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Ausgabe 02 Hoffnung

Angst frisst Zukunft

Angst frisst Zukunft

Ob Terrorgefahr oder Klimawandel: Sorgen und Ängste in der Gesellschaft nehmen zu.
Resignieren? Nein, inspirieren! GRANDIOS suchte Hoffnungsschimmer und fand Menschen, die mit Kreativität auf Krisen reagieren. Das rettet nicht die Welt. Aber jedes kleine Beispiel zeigt: Wer Hoffnung hat, lebt anders.

Berlin, München, Ansbach: Drei Städtenamen, die schlimme Erinnerungen an Terrorakte wachrufen. Herwart, Burglind, Friederike: Drei Namen, drei Stürme, die allein in Bayern für 40.000 Haushalte ohne Strom, zahlreiche Unfälle, Verletzte und Zugausfälle stehen. Erfahrungen wie diese machen Angst. Seit 26 Jahren erstellt die „R&V Versicherung” jährlich eine Studie über die Ängste der Deutschen. Es ist die einzige derart langjährige Studie zu diesem Thema. Die jüngsten Ergebnisse zeigen: Die Angst vor Terror und Extremismus, vor einer Überlastung der Gesellschaft durch zunehmende Migration, aber auch vor Naturkatastrophen oder vor Schadstoffen in Lebensmitteln haben zugenommen. Außerdem ganz weit vorn: Die Angst, dass unsere Politiker mit diesen Themen überfordert sein könnten. Gleichzeitig steigt die Zahl der Menschen, gerade der jüngeren, die unter Depressionen oder Angststörungen leiden. Studien von Krankenkassen belegen dies. Ängste lähmen, sie blockieren. Was tun, wenn individuelle wie gesellschaftlich-politische Sorgen immer größer werden? Wohin entwickelt sich unsere Gesellschaft? Und wo kämen wir erst hin, gäbe es nicht jene Menschen und Projekte, die durch ihr Beispiel inspirieren. Die – allen Ängsten und Sorgen zum Trotz – Mut machen. Die klein angefangen haben und heute bisweilen Großes leisten? Die mit Kreativität auf Katastrophenszenarien reagieren. Wo kämen wir hin, ohne die stillen Helden der Hoffnung, die nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern aufstehen und anpacken? Bisweilen belächelt, angezweifelt oder sogar kritisiert.

„Wer Hoffnung hat, lebt anders“, schrieb Benedikt XVI. in „Spe Salvi“ (2007), einem päpstlichen Rundschreiben, das er ganz dem Thema Hoffnung gewidmet hat. Benedikt ist überzeugt: Hoffnung ist nie abstrakt, sondern ganz konkret. Hoffnung zeigt sich in der Tat. Und Hoffnung ist immer auch Hoffnung für andere. Ein Einzelner kann weder Terror noch Klimawandel stoppen, aber es gibt viele hoffnungsvolle Beispiele, die belegen, was schon Erfindungsreichtum und Engagement einiger weniger verändern können. Im Großen wie im Kleinen. Auch jede Mentalitätsveränderung beginnt damit, dass einige mit gutem Beispiel vorangehen.

Kleine Projekte machen Hoffnung

Ein junger Holländer hatte 2013 die Idee, die Meeresströme zu nutzen, um die riesigen Plastikmüllstrudel in den Meeren abzubauen – im Sommer soll die erste „The Ocean Cleanup“-Anlage im Pazifik ihre Arbeit aufnehmen. Verschiedenste Mehrgenerationen-Projekte fördern das Verständnis zwischen den Generationen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Zahllose Integrationsprojekte, staatliche, institutionelle, aber auch viele persönliche Initiativen erleichtern Flüchtlingen das Einleben und vermitteln die Regeln unserer Gesellschaft.
Wenn Angst regiert oder Krisenszenarien zur Resignation führen, geht die Hoffnung vor die Hunde. Darum braucht es Inspiration statt Resignation. GRANDIOS stellt einige hoffnungsvolle Ideen vor. Kleine Hoffnungsmomente. Hoffnung beginnt meist ganz klein.

Hoffnung schöpfen

Riesige Teppiche von Plastikmüll, die in spiralförmigen Wirbeln Millionen Quadratkilometer der Weltmeere bedecken, bedrohen nicht nur Flora und Fauna. In Kleinstteilen gelangt das Plastik durch Fische und Vögel auch in unsere Nahrung. Fachleute und Umweltorganisationen schlagen seit langem Alarm: Plastik vermüllt die Meere – mit katastrophalen Konsequenzen für Mensch und Umwelt. Um Abhilfe zu schaffen, trug der damals 18-jährige Boyan Slat auf der Innovationskonferenz TEDx 2012 eine Idee vor: Die Ozeane sollten durch ihre eigene Strömung den Plastikmüll in riesige schwimmende Fangarme treiben und so zum Abtransport sammeln. Experten reagierten skeptisch, doch der junge Holländer sammelte im Internet 2,2 Millionen Dollar, startete Machbarkeitsstudien, wissenschaftliche Untersuchungen und testete Prototypen seiner Anlage in der Nordsee. Ergebnis: Im Sommer 2018 soll die erste „The Passive Ocean Cleanup“-Anlage im größten Meeres-Plastikteppich, dem Great Pacific Garbage Patch, vor Kalifornien die Arbeit aufnehmen. In fünf Jahren will Slat wenigstens die Hälfte des dort wirbelnden Mülls abgeschöpft haben.

– Stefanie von Stechow

Hoffnung übersetzen

Seit vier Monaten ist Hayel* (*Name geändert, A.d.R) in Deutschland. Seine Heimat ist der Irak. Acht Monate dauerte seine Odyssee bis nach Bayern. Jetzt wohnt er in einer Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber im Regierungsbezirk der Oberpfalz. Wohin sein Weg führt, weiß er nicht. Wie lange er in der jetzigen Unterkunft wohnen bleiben wird, kann niemand beantworten. Trotzdem gibt er die Hoffnung nicht auf. Hayel spricht gut Englisch. Das können viele seiner Mitbewohner nicht. Hayel hilft ihnen. Wenn ein Arzt kommt und sie ihn nicht verstehen, ist Hayel da. Wenn sie Fragen zu ihrer Behördenkorrespondenz haben. Wenn sie in der Stadt eine neue Prepaidkarte für ihr Handy kaufen wollen, damit sie ihre Verwandten daheim anrufen können: Hayel kommt mit und übersetzt. Die Zeit vergehe schneller, wenn man sich nützlich macht, meint er. Hilft er anderen, hat er Hoffnung, dass auch ihm geholfen wird. Dafür lohne es sich, morgens aufzustehen, findet Hayel. Er übersetzt Hoffnung.

– Jakob Schötz

Hoffnung schlägt Wurzeln

Es begann mit einem Referat für die Schule. 2007 musste der mittlerweile 20-jährige Felix Finkbeiner vor seiner Klasse über den Klimawandel sprechen. Er begriff: Kohlenstoffdioxid (CO2) verursacht Klimawandel. Das beste Rezept dagegen sind Bäume, denn sie speichern CO2 und produzieren Sauerstoff. Felix war überzeugt, es dürfte kein Problem sein, in jedem Land der Welt eine Million Bäume zu pflanzen. „Da kam mir die Idee, dass auch wir Kinder und Jugendliche Bäume pflanzen könnten.“ Mittlerweile wurde aus der Schulaktion „Plant-for-the-Planet“ eine international agierende Vereinigung, die auch viele prominente Unterstützer auf ihre Seite bringen konnte – etwa Fürst Albert von Monaco. Die Organisation bildet Schüler zu Botschaftern der Aktion aus und pflanzt weltweit Bäume. Mittlerweile arbeiten sie an einem neuen Ziel: 100 Milliarden Bäume sollen gepflanzt werden. Finkbeiner ist zuversichtlich: Die Unterstützung von 1.000 international agierenden Unternehmen und Milliardären würde dafür bereits genügen. Ein Zähler auf der Homepage von Plant-for-the-Planet gibt Auskunft über den aktuellen Stand:
15.206.657.634 Bäume wurden weltweit schon gepflanzt. Ein Anfang.

– Benedikt Bögle & Stefanie von Stechow

Hoffnung macht Schule

Bienensterben ist kein leidiges Imkerproblem, keine Randnotiz für Honigliebhaber. Das Verschwinden der Bienen gilt als ernster Indikator für größere ökologische Verwerfungen. Bienen haben im Ökosystem eine wichtige Bedeutung. „Sie sind systemrelevant“, erklären Experten.

Die EU debattiert über ein Freiland-Verbot für Neonicotinoide. Das sind Insektizide, die die Weiterleitung von Nervenreizen stören. Für Wirbeltiere sind sie ungefährlich, bei Insekten aber hochwirksam. Den massenhaften Einsatz von Insektiziden kann nur die Politik stoppen. Abwarten und zuschauen wollten die Schüler und Schülerinnen des Gymnasiums der Dr.-Johanna-Decker-Schulen in Amberg aber nicht. Zumal Chemikalien nicht das einzige Problem sind. Die moderne Bauweise nimmt Insekten Lebensraum. Wenig Holz, perfekt gedämmt, gut verputzt. Praktisch für die Bewohner, schlecht für die Insekten. „Wenn an der Basis der Nahrungskette ein Tier wegbricht, kann alles ins Ungleichgewicht kommen“, sagt Katharina Gadomski. Sie ist Biolehrerin am Gymnasium der Dr.-Johanna-Decker-Schulen. Mit einer Klasse hat sie Wildbienen- und Insektenhotels gebaut. Die retten nicht das Ökosystem, aber da kann sich Hoffnung einnisten.

– Benedikt Bögle

Hoffnung schenken

Für ihr Studium ist Susanna nach Regensburg gezogen. Nicht alleine, sondern zusammen mit Tochter Luna. Susanna ist alleinerziehend. Sie stammt vom Bodensee. In der neuen Stadt hat sie keine Familie, anfangs hatte sie auch keine Freunde, kein Netzwerk. Wie soll man alleine mit Kind ein Studium bewältigen? Die Uni Regensburg* hat ihr Anna vermittelt. Anna ist „Paten-Oma“. Jetzt verbringt Luna regelmäßig Zeit bei Anna. Die Siebenjährige weiß, dass Anna nicht ihre richtige Oma ist. Aber Anna spielt mit ihr, liest vor und geht mit ihr spazieren. Das macht sie seit drei Jahren. Anna ist 78 Jahre alt. Sie selbst hatte nie Kinder. Aber sie mag Kinder. Früher hat sie mit Jugendlichen gearbeitet. Es sei ihr ein Anliegen, etwas für ihre Mitmenschen zu tun, sagt sie. Ob für die Nachbarn oder die kleine Luna. Susanna ist froh, dass es die Paten-Oma gibt. Vor Prüfungen ist sie oft ein Nervenbündel und braucht Zeit für sich. Auch abends kann sie jetzt mal mit Kommilitonen ausgehen. „Oma“ Anna gibt ihr die Gewissheit, dass Luna gut untergebracht ist. Durch die Patenschaft fühlen sich alle drei beschenkt.

– Jakob Schötz

 

* Das Paten-Großeltern-Projekt für Kinder von Studierenden ist ein Projekt des Familien-Services der Universität Regensburg und dem Katholischen Frauenbund