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Ausgabe 05 Geschenk

Bischof Stefan Oster – Vom Radio ins Kloster

Lesedauer: ca. 11 Min.

Autoren: Isabel Kirchner, Rudolf Gehrig | Fotografie: Bernhard Spoettel

„Da könnte ich jedes Mal heulen“

Er war Radiomoderator in Regensburg und wollte eigentlich heiraten – doch „Gott hatte andere Pläne“. Stefan Oster ging ins Kloster. Heute ist er Bischof von Passau und Jugendbischof der Deutschen Bischofskonferenz. GRANDIOS hat ihn getroffen und sprach mit ihm über seinen Glauben, seine Zweifel, seinen Weg vom Moderator zum Bischof und über ungeöffnete Geschenke.

- GRANDIOS

Herr Bischof, wir haben Ihnen ein Geschenk aus Ihrer alten Heimat Regensburg mitgebracht: Regensburger Domtropfen, von Dom zu Dom sozusagen. Als Bischof bekommen Sie bestimmt öfter Geschenke – können Sie die noch wertschätzen?

- BISCHOF STEFAN OSTER

Ich versuche es. Schwierig wird es bei Zinntellern (lacht). Heimatbücher bekomme ich viele. Da schaue ich gerne rein, um mein Bistum tiefer kennenzulernen. Am liebsten sind mir Geschenkkörbe mit Naturalien. Die gebe ich gleich an meine WG weiter. Meine Mitbewohner freuen sich immer sehr.

Sie sind ganz normal katholisch aufgewachsen. Taufe, Erstkommunion, Firmung – nicht besonders spektakulär. Haben Sie sich irgendwann bewusst für den Glauben entschieden? Wer oder was hat Sie beeinflusst?

In meiner Jugend war ich Ministrant. Da gab es ein paar sehr eindrucksvolle Gestalten, mit denen ich gut reden konnte. Ja, ich bin zunächst sehr selbstverständlich in den Glauben hineingewachsen. Später kamen Fragen. Mit den Fragen kamen auch Menschen, die mir Antworten geben konnten. Aber es gab auch eine Zeit, in der ich keine Antworten mehr gefunden habe, vielleicht auch gar nicht mehr finden wollte. Ich war phasenweise ganz weit weg davon.

Was hat den „Turnaround“ bewirkt?

Im Grunde war es beides: Der Prozess des Suchens, Fragens, Sehnens nach Wahrheit, Freiheit, Authentizität, Liebe. Was ist der Ursprung davon, was die Quelle? Und ich habe im Laufe des Gehens gemerkt, dass ich den Jesus meiner Kindheit immer mehr als den Christus des Glaubens neu entdeckt habe – und dass in Ihm letztlich alle diese Fragen beantwortet werden. Und dann gab es neben dieser prozesshaften Bewegung des Suchens und Findens auch vereinzelt Momente, starke Momente, in denen ist mir diese Erkenntnis buchstäblich vom Kopf ins Herz gefahren und hat mein Leben umgedreht. Ab da dachte ich: Für wen sollte ich denn jetzt noch leben, außer für Ihn?

Glaubenswege können offensichtlich sehr verschieden sein. Es gibt spektakuläre Bekehrungserlebnisse, manche gehen lange Umwege. Warum ist das so unterschiedlich?

Gott ist ein Künstler. Wenn Sie einen menschlichen Künstler fragen, warum hast du das eine Bild so gemalt und das andere völlig anders, wird er vielleicht sagen: „Weiß’ ich gar nicht, passt gerade, ich hatte es in mir.“ Bei Gott ist es immer die Tiefe seines Herzens aus der alles kommt. Gott ist ein Liebender. Der Weg der Liebe in dieser Welt, die oft durcheinander oder lieblos ist, geht manchmal über Umwege. Da braucht es Geduld oder manchmal vielleicht auch einen Schlag vor den Kopf. Wirkliche Regeln gibt es da nicht.

Heute verstehen Sie Ihren Glauben als Geschenk. Sind Sie immer froh darüber? Oder gibt es auch Phasen, in denen Sie das Gefühl haben, ohne wäre es eigentlich leichter?

Naja, wenn die Seite des „alten Adam“ in mir durchkommt, der gerne egozentrisch ist und meint, die Welt drehe sich um ihn, dann sage ich auch mal: „Lieber Gott, jetzt lass’ mich mal in Ruhe! Jetzt mache ich nur noch, was Spaß macht.“ Aber am Ende merke ich: Wenn man sich nur auf das einlässt, was vermeintlich Spaß macht, kommt hinterher der Frust. Das hält nicht lange. In der Tiefe meines Herzens bin ich immer unglaublich dankbar, dass ich glauben darf. Allerdings kommt immer auch die Frage hinzu: Werde ich diesem Geschenk gerecht?

Vom Radiomoderator zum katholischen Bischof

Nach dem Abi sind Sie Radiomoderator geworden. Offenbar hatten Sie dafür Talent. Auch Talente und Begabungen gelten als Geschenke, die man mitbekommt. Welches Talent hat Sie zum Radio geführt?

Genau genommen bin ich erst Zeitungsjournalist und dann Radiomoderator geworden. Allerdings frage ich mich immer, wie sehr der Weg in diese Richtung von meinem Vater beeinflusst war. Mein Vater hat Medien- und Öffentlichkeitsarbeit gemacht. Kommunikation ist aber sicher etwas, das mir gegeben ist. In der Theologie gibt es einen wichtigen Satz. Er stammt von Thomas von Aquin: „Die Gnade setzt die Natur voraus und zerstört sie nicht, sondern vollendet sie.” Das heißt: Da ist das natürliche Talent, also der Umgang mit dem Wort. Dazu kommt dann die Gnade, die der Herr mir vielleicht manchmal schenkt, das Wort Gottes so zu verkünden, dass es hoffentlich ein paar verstehen oder sich davon bewegen lassen.

Als Sie beim Radio aufgehört haben, hatten Sie da nicht das Gefühl, Begabungen vergraben zu müssen?

Es gibt immer Wegstrecken, wo man sich entscheiden muss. Die Frage ist: zu was ruft einen Gott. Wozu fühlt man sich gerufen? Wenn ich sowohl das Talent habe, ein großer Fußballer zu sein, als auch ein großer Musiker – beides ist bei mir nicht der Fall – dann muss ich mich entscheiden. Entscheide ich mich für den Profimusiker, muss ich den Fußball zumindest reduzieren. Wenn jemandem mehrere Dinge gegeben sind und Gott beruft zu einem bestimmten Weg, dann muss man ein paar Sachen vielleicht auch hinter sich lassen.

Sie sind schließlich Priester geworden und nun seit fünf Jahren Bischof. Empfinden Sie Ihre Berufung zum Priestertum als Geschenk?

Ja, sehr stark! Ich wüsste nicht, für was ich oder für wen ich sonst leben sollte. Aber es ist auch eine Bürde. Weil man sich natürlich fragt, ob man diesem Geschenk gerecht wird. Die Bürde ist beim Bischof noch ein bisschen gewaltiger. Ich bin geistlicher Leiter einer Diözese. Die „geistliche Physik“ sagt, das Level einer Gemeinschaft hängt stark vom geistlichen Level des Leiters ab. Das fordert mich sehr und lässt mich immer wieder neu fragen: „Herr, wie ist meine Beziehung zu Dir und wie lebe ich die?“ Oder ist das alles nicht doch sehr erbärmlich? Was ich übrigens immer wieder am eigenen Leib so erlebe.

Zölibat vs. Beziehungsgeschenk

Es gibt auch Priester, die ihre Berufung nicht mehr als Geschenk sehen, sondern als Belastung. Sie selbst haben eine langjährige Beziehung aufgegeben und sich bewusst für den Zölibat entschieden. Warum mutet die Kirche ihren Priestern ein eheloses Leben zu?

Ich habe mich nicht gleich für das Priestertum entschieden, sondern zuerst für ein Leben im Orden. Ich habe lange gefragt, was ist der Sinn meines Lebens? Wofür kann und will ich leben? Die großen Fragen nach Liebe, nach Wahrheit, nach Freiheit haben mich immer beschäftigt. Ich habe einfach eine Herzensbewegung gespürt, die gesagt hat: „Gib’ dich mir ganz“. Da war für mich klar, das bedeutet: Mit meinem Leib, mit meinem Geist, mit meinem Besitz. Also ehelos, gehorsam, arm. Ich wusste, ich muss dem Herrn ganz gehören im Vertrauen darauf, dass er mein Reichtum ist und nicht meine eigene Armut. Ich spürte, ich mach’ das nicht auf meine eigenen Muskeln hin. Nicht „die Kirche mutet zu“ – es ist ein Ruf des Herrn, der sagt: „Gib’ dich mir ganz“.

Aber die Beziehung zu einer Frau hätte auch ein Geschenk sein können, das Sie vielleicht erfüllt hätte.

Ohne Frage. Ich bin auch sehr dankbar für das, was ich zuvor erleben durfte in meiner Beziehung. Aber sobald Gott selber ins Spiel kommt, bin ich nicht mehr der, der wählt im Sinne von, ich mache entweder das, das ist ganz cool oder das, denn das ist auch ganz cool. Wenn Gott ins Spiel kommt, ist das eher ein Gezogen-Sein in eine Lebensform, die ich dann gewählt habe. Ich fühle mich überhaupt nicht reingenötigt in meine Berufung. Ich darf da einem Anruf folgen, von dem ich denke, das muss ich tun. Gleichzeitig weiß ich, ich bin völlig frei in diesem „Ja“. Ich bin vielleicht nie freier, als wenn ich dieses „Ja“ sage.

Gilt das nur für die spezifisch priesterliche Berufung oder auch für „normale Christen“?

Ich glaube, jeder sollte dahin wachsen, so ein „Ja“ zu sagen, weil jeder Mensch von Gott unendlich geliebt ist. Dieses „Ja“ bedeutet, mit seinem Leben auf die Liebe Gottes zu antworten. Gott liebt mich ja nicht mehr als Sie. Er liebt Sie auf einzigartige Weise und er liebt mich auf einzigartige Weise. Deswegen gilt auch für einen „Normalchristen“: Wie finde ich in meinem Leben die Antwort auf die Liebe Gottes? Ganz ehrlich: Im Ordensleben hat man bisweilen die Möglichkeit, seine Egozentrik besser zu pflegen als in der Familie. Eine Familie erzieht einen intensiver, ein liebesfähiger Mensch zu werden. Wenn die Kinder in der Früh um vier Uhr schreien, musst du raus und aufstehen und einfach für sie da sein. Oder dein Partner beansprucht deine Zeit oder ist krank oder was auch immer. In der Familie kann man sich weniger heraushalten als im Ordensleben, wo man sich oft genug aus dem Weg gehen kann.

„Immer dieselbe und gleiches Konto und gleiches Haus, das ist wie Sklaverei“

Sie sprechen viel von Liebe und Freiheit. Kirche wirkt aber oft, als gehe es vor allem um die Einhaltung von Regeln, um Gebote und Verbote.

Das ist eine Frage, die uns alle beschäftigt: Das Verhältnis von Regelgesetz und Freiheit. An einer Ehe ist es im Grunde am leichtesten zu erklären. Wenn man eine Ehe nur von außen sieht, wirkt es unfassbar streng: Mit dir, und nur mit dir, lebenslänglich. Immer dieselbe oder immer derselbe. Gleiches Konto, gleiches Haus, das ist wie Sklaverei, wie eine dicke Fußfessel, weil ich den Typen oder die Frau am Bein habe. Wenn es aber um Liebe geht, und ich den anderen wirklich um seinetwillen zu lieben gelernt habe, dann ist dieser stark regulierte, gesetzliche Rahmen der Raum, in dem ich hoffe zu wachsen und freier zu werden. Das so wahrzunehmen, setzt aber Liebe voraus. Weil wir uns schwer tun zu verstehen, dass Gott uns liebt und wir eine Antwort darauf geben können, sehen wir bei Kirche zunächst oft nur „Du sollst, Du musst und Du darfst nicht”, also irgendwie Gebotswahnsinn oder Verbotsmoral. Das ist aber sehr, sehr verkürzt.

Ein Geschenk sagt immer auch etwas über den aus, der es verschenkt. Was haben Sie von Gott gelernt anhand der Geschenke, die Sie von ihm erhalten haben?

Dass Gott einer ist, der mich meint. Dieser Gott, der das Universum geschaffen hat vor vielen Milliarden Jahren – er meint wirklich mich. Er meint genauso Dich und jeden Einzelnen ganz persönlich. Wenn Du zurückschaust auf deinen Lebensweg und merkst, es passt alles irgendwie genau zu dir. Die Liebe, die er gibt und durch die er sich gibt, die meint echt dich.

Kann Gott traurig sein?

Ist Gott beleidigt, wenn wir seine Geschenke zurückweisen?

Beleidigt ist zu menschlich gesprochen. Aber denken Sie an die Geschichte vom verlorenen Sohn und dem barmherzigen Vater, die Jesus erzählt. Der sogenannte verlorene Sohn will in einer bestimmten Phase seines Lebens nichts mehr wissen von dem alten Herrn, der ihm vermeintlich jahrelang seinen Besitz verweigert und ihn geknechtet hat. Er bildet sich das zumindest ein, rennt davon und verjubelt sein Vermögen. Wie mag es dem Vater gegangen sein, der den Sohn einfach nur liebt? Ist er beleidigt? Nein, beleidigt ist er nicht. Aber das Evangelium erzählt, dass Gott Gefühle hat. Er ist traurig über die Entfernung des Sohnes, er hat Sehnsucht nach unserem Zurückkehren, weil er uns liebt und geschaffen hat.

Gibt es ein Geschenk in Ihrem Leben, von dem Sie sagen würden: Ich habe es noch nicht ausgepackt, es wartet aber noch auf mich?

Bei Paulus lese ich, wie er sein Apostelsein lebt: Auf dem letzten Platz, Abschaum der Welt, gesteinigt, im Gefängnis und so weiter. Dann stelle ich mir die Frage, ob zu meinem Apostelsein nicht mehr Demut gehört, nicht mehr Erniedrigung. Paulus lobt seine eigene Schwachheit, weil in der Schwachheit Gott erst wirklich wirken kann. In der Heiligen Schrift heißt es ja, dass wir Apostel gesandt werden, Kranke zu heilen, Tote aufzuerwecken und Dämonen auszutreiben. Es gibt da eine Dimension, die damit zusammenhängt, wie sehr ich mich letztlich Gott überlasse. Dass ich mich ihm letztlich überlassen kann, dem bringe ich oft noch nicht genug Vertrauen entgegen. Wenn ich es könnte, würde ich wohl nochmal in anderer Weise beschenkt werden. Auch um den Preis, den das kostet.

Wenn Sie sich ein Geschenk aussuchen könnten, was würden Sie auf Ihren Wunschzettel schreiben?

Ich könnte jedes Mal heulen, wenn ein Mensch – und bei mir sind es öfter junge Menschen – zu mir kommt und ich erleben darf, wie dieser Mensch sein Leben ändert, weil er dem Herrn begegnet ist. Und ich merke dann: Der Herr ist wirklich da, das Evangelium ist wahr. Im Grunde lebe ich dafür.

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