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Ausgabe 05 Geschenk

„Olympiasiegerin war mein Lebenstraum.“

Lesedauer: ca. 10 Min.

Autor: Tobias Liminski, Johannes Seemüller | Fotografie: Bernhard Spoettel, Picture Alliance

„Olympiasiegerin war mein Lebenstraum.

DIE GEBURT MEINER TOCHTER EINE STUFE DRÜBER“

Magdalena Neuner ist fast nie zu spät. Das war schon so, als sie als Biathletin Karriere machte. Da war die inzwischen zweimalige Olympiasiegerin und zwölfmalige Weltmeisterin, die bereits mit 25 Jahren ihre sportliche Laufbahn beendet hat, häufig als Erste im Ziel. Auch jetzt ist sie bereits eine halbe Stunde vor dem verabredeten Interviewtermin da. Sie ist zu Fuß ins Parkhotel in ihrem Heimatort Wallgau gekommen. Am Vormittag war sie drei Stunden auf der Baustelle ihres Hauses. Jetzt freue sie sich auf das Gespräch mit GRANDIOS, sagt sie.

GRANDIOS:

Magdalena Neuner, sieben Jahre nach Ihrem Karriereende zählen Sie in Umfragen noch immer zu den beliebtesten Sportlerpersönlichkeiten Deutschlands. Wie wichtig ist es Ihnen, beliebt zu sein?

MAGDALENA NEUNER:

Magdalena Neuner: Es ist nicht so wichtig, aber ich finde es schön. Ich empfinde da einen Mix aus Freude und Demut. Es ist für mich nach wie vor erstaunlich, dass der Beliebtheitsgrad immer noch so hoch ist. Die Leute mögen mich noch. Obwohl meine Karriere schon ein paar Jahre zurückliegt. Das freut mich sehr. Darauf bin ich auch stolz.

„Nein – ich bereue es nicht“

Sie haben mit erst 25 Jahren auf dem Höhepunkt Ihrer Karriere Ihren Rücktritt erklärt. Warum?

Die Gründe sind nicht einfach in Worte zu fassen. Es war mehr ein Bauchgefühl. Nach den Olympischen Spielen 2010 hat sich das über zwei Jahre entwickelt. Das war ein Prozess. Meine Einstellung zum Sport hat sich verändert. Ich habe gespürt: Meine Ziele sind eher privat. Ich sehe mich eher in anderen Rollen, nicht mehr so sehr als Profisportlerin. Um die Karriere abzurunden, habe ich mir die Heimweltmeisterschaft 2012 in Ruhpolding als Ziel vorgenommen. Es hat mich nochmal motiviert, da dabei zu sein. Aber ich wusste: danach kommt etwas Neues. Meine Entscheidung bereue ich nicht.

War der Druck, der während einer solchen Karriere auf Ihnen lastete, auch ein Beweggrund?

Nein. Der Druck war kein Grund. Über die Jahre bin ich immer besser damit zurechtgekommen. Klar, am Anfang hat mich dieser Druck förmlich erdrückt. Ich war frisch im Team und schon so erfolgreich. Die Leute haben sich auf mich gestürzt. Jeder hat gute Leistungen erwartet. Ich habe früh angefangen, die Themen Druck und Erwartungen mit einem Mentalcoach aufzuarbeiten. Dadurch habe ich gelernt, damit umzugehen. Erst nach meiner Karriere wurde mir richtig bewusst, welchem Druck ich die ganze Zeit ausgesetzt war. Als Profisportler setzt man sich immer auch selbst unter Druck: Gesund sein, trainieren, immer besser werden. Das ist schon enorm.

Während Ihrer aktiven Laufbahn wurden Sie wiederholt von Stalkern belästigt. Was hat diese Erfahrung mit Ihnen gemacht?

Ganz viel! Das hat mir Angst eingejagt. Ich habe mich gefragt, was in diesen Menschen vorgeht. Ich konnte nicht nachvollziehen, warum Menschen so etwas tun. Ich hatte drei solcher Fälle. Die waren sehr unterschiedlich und teilweise ziemlich heftig. In dieser Zeit hatte ich einfach nur Angst, wenn ich aus dem Haus ging oder abends unterwegs war. Rückblickend kann ich sagen: diese Erfahrung hat mich gestärkt. Ich kann jetzt besser mit Angst umgehen. Ich kann viel klarere Grenzen ziehen. Ich hätte auf diese Erfahrungen gerne verzichtet, aber der Umgang damit hat auch viel ins Positive verändert.

„Weihnachten ohne Christmette ist für mich undenkbar“

Jetzt, nach Ihrer sportlichen Karriere, sind Sie freier, wie Sie sagen. Wie äußert sich das?

Ich genieße es, mein eigener Herr zu sein. Als Sportler hat man seine Verpflichtungen und ist sehr gesteuert – vom Verband, von Wettkampf- und Trainingsplänen. Als ich aufgehört habe, konnte ich meine Zeit auf einmal völlig frei planen. Da habe ich mich oft gefragt: „Was mache ich jetzt eigentlich mit meiner Zeit?“. Man lebt erst einmal in den Tag hinein und stellt dann fest: das funktioniert nicht. Man muss sich den Tag strukturieren. Da bin ich aber recht schnell reingewachsen. Inzwischen genieße ich es, dass ich meine Termine selbst planen kann. So richtig kann ich das erst seit eineinhalb Jahren, seit ich komplett selbständig bin. Das ist ein gutes Gefühl.

Sie sind in einem katholischen Elternhaus in Wallgau aufgewachsen. Wie war das für Sie als Kind?

Als ich als Kind sonntags morgens in die Kirche gehen musste, habe ich manchmal gedacht: „Ich möchte aber lieber ausschlafen. Warum muss ich am Sonntag immer aufstehen?“. Andererseits hat mir diese Regelmäßigkeit viel gegeben. Sonntags sind wir in die Kirche. Danach sind wir heim, und Mama hat für uns alle gekocht. Als Kind war mir diese Regelmäßigkeit wichtig. Dieses bodenständige und fest gefügte Leben mit dem Glauben. Weihnachten ohne Christmette ist für mich undenkbar. Das gehört einfach dazu. Diese Rituale aus der Kindheit begleiten einen im Leben weiter. Das prägt mich auch jetzt als Mama. Ich möchte meinen Kindern die Werte, die ich als Kind vermittelt bekommen habe, weitergeben.

Magdalena Neuner:

Weltcupdebüt

13. Januar 2006

Weltcupsiege

47 (34 Einzelsiege)

Karriereende

8x Gold 4x Silber 2x Bronze

Olympische Medaillien (Vancouver 2010)

2x Gold 1x Silber

WM-Medaillen

12x Gold 4x Silber 1x Bronze

DM-Medaillen

8x Gold 4x Silber 2x Bronze

SWM-Medaillen

3x Gold

EM-Medaillen

1x Bronze

JWM-Medaillen

7x Gold 4x Silber

Welche Glaubenselemente geben Sie als Mutter Ihren Kindern weiter?

An Weihnachten gehen wir in die Kindermette. Danach sind wir bei uns zum Abendessen und zur Bescherung. Ganz gemütlich, so wie man sich das vorstellt. Das gilt auch für Ostern – mit Ostereiersuche, Kirche und Osterkonzert. Wir essen mit der ganzen Familie. Am Nachmittag ist dann die Verwandtschaft da. Diese Feste sind immer auch verbunden mit Familie und Verwandtschaft. Man trifft sich und feiert gemeinsam. Für uns ist es unvorstellbar, an Weihnachten nach Thailand zu fliegen oder es ganz anders zu machen.

Ich glaube, die Werte, die ich als Kind aus der Kirche und dem religiösen Leben mitbekommen habe, sind auch heute wichtig: Seinen Mitmenschen nichts Böses zu tun, fair miteinander umzugehen, Respekt vor anderen Menschen zu haben. Bei uns hieß es früher noch oft: dies tut man nicht, jenes macht man nicht. Heute finde ich, Kinder sollten sich doch ein Stück weit so entfalten, wie sie sind. Sicher brauchen sie klare Grenzen. Aber mir ist wichtig, dass die Kinder ehrlich sind, dass sie respektvoll mit ihren Mitmenschen umgehen und sich trotzdem nicht immer nur beugen und nur etwas tun, weil man es halt tut. Freilich, wenn meine Kinder im Kindergarten hauen, dann schimpfe ich auch. Aber wenn mein Kind etwas anders möchte als ich, dann muss ich es auch manchmal respektieren.

Jeder entwickelt sich weiter als Persönlichkeit. Auch der Kinderglaube muss erwachsen werden. Woran glauben Sie heute – mit 32 Jahren?

Ich habe mich da schon sehr entwickelt, vielleicht auch ein bisschen in eine andere Richtung als ich es früher gelernt habe. Ich habe zum Beispiel ein Problem damit, wenn ich in die Kirche gehe und am Anfang gleich sagen muss, dass ich ein Sünder bin und dass ich bereue und so. Dieses Unterwürfige behagt mir nicht. Ich glaube, dass Gott uns so liebt, wie wir sind. Das ist ja auch das, was der Glaube vermittelt. Für mich ist es wichtig zu wissen, dass es eine Kraft gibt, die uns leitet und uns im Leben führt. Da sind mir konfessionelle Unterschiede nicht so wichtig. Rechthaberei zwischen Gläubigen oder wenn sich Menschen wegen ihrer Religion bekämpfen, macht mich traurig. Aber ich gehe gerne in die Kirche. Meine Kinder sind getauft und wir haben kirchlich geheiratet. Das ist mir unheimlich wichtig. Ich möchte auch, dass meine Kinder in diesem Glauben aufwachsen und trotzdem über den Tellerrand hinausschauen.

Inwieweit sind Ihre eigenen Eltern Vorbild für Sie?

Ich rufe gerne meine Mama an, wenn es Fragen gibt. Mein Mann und ich sind hier sehr bodenständig aufgewachsen. Trotzdem sind Familien immer unterschiedlich. Und jeder erlebt seine Erziehung anders. Ich komme aus einem sehr liebevollen, aber trotzdem strengen Elternhaus. Es gab klare Regeln. Wir sind vier Geschwister, da musste man schon klare Regeln aufstellen. Aber Konflikte sind nie mit Gewalt gelöst worden. Es wurde immer miteinander gesprochen. Ich merke bei meinen eigenen Kindern, dass ich mich darauf zurückbesinne. Ich frage mich: „wie hätten das meine Eltern gemacht? Wie ist meine Mama damit umgegangen?“ Sicher macht man manches dennoch anders und versucht auch das, was man als Kind nicht so gut fand, anders zu handhaben.

Sie haben drei Geschwister, einen älteren Bruder sowie eine jüngere Schwester und einen jüngeren Bruder. Alle leben hier in der Region. Wie wichtig sind dabei Nähe und Distanz?

Meine Geschwister sind für mich ein Geschenk. Wir haben ein tolles Verhältnis. Ich finde es schön, Menschen hier zu haben, mit denen man sich gerne trifft. Ich genieße das total. Trotzdem bin ich die Einzige in unserem Familienclan, die immer mal wieder ausbricht. Das war schon als Jugendliche so, weil ich durch den Sport viel unterwegs war. Ich komme ja aus einer Sportler- und Musikerfamilie. Wir teilen alle die Leidenschaft für den Sport und die Musik. Meine Mama war eine sehr gute Langläuferin. Mein großer Bruder ist ein sehr guter Sportschütze, meine jüngeren Geschwister sind auch in der Loipe und im Schießstand unterwegs. Meine Schwester war bis vor drei Jahren auch Profi-Biathletin.

Mein Vater war lange Zeit Dirigent unserer hiesigen Musikkapelle, in der auch meine Brüder und mein Mann mitspielen. Ich selbst mache auch Musik, aber der Sport lag mir irgendwie mehr am Herzen. Dadurch bin ich aus diesem „Clan“ ein bisschen ausgebrochen. Mein Mann kommt auch hier aus dem Ort. Auch er hat hier seinen „Clan“. Ich finde das toll. Wir gehen halt einfach mal schnell zur Schwiegermutter rüber. So ist das auf dem Dorf. Die Anonymität der Stadt kann ich mir nicht vorstellen. Ich kenne das nicht. Dennoch freue ich mich riesig, wenn ich zum Beispiel mal drei Tage in Hamburg bin. Da bin ich dann mal für mich und kann aus dem Dorfleben ausbrechen. Hätte ich das nicht, würde es mir schon sehr fehlen. Aber zu wissen: hier bin ich zu Hause, hier sind meine Wurzeln – diese Balance tut mir total gut.

„Als meine Tochter auf die Welt kam, wusste ich, wofür ich eigentlich da bin“

Seit einiger Zeit haben Sie Ihre eigene Familie. Sie sind verheiratet und haben zwei Kinder, Verena (geb. 2014) und Josef (geb. 2016). Empfinden Sie Ihre Kinder als Geschenk?

Ja, das kann ich ganz klar so sagen. Ich habe mir immer Kinder gewünscht. Als meine Tochter auf die Welt kam, war das der Moment, in dem ich dachte: „Jetzt weiß ich, wofür ich eigentlich da bin.“ Ich habe im Sport viel erreicht. Es war immer mein größter Lebenstraum, Olympiasiegerin zu sein. Aber als meine Tochter auf der Welt war, war das einfach nochmal eine Stufe drüber.

Wie war es, als Sie das erste Mal Mama geworden sind? Und wie war es beim zweiten Kind?

Es war natürlich unterschiedlich. Beim ersten Kind weiß man ja nicht, was auf einen zukommt. Alles ist neu und überraschend. Ich habe die Kleine immerzu angeschaut und konnte es irgendwie gar nicht fassen, dass das jetzt unser Kind ist. Das kennen bestimmt viele, dass man erst mal nichts anderes tun kann, als dieses Kind anzuschauen und auf den Arm zu heben. Ich glaube, dass die Liebe zu dem Kind, sobald man es auf dem Arm hält, riesig ist und mit nichts zu vergleichen. Es ist ein ganz tolles Gefühl. Ich habe das unheimlich genossen. Als dann unser zweites Kind zur Welt kam und die Große das Zimmer betrat und ihren kleinen Bruder zum ersten Mal gehalten hat, da hat es mich sehr bewegt zu spüren, dass da plötzlich zwischen den beiden ein emotionales Band war. Auch jetzt merke ich, dass sie sich gerne haben, selbst wenn sie mal streiten. Der Kleine geht oft zu ihr und umarmt sie. Dann geht mir richtig das Herz auf. Solche Momente finde ich total schön. Das hatte ich früher nicht so oft wie jetzt mit den Kindern. Aber ich bin auch nicht so oft an meine nervlichen Grenzen gestoßen wie jetzt (lacht).

Sie sind seit vielen Jahren mit Ihrer Jugendliebe Josef zusammen und haben 2014 geheiratet. In jeder Partnerschaft knirscht es irgendwann. Was glauben Sie: Was hält Paare zusammen?

Alle, die kleine Kinder haben und schon mal ein Haus gebaut haben, wissen: das ist die schwierigste Phase. In der waren wir jetzt die ganze Zeit. Es gibt Phasen, in denen man nebeneinanderher lebt, weil jeder so viel zu tun hat. Ich glaube, das Fundament muss stimmen. Das Vertrauen muss da sein. Die Liebe muss da sein, auch wenn man nicht so viel Zeit miteinander verbringen kann, wie man gerne möchte. Es ist wichtig für eine Beziehung, dass man sich Zeit nimmt und Dinge miteinander macht.

Für mich ist es wichtig zu wissen, was uns verbindet. Mein Mentaltrainer hat mir gesagt: „Erinnern Sie sich immer mehr an die schönen Momente und halten Sie sich nicht so oft an den Momenten fest, die nicht so gut sind.“ Wir alle kennen schöne Momente und solche, die nicht optimal sind. Wir können uns an den negativen Dingen festhalten und sagen: „Die Tasse steht wieder in der Spüle und nicht in der Spülmaschine.“ Es gibt immer solche Kleinigkeiten im Alltag. Aber was uns verbindet, das sind die positiven Dinge. Das muss man sich bewusst machen. Wenn ich merke, „oh, es ist jetzt so ein bisschen mmmh“, dann denke ich an all die positiven Dinge, die uns verbinden und dann läuft’s wieder. Das ist nicht immer so einfach. Man muss schon was tun für die Beziehung. Das Fundament ist die Gewissheit: wir gehören zusammen.

Ihr Mann Josef und Sie haben nicht nur standesamtlich, sondern auch kirchlich geheiratet. Ein „Ja“ vor Gott ist noch mal etwas anderes als das „Ja“ vor einem Standesbeamten. Empfinden Sie dieses Sakrament als ein Geschenk?

Ja, ich habe es wirklich so empfunden: Das eine ist die standesamtliche Hochzeit. Man ist verheiratet, und es ist schön, den Namen zu tragen, aber wir hatten zum Beispiel im Ehering noch kein Datum eingraviert. Das sollte das Datum unserer kirchlichen Hochzeit sein, denn dann ist es erst wirklich vollzogen. Die kirchliche Hochzeit war für uns erst der Punkt, wo wir gesagt haben: „jetzt sind wir wirklich verheiratet.“ Bei der kirchlichen Hochzeit haben wir uns schöne Lieder für die Kirche überlegt, und es ist ein so emotionaler und schöner Moment, wenn so viele Menschen mitfeiern und man vor Gott diese Worte spricht und sich verspricht, treu zu sein.

„Ich habe an meiner Dankbarkeit gearbeitet“

Als Sportlerin sind Sie von vielen Menschen für Ihre Erfolge gefeiert worden. Sie haben viele Titel gewonnen und wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Bayerischen Sportpreis in der Kategorie „Jahrhundertsportlerin“. Was bedeuten Ihnen diese Ehrungen?

Auf der einen Seite bin ich total geehrt und super stolz auf diese Auszeichnungen, aber auch ein bisschen irritiert. Ich dachte: „Wow, Jahrhundertsportlerin ist ja schon eine Hausnummer. Und das in meinem Alter.“ Dann hat man sofort andere Sportler im Kopf. Ich persönlich zum Beispiel Rosi Mittermaier (zweimalige Olympiasiegerin 1976 im Skifahren, Anm. d. Red.). Aber ich nehme das an und wertschätze das. Während meiner sportlichen Zeit habe ich gelernt, wie wichtig Dankbarkeit ist. Ich konnte mich manchmal nicht so richtig über Dinge freuen. Darum habe ich mich hinterfragt, warum das so ist. Und dann habe ich an meiner Dankbarkeit gearbeitet. Ich fand es spannend, dass ich viel mehr Freude entwickle, wenn ich tiefe Dankbarkeit in mir habe.

Sie sagen: „Ich habe an meiner Dankbarkeit gearbeitet.“ Diesen Satz habe ich noch nie gehört.

Ich arbeite seit 12 Jahren mit einem Mentalcoach. Ich hatte eine Phase, in der ich gut war, aber nicht Weltspitze. Top 10, aber eben nicht ganz vorne. Mir war irgendwie meine Dankbarkeit abhandengekommen. Ich war super erfolgreich gewesen, aber es hatte sich vieles auch schon eingespielt. Ich konnte meine Erfolge nicht so richtig wertschätzen. Ich wollte einfach mal Ruhe und nicht so erfolgreich sein. Klingt paradox und war es auch. Ich habe dann an mir gearbeitet und gespürt, wie schön es ist, dankbar zu sein, sich wirklich über Erfolge und kleine Dinge zu freuen. Davor hatte ich mehr auf die lästigen Dinge geschaut, statt mich darüber zu freuen, was ich Positives geschafft habe. Heute mache ich mir automatisch die schönen Momente bewusst. Aus dem Herzen dankbar zu sein, macht das Leben schöner.

Wie sieht für Sie das perfekte Geschenk aus?

Das hat etwas mit Nachhaltigkeit und Dauer zu tun. Entweder es ist etwas mit Wertsteigerung. Das wäre der materielle Aspekt. Oder es ist einfach Zeit, die man jemandem schenkt. Das ist gar nicht so einfach. Zeit hat ja heute keiner mehr, auch nicht für die schönen Dinge. Wenn ich zwischen Zeit oder Wertsteigerung entscheiden sollte, würde ich mich für die Zeit entscheiden. Zeit für Menschen, die mir wichtig sind.

Auf Bildern von Ihnen sehen wir immer eine strahlende, junge und erfolgreiche Frau. Erfolgreich als Sportlerin, als Mama, als Familienfrau. Gibt es auch eine zweifelnde oder unzufriedene Magdalena Neuner?

Absolut. Es wäre völlig anormal, wenn es die nicht gäbe. Ich habe ziemlich hohe Ansprüche an mich selbst. Das kommt wahrscheinlich noch aus dem Sport. Leider habe ich auch manchmal hohe Erwartungen an mein Umfeld. Ich weiß, dass ich meine Erwartungen manchmal zu hoch stecke und mich da zurücknehmen muss. Aber manches macht mich eben unzufrieden. Das merke ich dann und komme erst recht nicht aus meiner Haut raus. Dann brauche ich eine Zeitlang, um mir das bewusst zu machen und mich wieder einzunorden.

Immer nur glücklich? „Ich hatte schon zweimal einen Burnout“

Wer Ihnen zuhört, merkt, Sie empfinden das Leben als großes Geschenk. Was sagen Menschen, die das Leben eher als Belastung empfinden oder unglücklich sind?

In der Tat kenne ich viele Menschen, die eine andere Einstellung zum Leben haben. Manche hadern den ganzen Tag mit ihrem Unglück und machen vielleicht sogar andere dafür verantwortlich. Die sagen zu mir: „Für dich ist alles ganz einfach. Bei dir läuft ja immer alles gut.“ Auch in meinem Leben gab es schon ganz schwierige Phasen. Ich hatte zweimal einen Burnout. Aber ich habe es geschafft, da rauszukommen. Ich habe mir gesagt: „Du musst daran arbeiten. Du musst bei dir selber etwas ändern.“ Ich weiß, es gibt Faktoren, die man nicht beeinflussen kann – Krankheiten oder Schicksalsschläge können einen prägen oder in ein Loch fallen lassen. Dennoch bin ich überzeugt: Es gibt immer einen Weg, der zum Besseren führt. Aber man muss etwas dafür tun. Veränderung beginnt bei einem selbst.

Kann der Glaube in solchen Situationen helfen?

Auf jeden Fall. Ich habe als Sportlerin viel über Spiritualität gelernt und darüber, wie wichtig es ist, zu glauben, dass da jemand ist, der uns hilft und dass es irgendwie gut wird im Leben. Gerade dann, wenn es mal nicht so gut läuft, müssen wir dieses Urvertrauen in uns wecken, mit dem wir eigentlich geboren werden. Als Baby haben wir totales Vertrauen. Kinder machen sich keine Gedanken darüber, was sein könnte, was passieren könnte – weil sie dieses Urvertrauen haben.

Ist Glaube ein Geschenk?

Natürlich, wenn man ihn wirklich empfinden kann und Glaube für sich so entdeckt, dass man sich damit total identifizieren kann.

Wir haben viele junge Leserinnen und Leser. Was würden Sie jungen Menschen mit auf den Weg geben wollen, als Kompass durchs Leben?

Ein Patentrezept gibt es nicht. Ein wichtiger Wegweiser in meinem Leben war die Überzeugung „Du kannst dein Ziel erreichen“. Als Kind hatte ich den Traum, Olympiasiegerin zu werden. Das fanden viele naiv. Aber ich habe daran geglaubt. Jungen Menschen würde ich sagen: „Lebt Euren Traum! Arbeitet wirklich darauf hin! Lasst Euch nicht von Menschen einreden, ,Ihr seid es nicht wert‘ oder, ,Ihr schafft das sowieso nicht.‘“ Ich habe diese Sätze oft gehört. Auch in der Schule, als es um die Berufsfindung ging. Damals habe ich gesagt: „Ich möchte Profisportlerin werden. Ich mache kein Praktikum im Büro.“ Da waren viele entsetzt. Wer wird schon Profisportler? Aber ich habe daran geglaubt. Jetzt bewundern mich Leute dafür, dass ich das durchgezogen habe. Es lohnt sich, für seine Träume einzustehen und diese Träume zu verfolgen. Man muss aber auch etwas dafür tun.

Sie haben uns ein schönes Geschenk gemacht. Sie haben uns Ihre Zeit geschenkt. Vielen Dank dafür.

Vielen Dank für die Gelegenheit dazu.

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