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Lesedauer: ca. 4 Min.

Autorinnen: Selina Schalk & Marie Kinsky | Illustration: Carina Crenshaw

Alles unter

Kontrolle

Testfall Alltag

Vertrauen? Hab ich. Oder nicht? Was genau ist das noch mal? Ich spüre das Gefühl nicht unbedingt permanent. Eigentlich vor allem dann, wenn es mal nicht da ist. Liegt das daran, dass ich im Alltag alles unter Kontrolle habe? Oder bin ich es einfach gewohnt, ständig zu vertrauen?

Nur wenige Stunden, aber jede Menge Vertrauen. Wie oft zählst Du Vertrauen in diesem Artikel? Ist Dir schon einmal aufgefallen, wie sehr unser Alltag von Vertrauen geprägt ist? Ob in uns selbst, in die Menschen um uns herum, oder einfach in das Leben. Ohne Vertrauen geht es nicht. Meist vertrauen wir ganz unbewusst. Oft ist ein Vertrauensvorschuss notwendig. Vertrauen beginnt da, wo unsere eigene Kontrolle aufhört. Genau genommen haben wir viel weniger unter Kontrolle als uns bewusst ist. Wir leben vom Vertrauen.

23:05

Draußen ist es längst dunkel. Ich liege im Bett und denke nach. Innerhalb der nächsten halben Stunde werde ich einschlafen, einfach so für einige Stunden mein Bewusstsein abgeben. Was in der Zeit alles passieren könnte? Keine Ahnung. Ich vertraue darauf, dass ich morgen wieder aufstehe und alles gut ist.

Plötzlich fällt mir mein Wecker ein. Den muss ich unbedingt stellen. Morgen habe ich den ersten Arbeitstag in meinem neuen Job. Hoffentlich klingelt der Wecker auch. Zur Sicherheit stelle ich mir lieber mal einen zweiten. Man weiß ja nie.

06:00

Auf den Wecker ist Verlass. Ich wache auf. Pünktlich, gesund und munter. „Jeder neue Tag, an dem man gesund aufwacht, ist ein Wunder“, hat Oma immer gesagt. Stimmt eigentlich. Darauf vertraue ich fast selbstverständlich.

06:37

Während des Frühstücks scrolle ich durch die News. Zahlen, Fakten, Daten. Und lauter gegensätzliche Meinungen. Was ist wahr? Was vernünftig? Wem kann ich vertrauen?

Ich beiße in mein Brot. Hmm, Wahnsinn, nichts von dem, was ich esse, habe ich selbst gemacht, gepflanzt, gebacken oder produziert. Ich vertraue darauf, dass es nach bestem Wissen und Gewissen hergestellt wurde. Wie leicht kann man sich da täuschen.

07:20

Ein Blick auf die Uhr. Höchste Zeit. Ich schwinge mich auf mein Fahrrad und radle los. Als der Bus hinter mir herfährt, spüre ich auf einmal wie verletzlich ich bin, so ganz ohne Blechgehäuse. Wie vielen Autofahrern muss ich auf meinem Weg wohl vertrauen? Und sie mir? Was passiert, wenn einer von uns, einer von ihnen oder ich nicht aufpasse? An jeder Kreuzung vertraue ich darauf, dass sich alle an die Verkehrsregeln halten. Wenn jetzt einer in den am Straßenrand parkenden Autos die Türe aufreißt, ohne zu schauen? Puh, nur nicht so viel nachdenken.

07:56

Treffpunkt mit Anna im Foyer im dritten Stock. Sie soll mir eine Einführung geben. Auf den Stufen hinauf versuche ich, ruhig zu bleiben. Ich schaffe das schon, ich bin doch qualifiziert. Etwas außer Atem komme ich oben an. Meine Nervosität muss ich noch fünf Minuten überbrücken. Ich bin zeitig losgefahren, ich habe dem Morgenverkehr nicht getraut. Nach acht Minuten ist sie immer noch nicht da. Ach, jeder kommt mal zu spät! Ich schaue an mir herunter, ich fühle mich wohl in meinem Outfit. Es strahlt Professionalität und Selbstvertrauen aus.

Ich warte weitere sieben Minuten. Hoffentlich hat sie mich nicht vergessen? Oder stehe ich am falschen Ort? Na das fängt ja gut. Kann ich mir selbst heute vertrauen? Werde ich den Tag meistern? Doch da steht sie schon in der gläsernen Foyertüre. „Hi! Ich bin Anna“, sagt sie, lächelt und schüttelt mir die Hand. Also ab in das neue Abenteuer.