Skip to main content

Lesedauer: ca. 4 Min.

Autoren: Katrin Gürster und Markus Reder I Fotos: Bernhard Spoettel

WAU, WOW!

Der will nicht nur spielen, der will helfen. Hunde können dem Menschen zeigen, was im Leben wirklich wichtig ist: Zuneigung, Treue, einander bedingungslos annehmen. Als Assistenz- und Therapiehunde sind sie nicht nur „treue Gefährten“, sondern echte Lebenshilfe.

Sebastian war ein stilles Kind. Er wirkte verschlossen und war ein bisschen langsamer als andere. In der Schule tat er sich schwer, Kontakte zu knüpfen. Als er in die zweite Klasse kam, riet der Kinderarzt seinen Eltern, es mit einem Haustier zu versuchen. Das würde Sebastian gut tun. Seine Eltern überlegten lange. Schließlich kauften sie ihrem Sohn Fische. Keine Ahnung, was aus Sebastian geworden ist. Nach der Grundschule haben wir uns aus den Augen verloren. Müßig zu fragen, was gewesen wäre, hätten seine Eltern damals einen Hund gekauft. Sicher ist: Von einem Hund hätte Sebastian mehr gehabt. Viel mehr. Denn Hunde sind anders.
Bislang hat man noch keinen Fisch an die Haustür stürzen sehen, um einen stürmisch und schwanzwedelnd zu begrüßen. Auch Wellensittiche, Hamster oder Meerschweinchen sind da ziemlich zurückhaltend. Hunde brauchen kein Aquarium, keinen Käfig, keinen Stall. Sie leben einfach so mit uns mit. Wie kein anderes Tier lassen sich Hunde auf den Menschen ein. Sie sind, so sagen Experten, „beziehungsfähig“. „Hunde sind in der Lage, einen Artfremden als vollwertigen Sozialpartner anzuerkennen. Der Vierbeiner kann einen Menschen sogar wichtiger finden als einen anderen Hund, weil er eine emotionale Bindung mit ihm eingeht. So entsteht Nähe“, erklärt Deutschlands bekanntester Hundetrainer Martin Rütter.

Wer weiß denn heute noch, was bedingungslose Loyalität bedeutet?

Diese Nähe macht das Verhältnis zwischen Mensch und Hund so besonders. Das sieht auch die Bestseller-Autorin Juli Zeh so. Im „Focus“ hat sie sich mit der besonderen Partnerschaft von Hund und Mensch befasst. Ein Hund sei wie ein Freund, der Zuneigung nicht als Währung betrachte, schreibt sie. „Wer weiß denn heutzutage noch, was bedingungslose Loyalität bedeutet? Für die meisten Menschen stehen persönliche Bedürfnisse im Vordergrund. Wenn die Kollegen nerven, wechselt man den Job. Wenn die Wohnung nicht schön genug ist, zieht man um. Wenn der Lebensgefährte nicht ausreichend performt, trennt man sich. Nicht nur das Internet, auch zwischenmenschliche Beziehungen verwandeln sich zusehends in Bewertungsapparate.“ Während Menschen immer mehr scoren, casten und bewerten, sendet der Hund eine andere Botschaft, findet Juli Zeh. „Du bist mein Mensch, ganz egal, ob Du schön oder hässlich, klug oder dumm, erfolgreich oder gescheitert bist. Wedel, wedel, wedel! Ich gehöre zu Dir.“ So würde der Hund „in den unruhigen Gewässern der Leistungsgesellschaft zur Rettungsinsel.“

Was die Wirkung von Hunden angeht, kann Hundetrainer Fabian Reichel da nur zustimmen. „Hunde vermitteln Zuwendung. Sie orientieren sich dabei an dem, was sie am Menschen wahrnehmen. Sie spüren, wenn es jemandem nicht gut geht“, sagt er. Reichel ist Experte für die Ausbildung von Assistenzhunden. „Man merkt schnell, ob es zwischen Hund und Mensch stimmt. Das erkennt man daran, ob der Hund Aufgaben für den Menschen zuverlässig und gerne ausführt. Nimmt ein Hund von sich aus Stimmungsveränderungen wahr und reagiert darauf, stimmt die Interaktion.“

Spiegel des eigenen Verhaltens

Der gebürtige Regensburger lebt heute in Regenstauf. Im dortigen Assistenzhundezentrum „Buddies 4 Life“ bildet Reichel Hunde aus, die Menschen mit verschiedensten Beeinträchtigungen in ihrem Alltag begleiten und unterstützen sollen. Zunächst hat Reichel eine Ausbildung zum Krankenpflegehelfer gemacht, später Sozialpädagogik studiert. Für Hunde hat er sich schon immer interessiert und bereits während seiner Studienzeit als Hundetrainer gearbeitet. Bei seiner jetzigen Tätigkeit kommen Reichel seine unterschiedlichen Kompetenzen zugute. Im Gespräch mit GRANDIOS erklärt er, warum Hunde nicht nur „die treuesten Gefährten des Menschen“ sind, sondern sich in besonderer Weise für therapeutische Einsätze eignen.

„Hunde sind ungemein lernwillig und anhänglich. Sie wollen lernen und arbeiten. Wenn sie entsprechend trainiert werden, können sie kleinste Gestikveränderungen lesen. So können sie Situationen gewissermaßen vorausahnen. Schon Mikromimik zeigt ihnen, was gleich passiert: Kommt eine Panikattacke? Kündigt sich ein epileptischer Anfall an? Hunde sind Meister darin, uns den ganzen Tag zu beobachten. Außerdem haben sie einen sehr guten Geruchssinn, den man sich zunutze machen kann.“ All diese Fähigkeiten spielen bei der Ausbildung von Assistenz- und Therapiehunden eine Rolle. Aber das ist längst nicht alles. Einen Hund streicheln zu können, Zuwendung zu spüren, die Reaktion des Hundes auf das eigene Verhalten wahrzunehmen, sei für die therapeutische Arbeit von großer Bedeutung, betont Reichel. „Ein Hund ist ein guter Spiegel des eigenen Verhaltens. Fahr’ ich emotional hoch, tut der Hund das auch. Andererseits strahlen Hunde eine große Ruhe aus, die auch auf ihr Umfeld beruhigend wirkt.“ Schulen oder Palliativstationen, wo Therapiehunde eingesetzt werden, können das bestätigen. „Studien haben nachgewiesen, dass alleine die Anwesenheit eines Hundes das Stressniveau senkt“, sagt Reichel. „Sind Hunde anwesend, können Kinder leichter Emotionen zulassen. Die Beschäftigung mit dem Hund hat eine sehr beruhigende Wirkung auf Menschen.“

Wer passt zu wem?
Dass muss gut überlegt sein

Die Einsatzfelder für ausgebildete Hunde sind riesig. Grundsätzlich werde zwischen Assistenz-und Therapiehunden unterschieden, klärt Reichel auf. „Assistenzhunde begleiten und unterstützen Menschen mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen in ihrem Alltag.“ Therapiehunde würden als besonders ausgebildete Begleiter in der sozialen oder therapeutischen Arbeit eingesetzt. Die Auswahl eines Assistenzhundes hängt ganz davon ab, bei welchem Mensch der Hund später lebt, welche Einschränkung oder Erkrankung vorliegt und wobei der Hund Unterstützung leisten soll.
Welcher Hund zu wem passt, kann von Fall zu Fall sehr unterschiedlich sein. Das muss von Anfang an gut aufeinander abgestimmt werden. Dabei spielen Rasse und Charakter des Hundes eine Rolle. Gehörlose benötigen andere Hilfen als Blinde oder Diabetiker. Menschen mit Autismus brauchen einen anders ausgebildeten Hund als Epileptiker oder Menschen mit anderen psychischen Beeinträchtigungen. Als Assistenzhund für Menschen mit Down-Syndrom kommen einige Rassen nicht in Frage. „Da braucht es Hunde, die genau die richtigen Fähigkeiten für den Einsatz bei Menschen mit Down-Syndrom mitbringen. Das können nicht alle.“

Einer der Hunde, die das können, ist Stups. Stups ist beim 8-jährigen Aaron als Assistenzhund eingesetzt und leistet dort ganze Arbeit. Assistenzhund Stups ist ein Geschenk. Ein über mehrere Jahre ausgebildeter Assistenzhund kann zwischen 5.000 und 12.000 Euro kosten. Da es Hunde nicht auf Krankenschein gibt, kommen Assistenzhundeprojekte meist durch Hilfe und Unterstützung mehrerer Menschen zustande. Oft sind es Spendenaktionen, die die Anschaffung eines geeigneten Hundes ermöglichen.

Ein untrügliches Gespür dafür, was wesentlich ist

„Hunde sind ein besonderes Geschenk des Schöpfers an den Menschen“, ist Roy Gerber überzeugt. Seit vielen Jahren arbeitet er mit Therapiehunden. Seine beiden Golden Retriever heißen Micah und Benaiah. Gerber lebt in der Nähe von Zürich. Als junger Mann ist er nach Amerika ausgewandert, hat dort drei Unternehmen gegründet und den amerikanischen Traum in vollen Zügen gelebt. Doch sein Leben erfuhr einen Wandel. Er fand zum Glauben und lernte die Arbeit mit Therapiehunden kennen. Gerber verkaufte seine Unternehmen und kümmerte sich von nun an um benachteiligte Menschen am Rande der Gesellschaft. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz betreute er Obdachlose, Drogensüchtige und Prostituierte. Heute setzt er sich mit seiner Hilfsorganisation „Be Unlimited“ für von sexuellem Missbrauch Betroffene und Menschen in schwierigen Lebenssituationen ein und berät Unternehmen. Über sein bewegtes Lebens hat er ein Buch geschrieben („Mein Versprechen“, Fontis)

„Egal wo ich bin, meine Hunde habe ich immer dabei. Sie sind sensationelle Begleiter. Sie schaffen Verbindung zu Menschen, auch dort, wo es sonst kaum einen Zugang gäbe. Sie öffnen Türen zum Herzen“, sagt Gerber gegenüber GRANDIOS und fährt fort: „Hunde schauen nicht auf Äußerlichkeiten. Ihr Instinkt lässt sich nicht blenden. Nach vielen Jahren der Arbeit mit Therapiehunden kann ich sagen: Hunde haben ein untrügliches Gespür dafür, was in bestimmten Situationen wesentlich ist.“

Das Geheimnis der Hunde: Wedeln statt werten

Situationen, in denen es ums Wesentliche geht, hat Gerber unzählige erlebt. Bei Besuchen in Krankenhäusern nach schweren Unfällen, bei Patienten, die damit fertig werden mussten, dass sie plötzlich querschnittsgelähmt waren. Bei krebskranken und traumatisierten Kindern. „Wo Worte nichts mehr vermögen, schafft die Anwesenheit der Hunde eine Atmosphäre, die Begegnung ermöglicht“, sagt Gerber. Mit seinen Hunden hat er an vielen Rettungs- und Hilfseinsätzen teilgenommen. „Wir waren nach Tornados, Erdbeben, Waldbränden, Tsunamis und Terroranschlägen im Einsatz. Was auch immer geschehen ist, bei jeder Katastrophe ging es darum, Menschen beizustehen, die sich in einer unvorstellbaren Notlage befanden.“ Stets hätten dabei die Hunde die entscheidende Rolle gespielt, versichert Gerber. „Wo Menschen vor lauter Not und Elend erstarren, reagieren Hunde mit einer Unmittelbarkeit, von der wir nur lernen können.“

Das Geheimnis des Hundes, davon ist Gerber überzeugt, lässt sich auf einen kurzen Nenner bringen: „Der Hund wertet nicht, er wedelt.“ Für Gerber heißt das: Während wir Menschen immer mehr dazu neigen, einander zu bewerten und abzuwerten, reagieren Hunde mit vorbehaltloser Zuwendung – egal wie jemand drauf ist und welche Geschichte er hat. „Es gibt keinen Menschen, der sich nicht nach Zuwendung und Liebe sehnt“, betont Gerber. „Die meisten sehnen sich nach jemandem, der ihnen wirklich zuhört, vor dem sie ihre Maske ablegen können und ganz sie selbst sein dürfen. Manche Menschen sind innerlich hart geworden. Sie haben diese Härte zur Überlebensstrategie gemacht. Das erschwert es ihnen, sich zu öffnen und Begegnung zuzulassen. Dann braucht es Geduld, Empathie und Präsenz, um ohne jeden Druck empfänglich zu werden für heilsame Begegnungen, auch für die Begegnung mit Gott. Vorbehaltlose Zuwendung ist die Voraussetzung dafür, dass Menschen sich öffnen können. Solche Zuwendung ist in unseren Zeit vielleicht das große Geschenk überhaupt. Hunde können uns daran erinnern.“

Wedel, Wedel, Wau – Wow.