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Ausgabe 06 Freundschaft

Claus Hipp – Bio-Pionier aus Überzeugung

Lesedauer: ca. 11 Min.

Autor: Tobias Liminski | Portraitfotografie: Bayerischer Rundfunk

Bio-Pionier aus Überzeugung

Claus Hipp ist einer der bekanntesten Unternehmer Deutschlands. Zusammen mit seinen Söhnen leitet er nach wie vor das Unternehmen HiPP-Babynahrung. Er ist Familienmensch, Bauer,  Unternehmer, Musiker, Maler, Professor. Grandios sprach mit ihm über Identität, Verantwortung und Pioniergeist.

- GRANDIOS

Guten Morgen, Professor Hipp. Was verstehen Sie persönlich unter Identität?

- CLAUS HIPP

Identität ist für mich dann gegeben, wenn das Handeln und Tun eines Menschen nicht im Widerspruch zu seinen Versprechen steht.

Wie haben Sie Ihre Identität entwickelt?

An das Wort Identität habe ich nie gedacht. Ich bin, wie ich bin und versuche nicht, künstlich irgendeine andere Person darzustellen.

Viele Menschen verbinden mit der Marke HiPP Kindheitserinnerungen. Welche Rolle spielt die Kindheit bei der Identitätsfindung?

Die Kindheit ist für Menschen prägend. Das geht schon bei der Ernährung los: Was die Mutter gekocht hat, schmeckt ein Leben lang. Wenn der Mensch später irgendwo etwas zu essen bekommt, was der Nahrung seiner Kindheit ähnlich schmeckt, dann fühlt er sich geborgen und angenehm berührt. Die Kindheit ist auch in religiöser Hinsicht prägend, denn was am Anfang gesät wird, das kann dann im Laufe des Lebens wachsen.

Welche Kindheitserinnerungen haben Sie am stärksten geprägt, und welche Rolle spielte dabei die Religion?

Die Religion war bei uns Teil des Lebens, wir haben das Kirchenjahr von den Feiertagen her gelebt, auch das Brauchtum und die Gesänge zur jeweiligen Jahreszeit. Das war Bestandteil unseres Familienlebens und nicht wegzudenken.

Sie haben mit 16 Jahren den elterlichen Bauernhof übernommen und wurden mit knapp 30 geschäftsführender Gesellschafter eines großen Unternehmens. Wie hat Sie das geprägt?

Zu Hause haben wir immer übers Geschäft gesprochen, alle Probleme wurden am Esstisch diskutiert. Als ich 29 Jahre alt war, ist mein Vater gestorben. Es war kein Problem da weiterzumachen, mir war alles bekannt und ich habe dann einfach überlegt, was der Vater gemacht hätte. Manchmal habe ich auch etwas anders gemacht. Aber die Zeit hat sich ja auch geändert und es ist gut gegangen.

Das war für einen jungen Menschen eine hohe Verantwortung. Hat Sie das nie belastet?

Es hat mir immer schon Freude gemacht, Verantwortung zu tragen. Das ging in der Schule los, als Schulsprecher und Klassensprecher, später als Student ebenso. Ich finde es schön, Verantwortung tragen zu dürfen.

Name als Verpflichtung

Sie stehen mit Ihrem Namen für eine große Marke. Was verbinden Sie persönlich mit dem Namen Hipp?

Mit unserem Familiennamen verbinde ich Verantwortung als Mitglied einer Generation. Unter vielen Generationen, die vorher schon waren. Und es werden sicher auch nach mir noch viele Generationen sein. Wir tun alles, um diesen Namen nicht zu beschädigen.

Ihre fünf Kinder heißen alle nach Heiligen der Kirche. Was wollten Sie ihnen dadurch mitgeben?

Es ist gut, eine persönliche Beziehung zu einem Namenspatron zu haben. Die Heiligen sind ja Persönlichkeiten, die irgendwie vorbildlich gelebt haben, und diese Vorbildfunktion des Namenspatrons, die sollte auch weiter positiv wirken.

Sie sind ein Vorbild für viele – war das, war Ihr berühmter Name je eine Belastung?

Er war immer eine Verpflichtung, die ich aber gern auf mich genommen habe. Nur in meinem Nebenberuf als Maler war der Name eine Belastung. Da hat es schon manchmal geheißen: „Warum muss der denn malen, er soll doch seinen anderen Beruf machen und uns nicht das Brot wegnehmen“. Ich hab dann immer erklärt, dass ich, wenn ich Bilder verkaufe, das Geld wieder in junge Künstler investiere, so bleibt es den Künstlern erhalten.

Was macht in Ihren Augen die Identität der Marke HiPP aus?

Es ist uns wichtig, dass unsere Verbraucher Vertrauen in unsere Produkte haben, und Vertrauen heißt, immer entsprechend zu reagieren. Es kann bei uns auch mal ein Fehler passieren, aber der Verbraucher kann darauf vertrauen, dass wir reagieren und möglichen Schaden abwenden.

Die Marke HiPP konnten Sie aktiv mitgestalten – kann man menschliche Identität gestalten? Oder ist die in erster Linie etwas Vorgegebenes, eine Art Veranlagung?

Sie können an Ihrer Identität arbeiten, und Sie können alles tun, dass niemand enttäuscht wird. Enttäuscht kann nur jemand werden, der vorher einmal getäuscht wurde.

Streben nach Wahrheit statt Macht der Bilder

Viele junge Menschen heute sind auf der Suche nach ihrer eigenen Identität, es fällt ihnen schwer, sie zu entdecken und zu entfalten. Was raten Sie ihnen?

Jungen Leute sollten alles tun, ihre Persönlichkeit zu entwickeln. Die Identität zeigt sich dann von selbst. Sie sollten an sich arbeiten, möglichst viel Wissen aufnehmen und lernen, das Wissen richtig anzuwenden. Sie sollten sich nicht abbringen lassen vom Werte-Denken, vom Streben nach der Wahrheit. Sonst wird es mit der Identität schwierig, weil dann die Glaubwürdigkeit verloren geht.

Zwingt das Leben – gerade auch das Geschäftsleben – nicht dazu, sich auch anzupassen? Sich selbst immer treu zu bleiben, ist da doch schwierig.

Wertetreu, das ist die Grundvoraussetzung. Wenn es etwas Besseres gibt, kann Anpassung durchaus nützlich sein. Aber sich einer Situation anzupassen, die schlechter ist, das ist zu vermeiden.

Kann es sein, dass die Macht der Bilder, im Fernsehen oder in den sozialen Medien, es heutzutage schwer macht, bei Werten und tiefen Überzeugungen zu bleiben oder sie zu finden?

Die Macht der Bilder ist eine Möglichkeit, Information zu vermitteln, die es früher in dem Maß nicht gegeben hat. Das gilt es zu nutzen und einzusetzen, dann kann es sehr positiv sein.

Aber die Macht der Bilder kann auch zu einer Überflutung führen, kann einen verunsichern...

Die Macht der Bilder kann zu einer Versuchung werden, kann verführen, vom richtigen Weg ablenken. Darum müssen wir schauen, dass sie immer als Bilder gesehen werden, nicht als Realität.

Sie unterrichten junge Menschen, in Ihrem Betrieb, in Tiflis an der Universität in Wirtschaftslehre, junge Künstler. Was ist in Ihren Augen heute besonders wichtig für junge Menschen?

Junge Menschen sollen lernen, das Wesentliche, worauf es ankommt, schnell zu erkennen und sich darauf zu konzentrieren. Sie sollen nicht der Versuchung verfallen, viele Worte um wenig Sinn zu machen.

Schlüpft man da nicht auch zwangsläufig in verschiedene Rollen? Was ist der Unterschied zwischen Rolle und Identität?

Eine Rolle ist dann nötig, wenn ich mit unterschiedlichen Menschen spreche. Wenn ich mich mit Bauern unterhalte, dann werde ich anders sprechen, als wenn ich eine Sitzung von Geschäftsleuten leite. Eine Anpassung an die Wortwahl, an die Art und Weise, wie die Menschen angesprochen werden, das schadet der Identität nicht.

Sie haben viele Interessen, viele Talente. Sind das verschiedene Facetten einer Identität oder sind es verschiedene Identitäten?

Ich habe eine Identität, aber die ist vielseitig.

Claus Hipp

  • Geboren 1938 in München
  • Promovierter Volljurist
  • Seit 1968 geschäftsführender Gesellschafter der HiPP-Babynahrung Betriebe in Pfaffenhofen (3500 Mitarbeiter, 950 Mio. Euro Umsatz)
  • Honorarkonsul von Georgien für Bayern, Baden.Württemberg und Thüringen
  • Lehrt als Professor Betriebswirtschaft an der Staatlichen Universität und Malerei an der Kunstakademie in Tiflis/Georgien
  • Vielfach ausgezeichnet für sein gesellschaftliches und ökologisches Engagement, zuletzt mit dem Deutschen Corporate Social Responsability CSR Preis

Menschlichkeit aus Überzeugung

Heute dominiert ein anderes Thema die politischen Debatten in Deutschland, es herrscht eine große Orientierungslosigkeit. Viele sprechen von einer „Angst vor Überfremdung“. Worauf führen Sie das zurück?

Also, wir waren in Bayern immer ein Zuwanderungsland. Die Bajuwaren sind hierher gekommen, die Kelten wurden vertrieben, dann sind die Römer gekommen, nach dem Zweiten Weltkrieg die Mitbürger aus dem Osten. Ich erinnere mich an die Volksschulzeit: alle paar Wochen hatten wir einen neuen Lehrer, das war nie einer aus Bayern. Wir haben etwas über das Riesengebirge und Rübezahl gelernt, aber nichts von der bayerischen Geschichte.

Später kamen die Türken, ohne die Türken hätte sich unsere Wirtschaft nicht so blühend entwickelt. Deren nächste Generation, die hier schon geboren ist, die sind heute in Führungspositionen. Das geht relativ schnell.

Vor 30 Jahren haben wir mal Boatpeople aus Vietnam aufgenommen. Ich sagte damals: „Wir nehmen die drei kinderreichsten Familien.“

Das waren dann 35 Köpfe, und es ist gut gegangen. Es waren Christen, die sind dann in die Kirche gegangen und haben sich integriert. Aber das war halt eine überschaubare Menge, und wenn die Zuwanderung zu stark ist, dann entsteht Angst, dass die eigene Identität verloren geht.

Kann man dagegen etwas tun? Kann man seine eigene Identität stärken, um besser zusammen leben zu können?

Es gehört zu unserer Identität, freundlich zu den Mitmenschen zu sein, zu helfen, wo wir helfen können, auch wenn sie von woanders herkommen.

Sie haben eine große Familie, fünf Kinder und zwölf Enkel. Was geben Sie besonders Ihren Enkeln mit, für die Zukunft, für deren Entwicklung?

Ich hoffe, dass sie im Glauben stark sind und dadurch eine Basis haben, auf der sich alles andere von selbst ergibt. Natürlich müssen sie einen Beruf lernen und eine entsprechende Ausbildung haben. Aber sie sollen auch Freude am Leben haben, auch Freude am Essen, das gehört dazu.

Bei alldem, was Sie in einer Woche, an einem Tag schaffen – wie viele Stunden Schlaf brauchen Sie eigentlich?

Ich brauch’ schon viel Schlaf, acht Stunden brauche ich schon.

Sie gehen also abends früh ins Bett, denn Sie stehen morgens sehr früh auf...

Genau, ich geh früh ins Bett – die meiste Zeit wird am Abend vergeudet.

Das scheint Sie gesund zu halten! Wir wünschen Ihnen alles Gute und danken Ihnen für das Gespräch.

Gerne.

Rollenspiele

Welche Rolle oder Aufgabe ist Ihnen in Ihrem Leben die liebste gewesen?

Schon als StudentIch habe ich sehr gerne beim Film gearbeitet. Da schlüpft man richtig in eine andere Rolle. Und sonst – hatte ich immer gern eine Führungsrolle.

Welcher Teil Ihrer Identität kommt in Ihrer Kunst zum Ausdruck?

In meinen Arbeiten kommt der ganze Mensch zum Ausdruck, in seiner Vielseitigkeit und auch in wechselnden Stimmungen. Die Form ist mir wichtiger als die Farbe, aber die Bilder sind gegenstandslos.

Gibt es Teile Ihrer Identität, die Sie phasenweise nicht so leben konnten, wie Sie es gern getan hätten?

Aber sicher gibt’s diese Teile, die ich nicht so leben konnte, die ich unterdrücken musste, denn als Mensch bin ich auch voller Schwächen. Ich strebe danach, die Schwächen zu unterdrücken.

Können Sie ein Beispiel nennen?

(lacht): Das sage ich lieber im Beichtstuhl.

Mit der Festlegung auf die ökologische Landwirtschaft schon in den 50er Jahren waren Sie ein Pionier der Nachhaltigkeit. Woher rührte der Mut, sich derart gegen den Zeitgeist zu stemmen?

Wir waren Pioniere aus der Überzeugung heraus, dass wir nur dann qualitativ hochwertige Produkte herstellen können, wenn gewisse Dinge in der Landwirtschaft keine Anwendung mehr finden. Heute brauchen wir nicht mehr zu kämpfen wie früher, denn die Erkenntnis hat sich durchgesetzt. Jetzt kümmern wir uns neben dem biologischen Landbau hauptsächlich um den Erhalt der Artenvielfalt: Bei uns in der Landwirtschaft wurden verschiedene Vogelarten und Insekten gezählt, die auf der Roten Liste stehen, und solche, die das letzte Mal vor 25 Jahren irgendwo in Deutschland gesichtet wurden. Die Natur erholt sich also, wenn man ihr die Chance dazu gibt. Da wollen wir Überzeugungsarbeit leisten, dass es mit wenig Geld durchaus Wege gibt, die es sich lohnt zu beschreiten.

Sind Sie ein Grüner?

(zwinkert): Wenn Sie die Partei meinen, dann haben wir die Grünen schon mit Bioprodukten großgezogen… Tatsächlich ist die Bewegung für Umweltschutz und Nachhaltigkeit von der Wirtschaft ausgegangen. Heute meinen manche, sie wären die Autoren gewesen. Aber die waren damals noch Kinder oder noch gar nicht geboren, da haben wir das schon gemacht.

Ging die Bewegung von der Wirtschaft oder von der Landwirtschaft aus?

Von der Wirtschaft. Die Landwirtschaft war ursprünglich dagegen, die mussten wir erst überzeugen. Ich weiß noch, der frühere bayerische Landwirtschaftsminister Dr. Hans Eisenmann, den ich sehr geschätzt habe, der hatte mit biologischem Landbau gar nichts am Hut, war überzeugter „Konventioneller“. Und der hat zu mir damals gesagt: „Ja, wenn Sie das Zeug verkaufen können, dann machen Sie es, aber ich halte es für einen Schmarrn.“

Sie hatten langfristig Recht…

Ja, wir haben Recht behalten.

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