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Ausgabe 02/22 Vertrauen

Ich muss meine Ängste annehmen

Lesedauer: ca. 7 Min. | + Video zum Beitrag

Autor: Tobias Liminski | Fotos: Bernhard Spoettel

“Ich muss meine

Ängste annehmen.

Annett Möller fühlt sich einsam und schrecklich, als sie in ihrem Bett sitzt und ihr die Erkenntnis durch den Kopf schießt: „Du musst dich da selber rausholen.“ Eine Panikattacke vor laufender Kamera verändert damals das Leben der bekannten TV-Moderatorin. Es ist die Angst zu versagen, der Mangel an Selbstvertrauen, die Angst nicht gut genug zu sein.

Mit ihrer Angst ist sie nicht allein. Noch vor Depressionen sind Angststörungen die häufigsten Erkrankungen in Deutschland. Rund 12 Millionen Menschen in Deutschland, 60 Millionen europaweit leiden darunter.

Annett Möller will ihre Erfahrungen und den Weg aus den Fängen der Angst an möglichst viele Menschen weitergeben und schreibt ein Buch. „Liebe Angst, Zeit, dass du gehst“, beschreibt ihren ganz persönlichen Weg aus der Angst. Inklusive Zehn-Punkte-Plan zur Selbsthilfe.

Forschungen zeigen, dass 25 Prozent aller Menschen in Deutschland mindestens einmal im Leben mit einer Angststörung zu tun haben. Annett Möllers erste Panikattacke kommt damals ganz plötzlich und unerwartet. „Es war eine ganz normale Nachmittagssendung. Drei Minuten lang. Eigentlich nichts Wildes“, sagt sie im Gespräch mit GRANDIOS. Möller lebt als TV-Moderatorin ihren Traum. Und doch denkt sie immer wieder: „Ich kann das ja eigentlich gar nicht, ich bin nicht gut genug“. An diesem Sonntag will sie es besonders beweisen.

Schwindel, Schweißausbrüche, Schnappatmung und Todesangst

„Wenn ich meine Stimme ein bisschen senke und tiefer spreche, dann klingt das kompetent und cool“, denkt sich die junge Moderatorin damals. Das Ergebnis ist aber alles andere als cool. Annett Möller merkt, sie spricht viel zu tief, sie kommt nicht mehr in ihren Körper rein, wie sie sagt, die Luft bleibt ihr weg. In Millisekunden macht sich Panik in ihr breit. „Ich dachte wirklich, mir springt das Herz aus dem Brustkorb, es zerreißt mich.“ Ihr wird schwindlig. Sie bekommt Todesangst. „Ich kann mir das jetzt hier nicht erlauben, ich muss funktionieren“, denkt sie sich, „da schauen jetzt Hunderttausende zu. Ich kann jetzt nicht abhauen, ich kann nicht fl iehen. Wenn ich tot oder bewusstlos umfalle, dann bin ich in den nächsten Tagen das Gespött der Leute.“ Der Leistungsdruck steigert die Panik. „Ich konnte die Scheinwerfer nicht mehr ertragen. Ich konnte alles um mich herum nicht mehr ertragen. Ich hatte Beine wie Gummi.“ Sie schwitzt, die Moderationsblätter kleben an ihren Händen. Zum Glück ist sie nicht ständig zu sehen. Ein Bilderteppich verdeckt, was keiner sehen darf. Annett Möller hastet durch die Moderationen. Sie will nur noch weg. Sie weiß, sie muss das durchziehen, sonst macht sie diesen Job, ihren Traumjob vielleicht nie wieder.

3 Minuten – Ein Marathon im Sprint-Modus

Annett Möllers sonderbares Verhalten bleibt weitestgehend unbemerkt. „Was ist mit dir los?“, fragen vereinzelt Kollegen in der Regie. Möller lässt sich nichts anmerken und gibt Migräne als Grund an. „Was hätte ich sagen sollen? Ich hatte eine Panikattacke? Das hätte ja keiner verstanden. Ich selbst hab das ja in dem Moment auch noch gar nicht verstanden.“ Für Annett Möller beginntnmit diesem Sonntagnachmittag eine Zeit der Flucht. „Die ersten Wochen und Monate waren ganz besonders schlimm. Selbst zu Hause auf dem Sofa habe ich daran gedacht, dass die Angst jederzeit wiederkommen könnte. Und selbst in dieser entspannten Situation kam Panik auf. Herzrasen. Übelkeit.

Flucht oder Angriff? Weiter Totschweigen oder Ursache finden. „Diese Angst war furchtbar. Mir wurde heiß und kalt. Immer wieder habe ich mir gedacht, ich muss mich übergeben.“ Das Schwierige für die junge Moderatorin: die von ihr wahrgenommene Gefahr gibt es von außen nicht. Keiner kann das von außen sehen. Und nur wenige sind eingeweiht. Unter ihnen eine Freundin, mit der sie zusammenarbeitet. Annett Möller macht sich auf die Suche nach den Ursachen. Immer wieder spricht sie auch mit ihrer Freundin und Arbeitskollegin. Doch helfen tut nichts wirklich.

Die Ursachen der Angst

Wie stark sich Angst bei jedem einzelnen ausprägt, ob man später mit Panikattacken und Ängsten zu kämpfen hat, hängt von vielen Faktoren ab. „Ein Großteil entsteht aber tatsächlich durch Erlebnisse in der Jugend und in der Kindheit. Und ich glaube, dass sehr viel mehr Menschen damit zu tun haben, als wir das erfassen können, als die Zahlen das sagen“, führt Annett Möller fort. „Und wenn ich über mein Buch ins Gespräch komme, bin ich immer wieder erstaunt. 90 % der Leute sagen mir, dass sie ein ähnliches Problem haben. Manche betrifft das ganz massiv und andere kennen es aus der Vergangenheit. Man spricht aber nicht gerne drüber.“

Beim Thema Angst denken die Menschen, dass Schweigen Gold ist. Im Leistungsdruck sieht Annett Möller eine der Ursachen. „Alle wollen jung sein oder bleiben. Etwas erreicht haben, etwas wert sein. Geliebt werden. Oft kommt zu den eigenen negativen Bewertungen auch der Druck von aussen.

Annett Möller beginnt damals auf ihrem Bett zu verstehen, dass sie sich nur selbst helfen kann und entscheidet sich „aus der Rolle des Opfers“ herauszukommen. Selbst zu entscheiden, wie es weitergeht, statt sich von der Angst leiten zu lassen. Auch der Gang zum Therapeuten gehört dazu: „Ich finde, es ist ein Zeichen von Stärke sich Hilfe zu holen. Du gehst los und läufst nicht mehr weg. Du stellst dich hin und willst dein Leben wieder in die Hand nehmen. Du willst was verändern, willst da rauskommen. Das ist für mich absolute Stärke und sollte in der Gesellschaft viel mehr auch so betrachtet werden.“

Zwei Wochen nach der Panikattacke sucht Annett Möller zunächst ihren Hausarzt auf. Aber Beruhigungstabletten und Tranquilizer waren für sie doch nicht die Lösung. Im Gegenteil: „Die Tabletten brachten mich total durcheinander. Ich hatte sie an einem Abend zu spät genommen und fühlte mich am nächsten Morgen auf dem Weg zur Arbeit vollkommen benebelt und noch kraftloser als ohnehin schon. Das machte mich zusätzlich fertig und damit wuchs die Angst zu versagen noch mehr. Letztendlich fuhr ich an dem Tag wieder nach Hause.

„Ich war dann erst mal vier Wochen krankgemeldet. Unter einem Vorwand, weil ich nicht den Mut hatte, zu sagen, was Sache ist. Vielleicht wäre das aber genau richtig gewesen. Vielleicht hätte ich dann tatsächlich ein bisschen Ruhe gefunden.“

Yoga, Meditation, Tagesklinik und Familienaufstellung

Vier Wochen versucht Annett Möller mit Yoga und Meditation Ruhe zu finden. Sie versucht einen Platz in einer Kölner Tagesklinik zu bekommen. Auch eine psychologisch tiefergehende Familienaufstellung unternimmt sie. „Mir war schon klar, dass hat was mit meiner Vergangenheit zu tun. Mit meiner schwierigen Kindheit und meinem Vater.“ Ich wollte besser verstehen, was damals war, um für mich Frieden zu finden. Ich habe mich dann auch mit meinem Vater getroffen. Wir hatten uns zuvor lange Jahre nicht gesehen und ich dachte, das würde mir helfen. Aber dann war mein Vater wieder weg und ich merkte, die Verlassenheit in mir, diese Einsamkeit, das ganz Alleinsein auf der Welt, die Zweifel an mir, alles war immer noch da. Es hatte nicht geholfen.“

Es dauert noch eine Weile, bis zu jenem Morgen, an dem Annett Möller verzweifelt in ihrem Bett sitzt und in ihr der Gedanke „du musst dich da selber rausziehen. Ich kann mich nur selbst verändern“ wächst. Ihr wird schnell klar, das ist ein Prozess, der viel Zeit braucht und mit viel Arbeit verbunden ist. Der erste Schritt aber ist getan.

„Das alles hatte viel mit Umdenken, mit Umlernen zu tun, mit ganz viel Selbstwahrnehmung. Aber es war schön zu sehen, dass ich mich mit der Zeit langsam weiterentwickelt habe. Die Dinge wurden leichter. Heute bin ich total froh, dass ich das erlebt habe. Denn das hat mich zu dem Menschen, zu der Frau gemacht, die ich heute bin. Ich habe eine wundervolle Beziehung. Ich habe einen fantastischen Mann, wir haben eine tolle Tochter zusammen. Wir sind so liebevoll und respektvoll miteinander. Das hätte ich vor zehn Jahren nicht gekonnt, weil ich viel zu sehr mit mir selbst und meinem inneren Schmerz beschäftigt war.“

Ich bin glücklich mit mir selbst

Annett Möller

Annett Möller hat es geschafft. Sie hat ihre Angst angenommen und dahinter geschaut. Sie hat verziehen und mit ihrer Vergangenheit abgeschlossen. „Es ist wahnsinnig befreiend, sich davon zu lösen und wirklich zu verzeihen. Ich habe den Rucksack mit all dem alten Ballast abgelegt. Ich weiß nicht einmal wo der jetzt steht. Ich habe verziehen.“

Und sie geht noch einen Schritt weiter. Sie verlässt damals den Nachrichtenjob, absolviert eine Ausbildung zum Coach und schreibt ihr Buch. Annett Möller will mit und durch ihre eigene Geschichte Menschen helfen, anders mit ihrer Angst umzugehen. Sie vielleicht sogar als Chance zu erkennen. „Mir war wichtig, dass es ein allumfassendes Buch ist. Ich wollte wirklich, dass die Leute das lesen und step by step Lösungswege für sich finden. Ich habe deshalb auch einen Neurologen und eine Psychologin im Buch zu Wort kommen lassen, damit die Leser und Leserinnen ihre eigene Angst so gut, wie es nur geht verstehen können. Nicht alles ist für jeden geeignet, aber im 200 Seiten starken Zehn- Punkte-Plan kann garantiert jeder für sich etwas rausziehen.“

Als Coach hilft sie Menschen, mit ihren Ängsten im Alltag umzugehen. Atemübungen sind oft der erste Schritt zur Besserung, um in akuten Situationen die körperlichen Symptome zu beruhigen und wieder klar denken zu können. Um die Angst langfristig in den Griff zu bekommen, hilft sie ihnen unter anderem, die Umstände anzunehmen. Und auch „Das Verstehen der Angst und der unerfüllten Bedürfnisse dahinter sind enorm wichtig“. „Unangenehme Emotionen stehen für unerfüllte Bedürfnisse.“ Annett Möller weiß, wovon sie spricht. Mit ihrem Buch, ihrer TV-Karriere und ihrer eigenen kleinen Familie hat sie einige ihrer größten Bedürfnisse erfüllt.

Annett Möller Buch
Liebe Angst, Zeit, dass du gehst -
Wie ich mich von Angst und Panikattacken befreite.

ISBN: 3841907784
EAN: 9783841907783
Verlag: EDEL Music & Entertainment
1. Auflage / 1. Oktober 2021 314 Seiten

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