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Redaktion: Stefanie von Stechow | Fotografie: Simon Gehr

Weiße Tauben

und schockgefrorene Schmetterlinge

Hochzeit als Hochleistungs-Event: Wer sich heute noch traut, betreibt dafür gewaltigen Aufwand. Der schönste Tag im Leben wird zu einem Wettbewerb der Ideen und Bilder. Alles muss stimmen, alles soll perfekt sein, kein Aufwand scheint zu hoch. Egal, was es kostet. Warum ist das so? Und was bleibt auf der Strecke?

Heiraten ist out? Stimmt nicht. Zuletzt stiegen in Deutschland nicht nur die Zahlen der Eheschließungen wieder leicht an, sondern auch die relativen Zahlen, also die Zahl der Hochzeiten gemessen an der Zahl der Einwohner. Ein gutes Zeichen? Sicher jedenfalls ein Zeichen dafür, dass die Ehe als Institution keineswegs ausgedient hat. Für viele Paare ist die Hochzeit immer noch das ganz große Ziel, der ganz große Traum. Ein Traum, für den sie viel Aufwand zu betreiben bereit sind, für den sie den ganz besonderen Rahmen, die ganz besondere Idee suchen. Und viel Geld ausgeben. Soziologen aus Göttingen, die das Phänomen von Hochzeiten im 21. Jahrhundert kürzlich untersucht haben, sprechen von einer „Eventisierung“ des Heiratens: Hochzeiten werden zu dem einen großen Tag im Leben, an dem alles besonders, alles perfekt sein muss. Und bildgewaltig: Hochzeiten mit weißen Hussen-Stühlen und leiser Gitarrenmusik am Strand, Hochzeit im Flugzeug, Hochzeit unter Wasser, Hochzeit in alten Industrieanlagen. Kein Ort scheint unmöglich, keine Idee zu extravagant. Heiraten heute, das scheint in erster Linie ein Wettbewerb der Möglichkeiten, der Ideen und der Bilder zu sein. Ein „Anerkennungsritual“ nennen es die Soziologen, und wer Anerkennung will, muss sich anstrengen, etwas ganz Besonderes schaffen, das sich zudem gut vermarkten lässt: Location, Kleider, Blumen, Deko, alles muss ausgefallen, perfekt abgestimmt und hochglanztauglich sein.

Traumhaft romantisch, aber echt teuer

Mehrere professionelle Hochzeitsfotografen arbeiten heute zeitgleich aus verschiedenen Blickwinkeln, soziale Netzwerke und Hochzeits-Webseiten lassen alle Gäste an allen Bildern teilhaben. Aus persönlichsten Momenten und Erinnerungen werden halb-öffentliche Inszenierungen. Und – folgt man den aktuellen Brautmagazinen und Internetseiten von Hochzeits-Planern – romantisch muss es auch sein: Pastelltöne und Spitze, traditionelle Bräuche, alte Gemäuer oder einsame Inseln haben Hochkonjunktur. Umsonst ist das alles natürlich nicht: Tausende von Euro kostet eine Hochzeit heute. Auf der nach oben offenen Preisskala veranschlagen Experten allein 100 Euro pro Gast. Die Ausstattung der Frau reicht von Friseur über Maniküre bis Kleid und Haarschmuck und kostet nach Einschätzung von Experten rund 14 Prozent des Gesamtbudgets, etwa ebenso viel wie Fotograf, Musik und Fahrzeug zusammen. Es ist paradox: Egal, wie gleichberechtigt und modern die Beziehung bis zur Verlobung gelebt wurde, Abläufe und Riten bei Hochzeiten heute sind traditionell: Der Mann stellt den Antrag (auch der sollte möglichst ausgefallen sein), die Braut organisiert weit mehr als der Bräutigam, sein Anzug kostet einen Bruchteil ihres Outfits. Neu hinzugekommen sind noch die ebenfalls möglichst originell und aufwendig zu gestaltenden Junggesellen-Abschiede, die ihre Tradition in England und den USA haben. Rund um das Sich-Trauen ist eine ganze Industrie entstanden, Hochzeitsplaner als hilfreiche Dienstleister schießen wie Pilze aus dem Boden, am Kiosk locken zahllose Braut- oder Hochzeitsmagazine, informieren und diskutieren: Welches einmalige, unverwechselbare Design für Einladung, Dekoration und Blumenschmuck? Welche Mode – Mystik, Mittelalter oder Vintage – bei Brautkleid und Schleier? Wie verwöhnt, unterhält und platziert man die Gäste? Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Natürlich hofft jedes Brautpaar auf den Hochzeitstag als einzigartiges Erlebnis. Doch das Dekorative, die Inszenierung scheint zunehmend die inhaltliche Bedeutung des Ehebunds zu verdrängen. Dekan Thomas Jeschner, Stadtpfarrer in Eschenbach, führt in seinem Amt seit 1994 Paare zum Altar und damit auch die vorbereitenden Traugespräche. Er hat festgestellt: Die Brautpaare bringen heute oft genaue Vorstellungen von der Zeremonie, von Blumenschmuck und Blumenkindern sowie von Liedern, Musik und Fürbitten mit. Aber: „Der kirchliche Hintergrund der Trauung, das Wissen um das heilige Sakrament der Ehe, den unauflöslichen Schritt vom ,ich‘ zum ,wir‘, das tritt zunehmend in den Hintergrund.“

Der Pfarrer nennt ein Beispiel: „Für immer mehr Brautpaare ist es wichtig, dass der Brautvater seine Tochter in die Kirche führt und vor dem Altar dem wartenden Bräutigam übergibt. Weil es so schön rührend ist.“ In den Augen der Kirche geben sich aber zwei gleichberechtigte Partner gegenseitig das Eheversprechen. „Deshalb holt der Pfarrer eigentlich beide Brautleute am Eingang zur Kirche ab und führt sie an den Altar“, so Jeschner. Ihm ist das wichtig, denn: „Das Sakrament der Ehe ist das einzige Sakrament, dass sich zwei Menschen, also die Brautleute, gegenseitig spenden. Die Kirche ist lediglich Zeuge dieses Eheversprechens. Erst durch die Anwesenheit des Priesters und den geweihten Ort der Kirche nehmen die Brautleute Gott mit in diesen Bund auf.“ Die sogenannten „Konsensfragen“, die unauflösliche, neue Einheit des Paares, die grundsätzliche Bejahung von Kindern, all das rücke immer mehr in den Hintergrund. „Dabei sind das doch die essentiellen Themen des Eheversprechens“, so Jeschner. Stattdessen werde das Zeremonielle der Trauung immer wichtiger. „Natürlich sollen die Brautleute ihre Trauung mitgestalten, es ist ja ihre Trauung“, sagt der Pfarrer. „Aber oft sind sie so belegt mit allen anderen Vorbereitungen, so aufgeregt, dass alles perfekt klappt, dass sie die eigentliche Bedeutung der Trauung ganz aus den Augen verlieren.“

Und was kommt dann am Tag danach?

Nadine Miodecki, früher Ministrantin in Eschenbach in der Oberpfalz, hat hautnah erlebt, was sich Brautpaare heute zu ihrer Hochzeit alles einfallen lassen, wie viele inzwischen ganz fern von Heimat und Kirche heiraten. Die Zwanzigjährige machte im Rahmen ihrer Ausbildung zur Assistentin im Travel- und Tourismusmanagement ein Praktikum bei einem Hochzeitsplaner auf Teneriffa. „Wir haben alles für die Kunden gerichtet, meistens am Strand“, erzählt sie. Baldachine, Stühle mit Hussen, Speisen, Getränke, Blumen, Ansprache, Musik – all das war wichtig. Selten nur sei eine Kirche oder Kapelle angefragt worden. „Die Zeremonien waren eher dekorativ, romantisch, die Ansprachen ganz aus dem Leben gegriffen, nicht religiös“, erinnert sich Nadine. Menschen aus allen Ländern und gesellschaftlichen Schichten gehörten zu ihren Kunden, Hochzeiten von nur vier bis über 400 Gästen hat sie so erlebt. „Die Leute waren anspruchsvoll – es sollte ja der schönste Tag ihres Lebens werden.“ Dekan Jeschner betont lieber die inhaltliche Vorbereitung auf den sogenannten „schönsten Tag im Leben“. War die Hochzeit tatsächlich der „schönste Tag“ – was kommt dann danach? „Ehevorbereitungsseminare bringen viel, um die Paare auf die Ernsthaftigkeit und Endgültigkeit ihres Entschlusses vorzubereiten“, sagt der Pfarrer. „Sie helfen den Brautleuten, sich auf den neuen Lebensabschnitt vorzubereiten, stärken die Ehe- und Konsensbereitschaft“, sagt er. Alfred Kick, der im Haus Johannisthal in Windischeschenbach Ehevorbereitungsseminare anbietet, nennt ein paar Beispiele: „Wir machen Rollenspiele, erarbeiten die Inhalte in Gruppen“, erzählt er. Ein Wunsch-Engel zum Beispiel frage die Erwartungen der Paare an ihre Ehe ab: „Dann wird oft Glück, Treue, Kinder, immer Zeit füreinander gewünscht“, erzählt der Theologe. Der Wunsch-Engel mache den Brautleuten deutlich, dass der Beginn einer Ehe aus Samen, nicht aus Früchten bestehe. „Die Ehe ist wie eine Pflanze, die dann gute Früchte trägt, wenn man sie behutsam und bewusst pflegt“, versucht Kick zu vermitteln. Für Sonja und Thomas Neiswirth aus Regensburg war das Eheseminar eine gute Erfahrung: „Ich war erst ein bisschen skeptisch“, erinnert sich Thomas Neiswirth, Kommunikations- und Pressechef einer Regensburger Brauerei. „Aber dann war es wirklich sehr hilfreich.“ Einen Tag lang wurde bei der Katholischen Erwachsenenbildung in Regensburg in lockerer Gesprächsatmosphäre über das Eheversprechen, die Inhalte und den Ablauf der kirchlichen Trauung gesprochen. „Es tat gut, hat uns auch ein bisschen die Nervosität genommen“, so Neiswirth. „Es war gar nicht dogmatisch, sondern ganz offen und entspannt“, ergänzt seine Frau Sonja, Projektleiterin bei einem Autozulieferer. Und: „Mich hat das Seminar in meinem Entschluss bestätigt, danach dachte ich: Ja, das passt.“ Am 6. Mai haben Sonja und Thomas Neiswirth geheiratet. Und tatsächlich: „Es war der schönste Tag in meinem Leben“, sagt Sonja strahlend. Die standesamtliche Trauung hatte vor eineinhalb Jahren im kleinen Kreis stattgefunden. „Aber das eigentliche Fest, das wichtigere, das war für uns die kirchliche Hochzeit“, so die Eheleute. Ein gutes Jahr hatten sie sich für die Vorbereitungen Zeit genommen. Und sich auf das für sie Wesentliche konzentriert: die Örtlichkeit, den Gottesdienst, die Gäste. „Wir wollten es einfach ganz persönlich haben“, erzählt Thomas Neiswirth. „Und das ist uns auch gelungen.“ Ein Rittergut vor den Toren Regensburgs hatten sie ausfindig gemacht, Musik, Speisen und Getränke organisiert, für die Kinder gab’s eine Hüpfburg. Als Dankgeschenk für alle, die dabei waren, wurde ein eigenes Bier gebraut, 200 Flaschen mit einem persönlichen Etikett. „Mit Dekoration, Brautkleid und Ringen muss man sich nicht verrückt machen,“ sagt Sonja Neiswirth. „Andere Dinge sind viel wichtiger.“ Neiswirths haben in der Wallfahrtskirche Maria Himmelfahrt in Regensburg geheiratet. Stadtdekan Roman Gerl hat sie getraut und auch das Traugespräch geführt. „Es war ein unglaublich intensives Gespräch über Glauben, Kirche, Ehe», erinnert sich Thomas Neiswirth. Gemeinsam ging das Brautpaar zum Altar, Thomas’ kleiner Patensohn begleitete die beiden, er trug die Ringe. „Es waren einfach viele liebe Menschen involviert“, erinnert sich Thomas. „Und alle haben sich mit uns gefreut.“

Perfekte Fingernägel für die Trauung am Strand

Mit Schaudern erinnert sich Sonja Neiswirth an die einzige Hochzeitsmesse, die das Brautpaar im Vorfeld besucht hatte. „Da konnte man neben fliegenden, weißen Tauben auch schockgefrorene Schmetterlinge buchen, die rechtzeitig wieder auftauen, um über dem Brautpaar aufzusteigen“, erzählt sie. Da ist er wieder, der Wettbewerb der ausgefallenen Ideen und Bilder: Ob Hochzeit am Strand, perfekte Fingernägel oder passgenau flatternde Schmetterlinge – Brautleute heute werden durch die Bilderflut und allgegenwärtige Vergleichbarkeit in den sozialen Medien zu immer neuen Höchstleistungen angespornt. Ein Kollege heiratete kürzlich auf einer Burg: mittelalterlich mit Lautenklängen, Met und eigens geschneiderten Samtkleidern. Oder die Tochter der Nachbarn: auch auf einer Burg, wie im Disney-Film mit Reifrock, Pagen und Schleppenträgern. Als ob Burgen, diese alten Symbole von Abgeschiedenheit, Sicherheit und Beständigkeit, erfüllen könnten, was im täglichen Leben so schwer zu haben ist: Ruhe, Zeit füreinander, Beständigkeit. Die Träume der Brautpaare für ihre Ehe sind offenbar die gleichen geblieben wie vor Jahrzehnten. Der „schönste Tag im Leben“ jedoch muss immer bildgewaltiger, immer aufwändiger ausfallen – was für ein Kraftakt.