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Ausgabe 03 Identität

Augen zu und weitersehen

Redaktion: Markus Reder I Fotografie: Bernhard Spoettel

Augen zu und weitersehen

Sonst rockt er große Hallen und lässt Stadien beben. Bei einem Lied ist alles anders. „Amoi seg’ ma uns wieda“ von Andreas Gabalier gehört inzwischen zu den meist gewünschten Liedern bei Beerdigungen. Der Song des Alpenrockers hat einen traurigen Hintergrund: Den Suizid seines Vaters und den seiner jüngeren Schwester. Viele Trauernde identifizieren sich mit der Botschaft des Liedes. Was ist dran an dem, was Gabalier da singt? GRANDIOS hat nachfragt bei Johannes Plank, Stadtpfarrer von Straubing. Seine Antworten überraschen.

Herr Pfarrer Plank, was halten Sie von „Amoi seg, ma uns wieda„? Sind das rührselige Emotionen für Trauermomente oder steckt mehr dahinter?

An „Amoi seg’ ma uns wieda“ rührt mich zunächst der persönliche Hintergrund und das Schicksal der Familie. Andreas Gabalier hatte die Fähigkeit, die Erfahrung von Leid und Tod in diesem Lied aufzuarbeiten. Davor habe ich Respekt. Das Erlebte angesichts des Abschieds lieber Menschen lässt in jedem Bilder aufsteigen, weil wir uns den Übergang vom Diesseits in die andere Wirklichkeit nur mit Vergleichen und Metaphern ausmalen können. Gabalier spricht vom Getragensein und vom Aufstieg, eigentlich genau vom Gegenteil, was wir bei einer Beerdigung erleben. Während wir das, was sterblich an einem Menschen ist, in die Erde betten, geht unser Empfinden in die andere Richtung. Schon die wörtliche Bedeutung von „Auf-er-stehung“ spricht davon, dass es nicht um ein „Liegenbleiben“ oder „Ins-Leere-fallen“ geht, sondern um ein „aufrechtes Stehen“, zu dem wir Menschen bestimmt sind, über Grab und Tod hinaus. Es geht um das „Aufstehen“ in eine ungeahnte Wirklichkeit hinein, um einen „Aufstand für das Leben“. Alles, was unsere Verstorbenen und uns selbst einmal im Leben belastet haben mag, alles Einengende – und davon kommt ja das von Gabalier besungene Wort „Angst“ – hat keine Bedeutung mehr. Die Angst löst sich auf in einer Gewissheit. Gabalier singt nicht: „es könnte ja was geben nach diesem Leben…“. Er singt: „…es gibt was nach dem Lebm, du wirst scho seg’n.“

Die Frage ist nur: Kann man sich da so sicher sein? Was rechtfertigt die Gewissheit, die hier zum Ausdruck kommt?

Mit dieser festen Überzeugung will das Lied nicht vertrösten, sondern trösten, ähnlich wie es viele Texte des Neuen Testamentes tun. Der Apostel Paulus etwa schreibt über das Schicksal der Verstorbenen: „Wir wollen euch über die Entschlafenen nicht in Unkenntnis lassen, damit ihr nicht trauert wie die anderen, die keine Hoffnung haben. Denn wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, so wird Gott die Entschlafenen durch Jesus in die Gemeinschaft mit ihm führen.“ (1. Thess 4,13-14). Wenn man so will, dann ist das ein theologischer Erklärungsversuch zu „Amoi seg’ ma uns wieda“ von Paulus. Der Apostel setzte damit unsere eigene Auferstehung – unser Leben bei Gott nach dem Tod – in direkte Verbindung mit Christi Tod und Auferstehung.

Wie verhält es sich mit dem Wiedersehen, von dem im Lied die Rede ist?

Dass es um ein Wiedersehen geht, spricht mir als Christ aus dem Herzen. Für mich hat dieses Wiedersehen einen doppelten Charakter. Zum einen kommt hier die Überzeugung zum Ausdruck, dass wir die Verstorbenen wiedersehen werden. Zum anderen schließt dieses „Wiedersehen“ auch ein Heimkommen ein. Der Songwriter nennt es das „Zum-Ursprung-Zurückkehren als Kind“. Wer aber zurückkehrt, der kennt den Ort schon. Er ist ihm vertraut, bekannt und wohl auch lieb. Als Christ lebe
ich aus dem Glauben, dass uns das von Gott geschenkte Leben nicht genommen, sondern gewandelt wird und dass „Gott alles in allem sein wird“ (1. Kor 15,28). Einen Ursprung und ein Ziel zu haben und zu kennen, lässt mich auch die Vergänglichkeit meines Körpers annehmen, mit dem ich mich auf Erden mitgeteilt habe und der wesentliche Ausdrucksform meines Menschseins ist.

Gabalier singt auch davon, dass „von oben zugeschaut“ wird. Da wird’s dann aber abenteuerlich…

Kommt darauf an, wie man das sieht. Für mich kommt da die Überzeugung zum Ausdruck, dass das Weiterleben bei Gott nach allem Irdischen eng mit dem Leben derer verbunden ist, die noch auf dem Weg sind. Sind die Verstorbenen nicht ein Teil meines Lebens, wenn sie sich zwar hier nicht mehr leiblich und in der gewohnten Weise mitteilen können? So erleben und erzählen es vor allem viele Trauernde immer wieder. Sie berichten von Situationen, in denen sie sich dem Verstorbenen besonders nahe wissen oder ihn sogar „fühlen“. Dies zu belächeln oder als „Hirngespinst“ abzutun, liegt mir als Seelsorger fern. Die Kirche kennt bei Beisetzungen den tiefgreifenden Satz: „Deinen Gläubigen, o Herr, wird das Leben gewandelt, nicht genommen.“ Spricht daraus nicht dieselbe Erfahrung wie sie Menschen in ihrer Zeit der Trauer und des Abschieds machen?

„Auf meine oitn Tag leg i mi dankend nieder und moch für olle Zeitn meine Augen zua!“: Stimmt ja nicht. Viele sterben nicht erst auf ihre alten Tage, sondern schon in jungen Jahren. Was sagen Sie dazu?

Zunächst würde ich sagen, der Satz drückt Gabaliers Sicht von einem geglückten und erfüllten Leben aus: In Würde und ohne Schmerzen alt werden dürfen und dann schnell und gut sterben können. Die Wirklichkeit sieht in der Tat oft anders aus, und wir müssen damit zurechtkommen. Nicht wenige quälen dann die Fragen nach dem „Warum?“, „Warum? Warum gerade ich? Warum gerade jetzt? Warum gerade so?“. Fragen, denen wir nicht ausweichen dürfen, die aber zumindest hier unbeantwortet bleiben. Glaubende wie nicht-glaubende Menschen fordern sie auf gleiche Weise heraus. Und doch denke ich, wie gut es eingerichtet ist, dass allen lebendigen Wesen zwar der Tod ins Stammbuch geschrieben steht, sie aber nicht wissen, wann und wie er sie trifft. Wie könnten wir leben, arbeiten, lachen, lieben und feiern, wie uns des Lebens erfreuen, wenn uns Tag und Stunde bekannt wäre? Nun aber dürfen wir „leben“ ohne „wann“ und „wie“ zu kennen. Jesus spricht einmal davon, dass er für die Seinen Leben bereithält, und zwar „Leben in Fülle“ (Joh 10,10), aber er vertröstet seine Zuhörer damit nicht, denn wir können schon auf Erden Anteil an diesem erfüllten Leben haben.

Was verstehen Sie unter „erfülltem Leben“?

Wir Menschen bestimmen allzu gern selbst, was erfülltes Leben ist. Ist es wirklich die Länge, also wie alt wir werden? Was ist dann mit denen, die jung sterben oder auf tragische Weise aus dem Leben scheiden, die sich nicht „auf ihre oitn Tag dankend niederlegen“ können? „Du kannst deinem Leben nicht mehr Tage geben, aber deinen Tagen mehr Leben“: Dieser bekannte Satz bringt auf den Punkt, was auch viele Texte des Alten Testaments sagen. Erfülltes Leben ist keine Frage der Zeit. In der Begleitung von unheilbar Kranken oder Hinterbliebenen von auf tragische Weise zu Tode gekommenen, durfte ich immer wieder erfahren, dass sie ihr Leben oder das ihrer Angehörigen sehr oft als „erfüllt“ und „erfüllter“ ansahen und sich beziehungsweise sie „dankend niederlegen“ konnten; manchmal sogar „dankend hineinlegen“ in die Hände Gottes. Gabaliers Lied atmet für mich die gleiche Hoffnung. Und auf die Hoffnung kommt es an.

Warum gibt es Grund zur Hoffnung? Gibt es etwas, das den Tod überdauert? Haben wir eine bleibende Identität?

Gabaliers Song lädt ein, nach der eigenen Hoffnung zu fragen. Als Christ und Priester lese ich in seinen Zeilen auch die Frage: „Glaube ich, dass Jesus Christus von den Toten auferstanden ist? Kann ich glauben, dass mir das Gleiche am Ende meines irdischen Lebens zuteilwird?“ Für Christen ist das Leben nach dem Tod Dreh- und Angelpunkt des gesamten Glaubens. Der Apostel Paulus bringt das auf den Punkt, wenn er sagt: „Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer, leer auch euer Glaube.“ (1. Kor 15,14) Andere Übersetzungen sagen sogar „… dann ist euer Glaube vergeblich“ oder „sinnlos“. Was Christen in der Bibel von der Auferstehung lesen, ist unmissverständlich und erklärt den christlichen Auferstehungsglauben als ein Weiterleben der menschlichen Existenz. Der auferstandene Christus lässt sich in den Ostererzählungen von seinen Jüngern nicht nur sehen, sondern berühren, ja er isst sogar mit ihnen (vgl. Lk 24, 39-42). Jesus fordert sie auf, ihn anzufassen, Fleisch und Knochen zu fühlen und so zu „begreifen“! Die Leiblichkeit nach dem Tod ist etwas ganz Wesentliches und sie ist etwas anderes als Körperlichkeit. Leiblichkeit im christlichen Sinn meint den ganzen Menschen, wie er von Gott bestimmt ist, nicht ein Körper im medizinischen Sinne, sondern ein beseeltes Wesen, von Gott ganz geschaffen zum Heil-Sein und Ganz-Sein. Ich möchte mich doch auch bei Gott mitteilen, sichtbar und erfahrbar sein. Darum widerspreche ich Gabaliers Refrain an der Stelle, wenn er singt: „Und moch für olle Zeitn meine Augen zua.“ Ich möchte meine Augen bei Gott wieder aufmachen, sehen und gesehen werden, wie immer das auch ausschauen mag.

Dann geht christliche Hoffnung über Gabaliers Lied hinaus?

Christliche Hoffnung geht viel weiter. Es gibt noch eine Liedzeile, die ich anders sehe als Gabalier. Es ist die Sache mit der Erinnerung. Wie schnell sind wir angesichts des Todes bei der Hand zu sagen: „Wir werden den Verstorbenen in Erinnerung behalten!“ Wir meinen damit unsere beschränkten Erlebnisse und Erfahrungen, die wir mit ihm machen durften und konnten. In die Erinnerungen mischen sich Licht- und Schattenseiten, und hoffentlich überwiegen die positiven Erinnerungen. „Ois wos bleibt ist die Erinnerung“: Wenn das wahr wäre, sind wir einem „zweiten Tod“ ausgeliefert, der noch „grausamer“ sein würde als der „erste“. Was passiert mit dem vor uns Verstorbenen, wenn wir einmal sterben und damit auch alle Erinnerung an ihn? Dem Philosophen Immanuel Kant werden die Worte zugeschrieben: „Wer im Gedächtnis seiner Lieben lebt, der ist nicht tot, der ist nur fern; tot ist nur, wer vergessen wird.“ Gut für mich, dass mir der christliche Glaube eine Alternative anbietet, denn es gibt nicht nur etwas nach diesem Leben, sondern vor allem „EINEN“. Es gibt „EINEN“, der keinen Anfang und kein Ende hat, bei dem eine Erinnerung nie verblassen oder gar verloren gehen kann, geschweige denn „mit uns sterben“ muss. Und bei diesem „EINEN“ sind die Erinnerungen, alles was das Leben der Verstorbenen ausgemacht hat, wunderbar geborgen und aufgehoben. Was unser menschlicher Verstand nur für die kurze Zeit seines Lebens fassen und behalten kann, wird von Gott auf einmalige Weise aufgefangen und uns zur Verfügung gestellt, wenn wir uns einmal wiedersehen.

Text: Andreas Gabalier I Fotografie: Malte Christians

„Amoi seg’ ma uns wieda"

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Uns oin is die Zeit zu gehen bestimmt
Wie a Blattl trogn vom Wind geht’s zum Ursprung zruck als Kind
Wenn des Bluat in deine Adern gfriert
Wie dei Herz aufhört zum Schlogn und du aufi zu die Engerl fliagst
Dann hob ka Angst und loss di anfoch trogn
Weil es gibt was nach dem Lebm, du wirst scho seg’n

Amoi seg’ ma uns wieder
Amoi schau i a von obm zua
Auf meine oitn Tag leg i mi dankend nieder
Und moch für olle Zeitn meine Augen zua

Ois wos bleibt ist die Erinnerung
Und schön langsam wird da kloar, dass nix mehr is wias woar
Dann soll die Hoffnung auf a Wiedesehn
Mir die Kroft in mein Herzschlog legn, um weiter zu lebm

Amoi seg’ ma uns wieder
Amoi schau i a von obm zua
Auf meine oitn Tag leg i mi dankend nieder
Und moch für olle Zeitn meine Augen zua

A Liacht sui da leichtn bis in die Ewigkeit
Zur Erinnerung an die Lebenszeit.

Amoi seg’ ma uns wieder
Amoi schau i a von obm zua
Auf meine oitn Tag leg i mi dankend nieder
Und moch für olle Zeitn meine Augen zua
Auf meine oitn Tag leg i mi dankend nieder
Und moch für olle Zeitn meine Augen zua