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Lesedauer: ca. 4 Min.

Autor: Franz Salzmacher

Das Beichtgespräch

Eine kurze Geschichte vom Geschenk der Liebe

Gut, sonst noch was?

Nein, das heißt, vielleicht doch, ich, äh ich glaube, ich habe meine Frau verflucht.

Bitte? Wie meinen Sie das?

Nun, ich habe gestern, da war ich so verärgert, da habe ich gesagt: „Geh’ zum Teufel, du bist schlicht liebesunfähig.“

Und was hat sie geantwortet?

Sie hat das gar nicht gehört, sie schlief schon oder war gerade eingeschlafen. Ich habe das so halblaut zu mir selbst gesagt, als ich ins Schlafzimmer kam. Ich hatte, äh ich hatte mich irgendwie gefreut auf zuhause, weil ich den ganzen Tag unterwegs war und den Tag davor auch und da sah ich halt wie sie schlief und war enttäuscht.

Hat sie das gehört?

Sie hat das gar nicht gehört, sie schlief schon oder war gerade eingeschlafen. Ich habe das so halblaut zu mir selbst gesagt, als ich ins Schlafzimmer kam. Ich hatte, äh ich hatte mich irgendwie gefreut auf zuhause, weil ich den ganzen Tag unterwegs war und den Tag davor auch und da sah ich halt wie sie schlief und war enttäuscht.

„Sicher, ja“, sagte der Priester nachdenklich. Er saß nach vorne gebeugt auf dem Stuhl mit den Armlehnen im Gesprächsraum, den sie anstelle des Beichtstuhls hinten in der Kirche eingerichtet hatten. Das war eine Neuheit damals in Regensburg. Er lehnte sich einen Moment zurück und strich sich mit der rechten Hand durch das Haar, so, als ob er einen Gedanken fassen wollte. Dann beugte er sich wieder vor und sagte:

„Schauen Sie, die Verwünschung ist wohl eine Sünde. Schlimmer ist Ihr Urteil. Liebesunfähig. Kein Mensch ist völlig liebesunfähig. Nur der Teufel ist es. Es zeichnet uns Menschen ja gerade aus, dass wir zur Liebe fähig sind. Die Liebe ist das Ur-Geschenk Gottes an uns. Das sagen jedenfalls die Kirchenväter und ich kenne auch keinen, der diesem Wort von Thomas von Aquin je widersprochen hätte. Ur-Geschenk, verstehen Sie? Ihre Frau war einfach müde, um halb zwei nachts ist das ja auch verständlich. Oder kommt das öfter vor?“

„Ja, sie hat Angst davor, dass wir zusammenkommen. Wir haben fünf Kinder und nicht so viel Geld, das älteste ist gerade acht Jahre alt und wir versuchen es mit der natürlichen Empfängnisregelung, das ist halt nicht so sicher und da…“

„Verstehe, verstehe“, unterbrach ihn der Priester. „Aber haben Sie das mit der Liebesfähigkeit verstanden? Wenn Sie fünf kleine Kinder haben, dann heißt das, dass Ihre Frau Sie liebt. Sie hat ein Recht darauf, müde zu sein. Das steht dann gegen Ihr Recht des Begehrens oder auf Vereinigung. Der Frust, den Sie empfinden, zeigt, dass Sie Ihre eigene Liebesfähigkeit noch steigern können, indem Sie beten, statt fluchen.

Sicher kann auch Ihre Frau ihre Liebesfähigkeit noch steigern. Auch ich kann das noch und wir müssen uns alle darum bemühen, denn das bringt uns näher zu Gott, der uns diese Fähigkeit geschenkt hat. Die Ausdrucksformen der Liebe sind vielfältig, das muss nicht immer die körperliche Liebe sein. Kennen Sie die Enzyklika Humanae vitae?“

„Nein, habe nur davon gehört. Das ist doch die Pillenenzyklika. Da wir die Pille nicht nehmen, schon aus medizinischen Gründen, war sie für uns nicht wichtig.“

„Die sollten Sie lesen. Sie ist nicht lang, sondern eine der kürzesten überhaupt. Aber sie redet von der Freundschaft der Ehepartner als höchste Form personaler Freundschaft, wie man miteinander umgehen soll – feinfühlig und liebevoll – einfach wunderbar. Dem Teufel ist ein Meisterstück gelungen, als er sie durch die Medien so ins Zwielicht rückte, dass selbst Sie als ordentlicher Katholik sie nur als Pillenenzyklika wahrnehmen. Lesen Sie darin, zehn Minuten, als Buße. Und, ich habe da noch eine Frage: Was sind Sie von Beruf?“

„Ich bin Arzt, Nervenarzt. Warum?“ Es schwang ein wenig Selbstzufriedenheit mit, als der Mann das sagte. Der Beruf war angesehen und wenn er im Krankenhaus oder in seiner Praxis tätig war, trug er auch einen weißen Kittel, so wie die Kollegen in der Fernsehserie Sachsenklinik.

„Journalist oder Mediziner, das habe ich vermutet“, sagte der Priester und schaute ihn kurz an. „Ich möchte Ihnen noch einen Tipp geben, wenn Sie mögen. Ich spreche mit vielen Medizinern und Journalisten. Mir fällt dabei immer auf, dass sie ziemlich schnell eine Diagnose fällen, die ist dann definitiv und nicht selten auch total, fast totalitär. Jedenfalls betrifft sie den ganzen Menschen. Auch Sie haben das getan, indem Sie Ihre Frau als liebesunfähig bezeichneten. Das sind Todesdiagnosen. Das heißt so viel wie unheilbar, ja eigentlich sogar mehr: Unheiligbar, jemand, der nicht lieben kann, kann auch nicht wirklich gut, also heilig werden. Lieben ist das Sinnvollste, was der Mensch tun kann, hat der emeritierte Papst Benedikt mal gesagt. Ohne Liebe ist nichts, mit Liebe alles. Verstehen Sie?“

„Ja, Ur-Geschenk“, murmelte der Arzt kleinlaut und fast verwundert über die Dringlichkeit der Priesterworte.

Und wie zur Bestätigung fuhr der Priester fort: „Bitte hüten Sie sich außerhalb Ihres Berufs vor Diagnosen. Geben Sie den Menschen eine Chance, Gott tut es auch“.

Der Mann nickte und schwieg.

Der Priester lehnte sich zurück, strich sich wieder durchs Haar, faltete die Hände und sprach die Absolution. Er war bekannt als Seelenführer, vor dem Beichtraum saßen drei weitere Personen.