Erziehungsziel Friede

Die "heile Welt" gibt es nicht. Was man dennoch dafür tun kann, dass es friedlicher zugeht.

Erziehung zum Frieden

Die „heile Welt“ gibt es nicht. Aber man kann einiges dafür tun, dass es friedvoller zugeht. Warum Friede mit der Sprache beginnt und es nicht hilft , Kinder „in Watte zu packen“. Impulse zum Nach- und Weiterdenken – nicht nur für Eltern, Erzieher und Lehrer.

"Frieden" hat Verfassungsrang

Nicht die aller erste Stelle, aber doch unübersehbar. Das gerade eben 75 Jahre alt gewordene Grundgesetz verpflichtet die Bundesrepublik und seine Bürger, „dem Frieden der Welt zu dienen“. Die meisten Verfassungen der 16 deutschen Länder bestätigen das, oder sie haben es bereits ein oder drei Jahre vor Verabschiedung des Grundgesetzes vorweggenommen. In der Bayerischen Verfassung vom Dezember 1946 ist in der Präambel als Auftrag festgehalten: „die Segnungen des Friedens … zu sichern“. In Artikel 131 der bayerischen Verfassung steht als Erziehungsziel dezidiert: „… im Sinne der Völkerversöhnung zu erziehen“. Die Verfassung von Nordrhein-Westfalen differenziert in der Präambel, man solle „dem inneren und äußeren Frieden dienen“ und in Artikel 7 wird festgehalten: Die Jugend solle erzogen werden „zur Friedensgesinnung“. Ähnlich auch die Verfassungen der „neuen Länder“, die am 3.

Nur Harmonie („Friede, Freude, Eierkuchen“) immer und überall wird es im Diesseits nur näherungsweise geben. „Aggression“ als Triebfeder, die es im Sinne von Frieden zu domestizieren gilt, hat allerdings zwei Seiten. Als gutartige Aggression im Sinne von „aggredi“ (auf eine Sache zugehen) und als bösartige Aggression, das heißt als Destruktion. Der Mensch als einziges Lebewesen betreibt Aggression nicht nur zur Selbst- und Arterhaltung, wie es bei allen anderen Lebewesen üblich ist, sondern als bösartige Aggression: als Zerstörung um des Zerstörens willen.

Der „ewige Friede“ unter Völkern, wie ihn sogar große Köpfe wie Immanuel Kant 1795 projektierten, bleibt Vision und Auftrag. Das Kämpferische, Leidenschaftliche, Strebende (griechisch: das Agonale) ist dem Menschen eigen. Es ist Voraussetzung für neue Erkenntnisse und für Fortschritte. Letztere sind dann am ehesten konfliktfrei, wenn sie gemeinnützig und nicht egoistisch martialisch angelegt sind. Insofern ist die jahrtausendealte These vom „Krieg als Vater aller Dinge“ (Heraklit, ca. 500 v. Chr.) falsch und zynisch.

Kämpferische Energie kanalisieren

Agonale, „kämpferische“ Energien gilt es zu domestizieren, zu kanalisieren. In der Tiefenpsychologie sagt man: Es geht darum, diese Energien zu sublimieren, zu erhöhen, auf eine höhere Ebene (lat. limen = Schwelle) zu heben und zu verfeinern. Oder in den Worten von Sigmund Freud: Aus dem ES als dem Inbegriff von Libido und Destrudo muss ICH werden. Das Lustprinzip des ES muss dem Realitätsprinzip des ICH weichen, es muss dem ÜBER-ICH als dem Inbegriff von Werten, Normen und dem Gewissen gehorchen.

Aggression und Depression sind mit einander verwandt

Aggression und Depression sind nichts Gegensätzliches, sondern eng miteinander verwandt. Bei der Aggression werden destruktive Energien zu Lasten von Mitmenschen nach außen getragen, bei der Depression richten sich destruktive Energien gegen die eigene Person: von Selbstzweifeln und Gewissensbissen („Bisse“: beachte die Weisheit der Sprache) bis hin zu suizidalen Tendenzen. Mit anderen Worten: Aggressive, „agonale“ Tendenzen müssen – sozial verträglich – abgeführt werden können.

Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, „agonale“ Energien zu kanalisieren – also zu „sublimieren“: sich das unendlich vorhandene Wissen anzueignen, sozial tätig zu werden, sich musikalisch, künstlerisch und/oder sportlich zu betätigen usw. Dann wird aus dem „aggredi“ (wörtlich: auf eine Sache zugehen) etwas Bereicherndes. Das sind die moralisch wertvollen Äquivalente von „Aggression“. Man lese mal wieder den Essay „The moral equivalent of war“ des großen US-Psychologen William James (1842 – 1910).

Erziehung zu Friedensbereitschaft und Friedensfähigkeit beginnt idealerweise in frühester Kindheit. Sie ist dann im positiven Sinn prägend, wenn Basis dieser Erziehung die Liebe aller Beteiligten zueinander ist. Dann glätten sich schnell auch individuelle Differenzen und Unterschiede in wechselseitigem Respekt.

Frieden kann kein Nullsummenspiel sein. Wenn im Konfliktfall der eine nur gibt und nur nachgibt, der andere nur nimmt und dominiert, ist der Keim bereits gelegt für nächste Konflikte. Friedliche Konfliktlösung sollte – auch in der Erziehung – eine „Win-win“-Situation schaffen, von der alle Kontrahenten etwas haben und alle Kontrahenten ihr „Gesicht wahren“ können. In altersgerechter Ausprägung muss das erfolgen: unter Achtung einer positiven Erzieherautorität, die dem Zögling mit zunehmendem Reifegrad mehr Eigenverantwortung und Durchsetzung zugesteht.

Gewaltfreie Lösungen

Mit zunehmendem Alter der Kinder erweitern sich deren soziale Radien. Nach der Familie kommen der Kindergarten und „Peergroups“, dann folgt die Schule. Je mehr Interaktions- und Kommunikationspartner ein Kind dann hat, desto wichtiger ist es, dass ein Kind ein ausgewogenes Maß an Anpassungsbereitschaft und Durchsetzungsfähigkeit aus dem Elternhaus mitbekam und neu erproben lernt. Es ist dies bereits die Vorstufe des Erwerbs demokratischer Prinzipien: gewaltfreie Lösung von Konflikten, Gewaltmonopol bei den dafür legitimierten Autoritäten, Toleranz und Wertschätzung des Anderen.

Friede beginnt mit der Sprache

Also mit sprachlicher Bildung. Denn: Wo Sprache versagt, regiert die Faust. Das gilt für den zwischenmenschlichen ebenso wie für den inter-nationalen Bereich. Mit anderen Worten: Die Vernachlässigung der Sprache und fehlende sprachliche Prägungen in Elternhaus und Schule verhindern friedliche Konfliktlösungen.
Aggressionshemmend ist ein Erziehungsstil, der integrativ, wertschätzend und empathisch vorgeht, ohne das Gefälle zwischen Alt und Jung zu verwischen. Aggressionsfördernd sind indes zwei andere Erziehungsstile: der apathische Laissez-faire-Stil, der die Zöglinge sich selbst und ihren Reibereien und Nöten überlässt; und der hart-autoritative Stil, der in puncto Gewalttätigkeit und Gewaltbereitschaft ein schlechtes Vorbild ist.
Zur Menschheitsgeschichte und zum Menschsein gehören – leider – Kriege. Dies gegenüber Heranwachsenden zu verdrängen wäre nicht nur unehrlich, sondern leichtsinnig. Der erzieherische Umgang mit Krieg muss differenziert erfolgen. Bloße Unterweisung in Pazifismus ist unverantwortlich. Die Geschichte lehrt, dass Appeasement-Politik Kriege oft erst befördert hat. Das heißt: Heranwachsende sollen sehr wohl konfrontiert werden mit der Sentenz: „Si vis pacem para bellum“ (Wenn du den Frieden erhalten willst, musst du für einen Krieg gerüstet sein). Das heißt nicht, dass – wie es eine Bundesbildungsministerin im Frühjahr unglücklich formuliert hat – die Schule die jungen Leute „kriegstüchtig“ machen oder ein DDR-Schulfach „Wehrkundeunterricht“ eingeführt werden muss. Aber in altersgemäßer Ausprägung müssen die Schulfächer Religion, Ethik, Geschichte, Politik das Thema „Krieg – damals und heute“ behandeln. Besuche auf Soldatenfriedhöfen und Recherchen beim „Volksbund Deutsche Kriegsgräber“ (VDK) zum Verbleib gefallener Groß- und Urgroßväter, Groß- und Urgroßonkel gehören durchaus dazu. Auch die Teilnahme von Schulklassen an Workshops des „Volksbundes“ bieten sich an.
Heranwachsende quasi in Watte zu packen und so zu tun, als habe es nur immer heile Welt gegeben und als gebe es heute und morgen nur heile Welt, ist unehrlich. Dann nämlich werden Heranwachsende nicht darauf vorbereitet, mit den Wirklichkeiten im eigenen Land oder auf der Welt adäquat umzugehen. Schockerlebnisse und – je nach charakterlicher Prägung – Aggressionen oder Depressionen sind die Folge.
Den meisten Menschen, auch den nachdenklichen, fällt gar nicht auf, dass das Wort „Frieden“ zentral im Wort „Zufriedenheit“ steckt. Ja, beides hat miteinander zu tun. Und zwar wechselseitig: Nur wenn Frieden herrscht, darf man zufrieden sein. Und nur wenn man zufrieden ist, kann Frieden herrschen. Die Sprache beweist mit dem Wort „Zufriedenheit“ einmal mehr ihre Weisheit.
Erziehung zu Frieden und zu Friedfertigkeit müsste von daher erst einmal heißen: Menschen müssen lernen, mit sich, den Mitmenschen, mit den Umständen zufrieden zu sein. Zufriedenheit nicht im Sinne von Selbstvergessenheit oder Selbstüberhöhung, auch nicht im Sinne von Endlosempathie oder Lethargie, sondern Zufriedenheit im Sinne der Sentenz: Ändern, was im persönlich berechtigten und im allgemeinen Interesse geändert werden kann; aber auch gelassen akzeptieren, was nicht geändert werden kann. Kurz: Die Welt wäre friedvoller, wenn die Menschen in diesem Sinne zufriedener – und weniger von Neid zerfressen – wären.

Alle "Frieden" Beiträge

Online lesen mit Grandios Digital

Um diesen Beitrag lesen zu können, musst du eines der folgenden Produkte kaufen: Grandios Magazin FRIEDEN +Plus, Grandios Magazin FRIEDEN Digital, Abo Grandios Digital oder das Gesamtpaket: Abo Grandios +Plus

Suche