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Ausgabe 05 Geschenk

Vertrauen ist die Währung des Lebens

Lesedauer: ca. 5 Min.

Autor: Jürgen Liminski | Fotografie: Bernhard Spoettel

Vertrauen ist die Währung des Lebens

Risiken und Wirkungen des Glaubens – Wie Rüdiger von Stengel und seine Partner ein kleines Immobilien-Unternehmen zum größten Büroprojektentwickler Deutschlands ausbauten

Man kann noch Großprojekte in Deutschland verwirklichen: Art Invest Real Estate macht es gerade vor – finanziell und zeitlich voll im Plansoll. Das Immobilien-Unternehmen ist der größte Büroprojektentwickler Deutschlands und die Baustelle des Projekts „Neuer Kanzlerplatz“ in der ehemaligen Hauptstadt Bonn umfasst eine Fläche von mehr als zwei Fußballfeldern – ein Großprojekt eben. Das höchste Gebäude der Anlage wird mit seinen 103 Metern die Skyline der Bundesstadt verändern. Im gleichen Viertel liegen noch das Marriott-Hotel (63 Meter), der frühere Abgeordnetenturm „Langer Eugen“ (114 Meter) und der Posttower mit seinen 163 Metern. In der Tiefgarage werden rund 1.000 Autos Platz finden, auf den 60.000 Quadratmetern Nutzfläche mehrere tausend Büros eingerichtet, der Bezug ist auf Ende 2021 terminiert. Das Projekt liegt dem Mitgründer von Art Invest, Rüdiger von Stengel, am Herzen – aus einem einfachen Grund: „Weil ich Bonner bin.“

Er zeigt von einer Fußgängerbrücke an der Baustelle auf die Wege, über die er als Student geradelt sei. Die regionale Verbundenheit, die Bodenhaftung ist ihm geblieben, auch wenn das gerade mal neun Jahre alte Unternehmen mittlerweile Filialen in Berlin, Hamburg, München, Stuttgart, Düsseldorf, Köln und Nürnberg hat; in Wien das höchste Gebäude, den Millennium Tower betreut, in Florenz ein Hotel in der Altstadt baut, in London erste Wohnhäuser errichtet und demnächst auch weiter im Ausland investieren will. Gegründet wurde das Unternehmen 2009 von Markus Wiedenmann, Rüdiger von Stengel und dem Investor Kurt Zech. Es wird partnerschaftlich geführt. Heute hat es ein Projektentwicklungsvolumen von etwa drei Milliarden Euro und einen verwalteten Stand von etwa sechs Milliarden Euro. Diese Dynamik ist marktprägend. „Wir haben vor neun Jahren mit dem ersten Projekt von 30 Millionen Euro angefangen“, sagt von Stengel. „Wir haben allen Grund, froh und dankbar zu sein.“

Das Geheimnis des Erfolgs

Das Geheimnis des Erfolgs? „Professionalität und Vertrauen“, lautet die Formel. Für den promovierten Volkswirt Rüdiger von Stengel ist es auch eine Unternehmerphilosophie. Professionalität: „Der Unternehmer muss das richtige Team zusammenstellen. Kein Projekt ist das Werk eines Einzelnen. Man braucht die richtigen Kompetenzen am Tisch, juristisch, städtebaulich, technisch, wirtschaftlich, gute Verbindungen in alle relevanten Bereiche. Man braucht erfahrene Mitarbeiter und junge Leute, die für das Projekt brennen.“ Dann das Vertrauen: „Im Immobiliengeschäft ist jedes Haus ein Unikat, zumindest in den Gewerbeimmobilien, die wir errichten. Jedes Haus wird ein klein bisschen anders, als man sich das ursprünglich vorgestellt hat. Wir haben sehr komplexe Produkte und handeln also in einem Umfeld von viel Unsicherheit. Nur wenn jeder sich darauf verlassen kann, dass der andere im Sinne des gemeinsamen Erfolges handelt, wird er auch selber versuchen, sich voll einzubringen. Das heißt Vertrauen.“ Das sei die Basis dafür, dass man bei diesem Pfad der Ungewissheit zu einem guten Ergebnis komme.

Professionalität und Vertrauen sei auch die Devise bei Problemen oder Konflikten. „Die muss man an der Sache entlang lösen und dabei die Interessen des Einzelnen respektieren. Es geht nicht darum, dass einer gut oder schlecht dasteht, sondern dass die Aufgaben gemeinsam gelöst werden. Wenn die Mitarbeiter das merken, dann versuchen sie auch nicht mehr, vor allem sich selber zu schützen oder Fehler zu verdecken.“ Transparenz in der Sache und Aufbau von Vertrauen seien eine Frage der Kommunikation. Rüdiger von Stengel und seine Partner kennen alle der mehr als 200 Mitarbeiter und er weiß: „Die Aufgaben und Problemstellungen, die jeden Tag auftauchen, müssen vor Ort gelöst werden. Deshalb ist es so wichtig, dass die Verantwortung vor Ort ist und die Leitung des Unternehmens den Leuten den Rücken stärkt.“ Für den Chef bedeute das, ein Stück Verantwortung abzugeben. Nach wie vor trage der Chef die Gesamtverantwortung für das Projekt, aber der Projektleiter müsse wissen, dass er „innerhalb seiner Verantwortung auch die Freiheit hat zu handeln. Freiheit ist ja die Kehrseite von Verantwortung und wenn ich das Potential des Mitarbeiters ausschöpfen will, dann muss ich ihm die Sicherheit vermitteln, im Rahmen seiner Verantwortung auch frei handeln zu können und zu sollen. Das ist, glaube ich, ein wesentlicher Teil von Führung.“

Das ist mir ins Herz gefahren

Die Immobilienbranche hat nicht immer einen guten Ruf. Aber Rüdiger von Stengel ist da optimistisch. Die Branche sei im Wandel. Auch für sie gelte der Grundsatz der Nachhaltigkeit. „Nachhaltig ist ein Projekt aber nur dann, wenn alle Seiten sich fair behandelt fühlen und die Informationen frei fließen. Deswegen braucht man auch diese Art des Vertrauens und der Unternehmenskultur.“ Er sei davon überzeugt, dass „diese Kultur sich durchsetzt. Letztlich sind es menschliche Tugenden, auf denen sich etwas aufbaut, das gilt auch für die Wirtschaft und darüber hinaus.“ Für Rüdiger von Stengel und seine Partner gilt: Vertrauen ist die Währung des Lebens.

Bei solch einer Lebens- und Unternehmensphilosophie ist das Engagement beim Bund Katholischer Unternehmer (BKU) ein geradezu logischer Schritt. Aber diesem Schritt gingen andere voraus. Zum Beispiel das Vertrauen in Gott. Aus dem Glauben schöpfe er Kraft, sagt der 51-Jährige, der seit diesem Jahr aus der operativen Ebene als aktiver Gesellschafter in den Aufsichtsrat gerückt ist, wo er sich vor allem strategischen Themen widmen will. Über seinen Nachfolger als geschäftsführenden Gesellschafter, Ferdinand Spieß, sagt er: „Er ist der Beste.“ Auch in der neuen Funktion setzt Rüdiger von Stengel nicht nur auf die eigene Kraft, sondern vor allem „auf Gottes Hilfe“. Solch eine Einstellung setze sich um in ein christliches Menschenbild, das er wie andere Unternehmer im BKU versuche, im Unternehmen zu verankern. „Im BKU hat sich da eine sehr nette und engagierte Gruppe von Unternehmenslenkern und Managern zusammengefunden und deswegen mache ich da auch mit, weil es im Kern auch um meine eigene Motivationslage geht.“ Das war nicht immer so. „Vor 14, 15 Jahren habe ich den Weg zu Christus gefunden und das hat dazu geführt, dass wir mit der ganzen Familie konvertiert und katholisch geworden sind. Für mich war das ein Aufbruch aus dem Wissen heraus, ich mache das hier mit Gottes Hilfe und bin nicht alleine. Das hat mich stark gemacht und mir den Mut gegeben, das Unternehmen zu gründen und keine Angst davor zu haben, wenn es größer wird.“ Der Unternehmer und Familienvater bete „regelmäßig. Jeden Morgen, jeden Abend, auch vor schwierigen Gesprächen und wenn man das nicht vergisst, dann wird das Gespräch gut. Das ist immer so.“

Zuerst die Familie dann der Beruf

Rüdiger von Stengel, der Selfmade-Man mit innerer Rückbindung – „religio“ – wirkt geerdet, besonnen. Für ihn ist klar, dass man sich vieles erarbeiten kann, manchmal auch muss. Aber er weiß auch: „Glaube ist ein Geschenk, das ist ganz klar.“ Es gebe allerdings eine Voraussetzung: „Man muss sein Herz aufmachen, sonst wird es schwierig. Bei mir war es so, dass meine Frau aufgrund eines persönlichen Erlebnisses sich für den Weg in Richtung des Katholischen entschieden hat. Ich habe dann einfach mein Herz aufgemacht, weil ich gesehen habe, wie gut ihr das tut, und wurde neugierig darauf, was sich dahinter so verbirgt. Letztlich war es dann die Erfahrung der Eucharistie beim Weltjugendtag 2005, die mich dazu bewegt hat zu sagen: Mensch, das glaube ich, das ist mir geschenkt, das habe ich mir nicht verdient oder erdacht. Das ist mir ins Herz gefahren.“

Und dort hat das Geschenk des Glaubens Wohnung genommen – und auch die Kinder umarmt. Beim Zeitpunkt der Konversion war der Älteste, Laurent, 9 Jahre alt und fragte: „Was bedeutet das für mich?“ Der Vater erinnert sich: „Seine erste und wichtigste Aussage war: „ich will so bleiben, wie ich bin.“ Meine Frau hat dann ein kleines Büchlein gefunden mit dem Briefwechsel eines Bischofs mit einem Neffen, der ihm Fragen zum Glauben stellte. Diese Briefe hat sie dem Jungen vorgelesen. Das Format hat ihn begeistert, er hat aufmerksam zugehört und dann für sich gesagt, ja ich probiere das jetzt auch aus und hat sich wirklich dafür entschieden.“ Die anderen, drei und sieben Jahre alt, sind mit dem Glauben in der Familie aufgewachsen. Nie käme er auf die Idee, den Kindern vorschreiben zu wollen, was sie bei Lebensentscheidungen zu tun hätten. Sein erster Rat an junge Menschen, etwa wenn sie vor Berufsentscheidungen stehen, auch an seine jugendlichen Kinder lautet: „Denkt nicht zu klein von Euch, habt Mut, Eure Fähigkeiten zu entfalten, alles aus Euch herauszuholen. Ihr seid nicht allein, ihr habt Verbündete.“ Die jungen Leute sollten „ihre Talente erspüren, sie fördern und sich damit so im Leben einbringen, dass es sie erfüllt“. Und sein zweiter, nicht weniger wichtige Rat: „Der Beruf ist wichtig, aber an erster Stelle steht die Familie. Das familiäre Glück steht im Vordergrund und der Beruf hat dem zu dienen – er ist kein Selbstzweck.“

Der Mensch ist im Kern gut

Beruf ist das eine, Familie das erste. Rüdiger von Stengel und seine Frau Nataly sind jetzt 33 Jahre zusammen, glücklich verheiratet. „Wir haben drei fantastische Kinder.“ Die Beziehungswelt ist geordnet: „Ich denke mal, zuerst kommt Gott, aber dann sofort die Familie, die Ehefrau an erster Stelle. Gott ist die Liebe und der erste Ort, an dem wir Liebe leben, ist die Familie.“ Der erfolgreiche Volkswirt kennt noch andere Orte. Er engagiert sich auch in der und für die Gesellschaft. Mit Augustinus’ Worten sagt er: „Das Zeitalter sind wir, wir sind Teil der Gesellschaft, in der wir leben“ und da könne man nicht mit dem Finger auf andere zeigen, sondern „muss sich selbst einbringen und in der Gesellschaft Verantwortung übernehmen“. Auch hier wieder: Mit Vertrauen und den richtigen Partnern. Es ist für ihn auch eine Frage der Dankbarkeit, „um ein wenig von dem zurückzugeben, was mir geschenkt wurde.

Als Geschöpfe Gottes, die nach Seinem Ebenbild geschaffen sind, ist es auch unsere Aufgabe zu lieben.“ Christsein heiße eben auch, „den Menschen Christus zeigen. Das kann ich theoretisch tun, aber eben auch praktisch, indem ich helfe, gute Initiativen voranzubringen“. Ob er wie andere Mäzene nicht Angst habe, dabei ausgenutzt zu werden? „Man muss natürlich offenen Auges durch die Welt gehen und idealerweise versuchen, sich die Dinge selbstbestimmt auszusuchen, die man unterstützt. Natürlich geht man ein gewisses Risiko ein, wenn man anderen vertraut. Aber ich glaube, dass der Mensch vom Kern her gut ist und es verdient, dass man ihm vertraut. Ich bin bisher nicht so enttäuscht worden, dass ich deswegen sagen würde, ich würde mich anders verhalten.“

Behausung des Menschlichen

Das ist alles andere als leichtgläubig. Es ist das Risiko des Glaubens. „Letztlich ist alles, was wirklich wichtig ist im Leben, uns geschenkt. Das Leben selbst, der Glaube, die Liebe unserer Eltern, die Liebe meiner Frau, die Familie.“ Im Herzen, der Lebensmitte, werden solche Geschenke angenommen. „Das Herz hat Gründe, die der Verstand nicht begreift“, schrieb Blaise Pascal. Zu diesen Gründen gehören die Risiken der Liebe, der Freiheit und des Vertrauens. Sie sind die Behausung des Menschlichen. Mit ihnen lebt der Unternehmer Rüdiger von Stengel. Und er wirkt, an der Seite seiner Frau, dabei sehr glücklich.