas, auf das man hinarbeitet.“ Letztlich ist es eine ganze Lebenshaltung, wie es Bernd Keller formuliert. „Ich habe diese Haltung erst mit 50 wirklich für mich gefunden. Ein großer Schritt, den ich im Alter von 20 oder 30 so nicht auf dem Schirm hatte. Ich bin froh, dass ich diese Haltung jetzt habe und sie auch leben kann.“ Neben Innovation, Design und Nachhaltigkeit ist es in der zweiten Hälfte seines Lebens die ehrliche Haltung, die Keller fasziniert. Sie lässt alles andere erst richtig zur Geltung, zur Entfaltung kommen. „Das ist für mich der Weg des Erfolgs. Eine ehrliche Haltung, mit der sich Talente entfalten können. Mit der sich Marken auf Felsen und nicht auf Sand aus- und aufbauen lassen.“ Wenn man das alles „Soli Deo Gloria“ macht, gelingt es auch. Diese Überzeugung gewinnt man schnell, wenn man sich mit Bernd Keller in seinem Atelier in Bamberg trifft.

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