Skip to main content
Ausgabe 06 Freundschaft

Biochemie der Freundschaft

Lesedauer: ca. 7 Min.

Autorin: Franz Salzmacher I Illustration: Arno Dietsche

Biochemie der Freundschaft

Es gibt eine Glücksforschung. Sie ist der Versuch, Hochgefühle in die schmale Retorte der Vernunft zu pressen. Bücher über das Glück füllen ganze Bibliotheken. Schon der römische Gelehrte Terentius Varro sammelte 288 Definitionen von Glück. Die 1995 erstmals erschienene Bibliography of Happiness enthält mittlerweile mehr als 2500 Untersuchungen über das Glück. Und es gibt eine „Chemie des Glücks“, die bei näherem Hinsehen nur eine Chemie des Glücksgefühls ist. Gefühle und Freundschaft: Vom großen Glück der kleinen Jackpots. Das Gefühl des Glücks wird und wurde schon immer unterschiedlich beschrieben. Im Großen Brockhaus etwa ist zu lesen (auch digital): „Glück – gesteigertes Lebensgefühl, in dem der Mensch mit seiner Lage und seinem Schicksal einig und sich dieser Einhelligkeit gefühlsmäßig bewusst ist. Er glaubt, seine wesentlichen Wünsche seien erfüllt, innere Unstimmigkeiten scheinen gelöst…. [es ist] das höchste natürliche Ziel des Menschen.“ Die meisten Menschen verbinden Glück mit der Gesundheit. Aber schon Platon wusste: Die ständige Sorge um die Gesundheit ist auch eine Krankheit. Und man kann auch als kranker oder behinderter Mensch glücklich und in einem Sinn gesund sein, der über das körperliche Wohlbefinden hinausreicht.

Marker der guten Erinnerung

Glück ist offenbar eine sehr subjektive Angelegenheit und dennoch ist es am Anfang für fast alle gleich. Die Amerikaner haben es gemessen: einem gerade geborenen Baby legten die Forscher zunächst Leitungen mit Saugnäpfen an und es dann in die Arme der Mutter. Die gemessenen Hirnströme beim ersten Anblick der Mutter waren identisch mit den Strömungen von Glücksgefühlen bei Erwachsenen. Das Baby sah nicht viel, aber es roch eben nach dem Fruchtwasser und die Stimme klang wie im Bauch, nur etwas direkter, weniger aus dem Off. Ja, und in den Armen spürte es die weiche Begrenzung, so wie die letzten Monate, als es Arme und Beine streckte. Tasten, Riechen und Hören sind die ersten Sinne, die der Mensch schon als Embryo entwickelt. Sie bilden Marker im Hirn, an die man sich ein Leben lang erinnert. Alles vertraut also, die Botschaft an das Baby lautet: Das ist die Person, die mich annimmt, die mich trägt. In diesen Armen ist die Welt in Ordnung, ich bin happy. Mehr braucht es nicht. Die Marker der guten Erinnerung begleiten uns, sie beleben die Ur-Sehnsucht. Augustinus sagte es so: „Eigentlich wollen wir doch nur eines – das glückliche Leben, das Leben, das einfach Leben, einfach Glück ist. Um gar nichts anderes beten wir im letzten. Zu nichts anderem sind wir unterwegs – nur um das eine geht es.“

Wer ein Lebensziel hat, der strebt selbst unbewusst nach Glück

Schon die alten Griechen nannten das Glück genauso: „eudaimonia“, das Gelingen des Lebens. Glück ist ein Geschenk, vorgegeben als Geschenk des Lebens und beigegeben als Erfüllung. Das deckt sich mit den Erkenntnissen der modernen Glücksforschung. Das Gefühl des Glücks ist ein Nebenprodukt, das abfällt, wenn man ein gestecktes Ziel erreicht. Wer ein Lebensziel hat, der strebt selbst unbewusst nach Glück. Aristoteles etwa geht bei seinen Überlegungen über Ethik vom Streben nach Glückserfüllung aller Menschen aus. Das sei auch immer zugleich die Frage nach dem Sinn des menschlichen Lebens und er kommt zu dem Ergebnis, dass der Mensch dadurch glücklich wird, wodurch er gut wird. Das Glück gehört sozusagen zu seiner geistigen DNA. Der Atheist und Philosoph Ernst Bloch sieht das ganze Leben als Glückslabor, als „laboratorium beatitudinis“, und selbst der grantelnde Philosoph und Anthropologe Ludwig Feuerbach hält es für „die erste Pflicht, dich selbst glücklich zu machen. Bist du glücklich, so machst du auch andere glücklich“.

Immer sind Liebe und Freude im Spiel. Der französische Schriftsteller Georges Bernanos fasste viele Definitionen zusammen, als er den Satz prägte: „Seine Freude in der Freude des anderen finden – das ist das Glück“. Gottfried Wilhelm Leibniz, Mathematiker, Philosoph, Jurist, Historiker, der gern als letzter Universalgelehrter beschrieben wird, formulierte es ähnlich: Freude am Glück des anderen. Ein Freund ist daher Teilhaber, Mitgesellschafter, Mitproduzent am Unternehmen Glückssuche. Wer älter ist, braucht dazu die weichen Arme der Mutter nicht mehr. Aber die Umarmung des Freundes, die Nähe, der Duft, der Klang der Stimme – es hilft, um gemeinsam ein Stück Lebensweg zu gehen, ein gemeinsames Ziel zu verfolgen. Gefühle sind keine isolierten Regungen. Es gibt kein Gefühl ohne Beziehung, ohne den anderen.

Die Bühne der Gefühle

Der Körper ist „die Bühne der Gefühle“, sagt der in Amerika lehrende Neurowissenschaftler António Damásio. Der Sinn ist wichtig, aber zur Rationalität gehört auch das Gefühl. Gefühle ohne Körpererleben gibt es nicht. Das zeigt sich in zahlreichen Redewendungen: Der Zorn rast, Furcht ist beklemmend, ich kann ihn nicht riechen, Schmetterlinge im Bauch, ihm ist schwindelig vor Angst, der Neid nagt an ihm, er platzt vor Stolz, die Trauer zerreißt ihm das Herz, das Herz springt aus Freude aus der Brust, es steht still vor Schreck, er lacht sich tot (weil er erstickt) – Gefühle beeinflussen das vegetative Nervensystem, sie verändern die Atmung. Und in einer Art Rückkopplung über das Gehirn beeinflussen sie Denken und Handeln. Für Damásio spielen zwei Hirnregionen eine besondere Rolle: die Amygdala, die in gefährlichen Situationen unmittelbar Emotionen auslöst, und der ventromediale Kortex, der solche Emotionen gewissermaßen simuliert. Wenn man vor einer Entscheidung steht und verschiedene Optionen im Geiste durchgeht, sorgt diese Gehirnregion dafür, dass schwache Abbilder der Kernemotionen entstehen. Man könnte auch sagen, es ist die Erinnerung, die gespeicherten Erfahrungen, die Entscheidungen und Handeln mitbestimmen. Damásio ist tonangebend auf seinem Gebiet und durch populärwissenschaftliche Bestseller wie „Descartes’ Irrtum“ auch weit über sein Fach hinaus bekannt. Seine These, dass Rationalität nicht ohne Emotion auskomme, wird in seinem Fach heute weitgehend geteilt.

Gefühle und Vernunft sind Partner

Die Gehirnforschung hat das limbische System im Gehirn als die Region identifiziert, die bei emotionalen Regungen besonders aktiv ist. Sie ist nicht die einzige Region, aber doch eine Art Schaltstelle. Es wäre allerdings zu kurz gedacht, deshalb eine Art Hierarchie zwischen Emotion und Rationalität herzustellen, so wie selbst Albert Einstein es tat, als er sagte: „Alles, was von den Menschen getan und erdacht wird, gilt der Befriedigung gefühlter Bedürfnisse, sowie der Stillung von Schmerzen.“ Das würde den freien Willen, ja letztlich das Lieben zu einer tierischen Funktion degradieren. Gefühle und Vernunft sind Partner, nicht Gegner. Natürlich können Gefühle überwältigen und es gibt wohl kaum jemanden, der nicht gern ohnmächtig würde (vor Freude und Schreck), wenn das die Bedingung für den Lottogewinn wäre. Aber das ist nicht notwendigerweise das große Glück. Es könnte es werden, wenn man den Jackpot mit seinen Freunden teilt. Denn Gemeinsamkeit ist der kleine Jackpot der Gefühle.