- Autor: Josef Kraus
- Illustrationen: Carina Crenshaw
Erziehung zum Frieden
"Frieden" hat Verfassungsrang
Nur Harmonie („Friede, Freude, Eierkuchen“) immer und überall wird es im Diesseits nur näherungsweise geben. „Aggression“ als Triebfeder, die es im Sinne von Frieden zu domestizieren gilt, hat allerdings zwei Seiten. Als gutartige Aggression im Sinne von „aggredi“ (auf eine Sache zugehen) und als bösartige Aggression, das heißt als Destruktion. Der Mensch als einziges Lebewesen betreibt Aggression nicht nur zur Selbst- und Arterhaltung, wie es bei allen anderen Lebewesen üblich ist, sondern als bösartige Aggression: als Zerstörung um des Zerstörens willen.
Der „ewige Friede“ unter Völkern, wie ihn sogar große Köpfe wie Immanuel Kant 1795 projektierten, bleibt Vision und Auftrag. Das Kämpferische, Leidenschaftliche, Strebende (griechisch: das Agonale) ist dem Menschen eigen. Es ist Voraussetzung für neue Erkenntnisse und für Fortschritte. Letztere sind dann am ehesten konfliktfrei, wenn sie gemeinnützig und nicht egoistisch martialisch angelegt sind. Insofern ist die jahrtausendealte These vom „Krieg als Vater aller Dinge“ (Heraklit, ca. 500 v. Chr.) falsch und zynisch.
Kämpferische Energie kanalisieren
Aggression und Depression sind mit einander verwandt
Aggression und Depression sind nichts Gegensätzliches, sondern eng miteinander verwandt. Bei der Aggression werden destruktive Energien zu Lasten von Mitmenschen nach außen getragen, bei der Depression richten sich destruktive Energien gegen die eigene Person: von Selbstzweifeln und Gewissensbissen („Bisse“: beachte die Weisheit der Sprache) bis hin zu suizidalen Tendenzen. Mit anderen Worten: Aggressive, „agonale“ Tendenzen müssen – sozial verträglich – abgeführt werden können.
Erziehung zu Friedensbereitschaft und Friedensfähigkeit beginnt idealerweise in frühester Kindheit. Sie ist dann im positiven Sinn prägend, wenn Basis dieser Erziehung die Liebe aller Beteiligten zueinander ist. Dann glätten sich schnell auch individuelle Differenzen und Unterschiede in wechselseitigem Respekt.
Frieden kann kein Nullsummenspiel sein. Wenn im Konfliktfall der eine nur gibt und nur nachgibt, der andere nur nimmt und dominiert, ist der Keim bereits gelegt für nächste Konflikte. Friedliche Konfliktlösung sollte – auch in der Erziehung – eine „Win-win“-Situation schaffen, von der alle Kontrahenten etwas haben und alle Kontrahenten ihr „Gesicht wahren“ können. In altersgerechter Ausprägung muss das erfolgen: unter Achtung einer positiven Erzieherautorität, die dem Zögling mit zunehmendem Reifegrad mehr Eigenverantwortung und Durchsetzung zugesteht.