Skip to main content
Ausgabe 05 Geschenk

Geschenke für die Menschheit

Lesedauer: ca. 4 Min.

GESCHENKE FÜR DIE MENSCHHEIT

Am Anfang war das Rad

„Die drehen am Rad“, sagt man gern über Zeitgenossen, die übertreiben oder völlig abwegigen Gedanken nachgehen. Oder auch: „Die spinnen“, wobei auch hier ursprünglich ein Rad bewegt wurde. Dabei ist die Erfindung des Rades eines der größten Geschenke der Menschheitsgeschichte. Man findet es in jedem Gerät, von der Armbanduhr bis zur Diesellokomotive.

Die Entwicklung des Rades in der Vorzeit ist weitgehend unbekannt. Wahrscheinlich hat man Baumstämme als Rollen benutzt, bis aus schmaleren Rollen dicke Scheiben und schließlich Räder wurden, die man mit einer Achse verband, unter einem Brett befestigte und so einen Karren, dann einen Wagen, die Kutsche und zuletzt das Auto erfand, das mit seinen PS das Pferdegespann ablöste.

Das Rad ermöglicht den Transport schwerer Güter und ist der Inbegriff der schnellen Mobilität. Ohne Rad kaum ein Rennen, ohne Rad keine Reise, ohne Rad kein Wohlstand. Ohne Rad kein technologischer Fortschritt. Das Rad ist noch nicht überholt, so schnell man auch daran drehen mag. Seine Erfindung war und ist ein Geschenk für alle.

Kamerad Zufall und kluge Köpfe – wie das Penicillin in die Welt kam

Große Erfindungen, die sich als Geschenke für die Menschheit erweisen, brauchen manchmal mehrere Köpfe – und den „Kamerad Zufall“. So auch das Penicillin, mit dem Millionen Menschen gerettet wurden. Denn vor der Entdeckung dieses Antibiotikums starben viele Menschen bereits an kleinen Wunden, die sich infizierten, und auch andere durch Bakterien hervorgerufene Infektionen wie Lungenentzündungen oder Syphilis verliefen oft tödlich. Dank dieses Wirkstoffs stieg die durchschnittliche Lebenserwartung um zehn Jahre.

Seinen Anfang nahm es in London. 1928 legte der Bakteriologe Alexander Fleming eine Nährbodenplatte für eine bestimmte Art von Bakterien, Staphylokokken, an. Er vergaß die Platte, ging in die Sommerferien und sah nach seiner Rückkehr, dass auf dem Nährboden ein Schimmelpilz gewachsen war, in dessen unmittelbarer Nähe die Staphylokokken sich nicht vermehrt hatten. Der Schimmel, den Fleming „Penicillin“ nannte, tötete also Bakterien ab. Weitere Versuche mit dem Penicillin zeigten Fleming, dass der Wirkstoff sowohl für Menschen als auch für Tiere ungefährlich war. Trotzdem kam er nicht auf die Idee, den Wirkstoff als Medikament zu verwenden. Diesen Einfall hatten zehn Jahre später die Wissenschaftler Ernst B. Chain, Norman Heatley und Howard W. Florey. Sie untersuchten die Wirksamkeit des Penicillins an Ratten und waren vom positiven Ergebnis überrascht. 1941 wurde der erste Mensch – ein Polizist aus London, der sich nach einer kleinen Schnittwunde eine Blutvergiftung zugezogen hatte, mit Penicillin behandelt. Es wirkte.

Heatley und Florey gingen in die Vereinigten Staaten, forschten dort weiter, jeder für sich, und bald konnte das Penicillin, das bisher nur spärlich und mühsam herzustellen war, schnell und in großen Mengen, später auch industriell, produziert werden. Zunächst für die Soldaten, man befand sich im Krieg, ab 1944 aber für alle. Heute gibt es Penicillin in jeder Apotheke. 1945 erhielten Fleming, Chain und Florey für ihr Geschenk an die Menschheit den Nobelpreis. Heatley erhielt später andere Auszeichnungen.

Mehr als eine Niere

Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft. Im Fall des Frank-Walter Steinmeier und seiner Ehefrau Elke Büdenbender war es eine Niere und sie erhielt nicht nur die Freundschaft zwischen den Eheleuten, sondern auch das Leben der Präsidentengattin. Denn die Nierenerkrankung von Elke Büdenbender war akut geworden, es bestand Lebensgefahr. Die neue Niere war ein Geschenk ihres Mannes. Die Doppeloperation erfolgte am 24. August 2010, damals war Steinmeier Chef der SPD-Bundestagsfraktion. Risikolos war die Spende nicht. Amerikanische Wissenschaftler haben 2007 die Daten von rund 80.000 Nierenspendern in den USA ausgewertet: 25 von ihnen starben innerhalb von drei Monaten nach der Operation. Das heißt, etwa drei von 10.000 Spendern überleben ihren Akt der Großzügigkeit nicht. „Uns geht es gut,“ sagte Steinmeier später als Außenminister in einer fast diplomatischen Untertreibung, „wir feiern jetzt gemeinsam den fünften Geburtstag und wir sind beide froh, die Entscheidung so getroffen zu haben. Es hat uns beiden gutgetan“. Im nächsten Jahr wird er sagen: „Wir feiern gemeinsam den zehnten Geburtstag“. Und darin liegt eine tiefe Wahrheit, das Geheimnis der Freundschaft: Wer mit Liebe schenkt, beschenkt sich selbst.

Wurst und Zeit oder das Geschenk des Lebens

Die Zeit ist keine Wurst, denn sie hat weder Anfang noch Ende. Nur: Wer hat die Zeit erfunden? War sie immer da? Sicher ist, dass sie manchmal zu schnell, manchmal zu langsam vergeht. Und dass viele sie am Ende der eigenen Lebenszeit vermissen. Das ist bei der Wurst nicht so.

Zeit teilt die Welt. In Zeitzonen und Jahreszeiten, in Zeitalter und Zeiträume, in ein Vorher und ein Nachher. Im Augenblick der Gegenwart, im Jetzt begegnen sich Vergangenheit und Zukunft. Das ist die Struktur der Zeit. Das lehrte schon Aristoteles. Er sah Zeit außerdem in Zusammenhang mit Raum und – wie Einstein – in Zusammenhang mit Bewegung.

Zeit ist unfassbar. Jeder hat sie und kann sie doch nicht halten. Salvador Dalí wollte sie in einer fließenden Uhr festhalten – für alle Zeiten. Es ging nicht. Thomas Mann nennt sie in seinem „Zauberberg“ ein „Geheimnis, – wesenlos und allmächtig“. Für Immanuel Kant ist sie „eine notwendige Vorstellung, a priori gegeben. In ihr allein ist alle Wirklichkeit möglich.“ Auch er sah ihre Struktur in Vergangenheit und Zukunft und dank dieser Struktur könne der Mensch überhaupt Erfahrungen machen. Denn Erfahrungen machen heiße, aus der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen.

Zeit ist immer relativ, sie steht immer in Beziehung zu etwas oder jemandem. Wer sie nicht mehr hat, ist wahrscheinlich tot. Sie ist die Grundlage für jede menschliche Beziehung. Zuhören, miteinander reden – es geht nur mit Zeit. Auch wenn es heißt „Zeit ist Geld“, kann man menschliche Zeit doch nicht kaufen. Das haben die grauen Männer in der Unendlichen Geschichte von Michael Ende erfahren müssen. Zeit der Zuwendung vertreibt Einsamkeit, wenn man sie schenkt. Viele, gerade ältere Menschen wünschen sich vor allem das: Zeit mit Kindern, Enkeln und Freunden zu verbringen. Sie leben dann in Erinnerungen, in gemachten Erfahrungen und freuen sich. Deshalb ist Zeit ein Geschenk, das nicht vergeht. Es ist das Geschenk schlechthin. Wer Zeit schenkt, gibt ein Stück Leben.

Wer hat die Zeit also erfunden? Das kann wohl nur jemand sein, der jenseits von Raum und Zeit existiert, einer, der den Urknall vor ungefähr 14 Milliarden Jahren auslöste und damit Raum, Zeit und Leben schenkte.

Das Licht des Menschen – die Glühbirne

„Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.“ So heißt es in der Bibel im Buch Genesis (Gen 1, 3-6). Das Licht ist gut, und der Mensch wollte, dass es hell bleibt. Also erfand Thomas Alva Edison die Glühbirne. Das war am 21. Oktober 1879. Edison bastelte in seinem Atelier in der Nähe von New York die erste Kohlefaden-Lampe, die hell und mehrere Tage lang brannte. Drei Monate später erhielt er das Patent darauf.

Im Gegensatz zum Schöpfer des natürlichen Lichts war die Urheberschaft des künstlichen Lichts umstritten. Lange hieß es, der Deutsche Heinrich Göbel aus Springe bei Hannover hätte schon 25 Jahre zuvor eine funktionierende Glühlampe konstruiert. Der nach New York ausgewanderte Uhrmacher habe seine Erfindung nur nicht patentieren lassen. Das Bundesministerium für Finanzen gab noch 2004 eine Briefmarke mit dem Titel „150 Jahre elektrische Glühlampe“ heraus. Drauf zu sehen war jene luftleere Kölnisch-Wasser-Flasche mit verkohltem Bambusfaden, die Göbel hergestellt haben soll. Für die Deutschen war Göbels Glühbirne daraufhin beim Ranking im ZDF 2005 eine der größten Erfindungen aller Zeiten. Das Finanzministerium hätte dieses Licht unter einen Scheffel stellen sollen. Denn inzwischen ist klar: Es war Edison. Die Wissenschaftsgeschichte ist da eindeutig, trotz der Göbel-Mythen. Außerdem braucht es seit der Industrialisierung durch die Arbeitsteilung und ungeheure Wissensvermehrung für große Innovationen und Erfindungen ein Team. Edison hatte es. Ohne seine Assistenten hätte auch er es vermutlich nicht geschafft. Gleiches gilt erst recht heute für weltweit anwendbare Erfindungen, man denke nur an das Smartphone oder das Internet. Auch hier gab und gibt es führende Köpfe – aber ohne Zuarbeit und viele kleine Entdeckungen hätten auch diese Erfindungen nicht das Licht der Welt erblickt.

Und natürlich hängen an großen Erfindungen auch Hoffnungen auf Gewinne. Edisons „Electric Light Company“ ist auch da nur ein Vorläufer für Namen von heute etablierten Unternehmen. Wie immer: Licht hilft, es erleichtert die Kommunikation, die Orientierung, bisweilen auch das Denken. Der homo sapiens, ob tätig oder grübelnd, tappt nicht mehr im Dunkeln. Die gesammelten Geistesblitze, die zur Erfindung der Glühbirne als Vorläuferin anderer künstlicher Lichtquellen beitrugen, darf man deshalb wohl mit Fug und Recht als Geschenk für die Menschheit betrachten.