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Ausgabe 06 Freundschaft

Geige, Geige, Bratsche, Cello

Lesedauer: ca. 5 Min.

Autorin: Isabel Kirchner

Geige, Geige, Bratsche, Cello

Der Klang der Freundschaft. Vom Abenteuer, sich ganz auf andere einzulassen.

Alles begann mit einer gemeinsamen Leidenschaft: Kammermusik. Ohne die hätten sich Carola, Maria, Zora und Myriam vermutlich nicht gefunden. Und ohne diese Leidenschaft wären die Leben der vier vermutlich ganz anders verlaufen. Wir treffen Carola Eva-Richter in der Hochschule für Kirchenmusik und Musikpädagogik in Regensburg, wo sie eine Dozentur für Violine innehat. Sie berichtet uns von den ersten Jahren des Mignon-Quartetts und wie die gemeinsame Kammermusikbegeisterung die Wege der vier Frauen allmählich in eine gemeinsame Richtung lenkte.

„Dieser Drang, zusammen zu musizieren und auch diese Art, ohne Dirigenten, absolut gleichberechtigt – das ist für uns schon etwas absolut Besonderes: selbstbestimmt und trotzdem in Kommunikation“

Zueinanderfinden

Schauplatz der ersten Jahre war die Hochschule für Musik in Karlsruhe. Wer schon in seiner Jugend zum Kammermusiknarr geworden war, der suchte auch im Instrumentalstudium schnell nach musikalischen Mitstreitern. So fanden die beiden Geigerinnen Carola und Maria – Maria war frisch aus Russland nach Deutschland gekommen – und die Cellistin Myriam schnell zueinander. Die geeignete „Bratsche“ für die gewünschte Streichquartettformation aufzutreiben, erwies sich als ein bisschen schwieriger. Die erste Kandidatin passte nicht so richtig – ihr fehlte etwas Wesentliches: die Leidenschaft für Kammermusik. Aber im passenden Augenblick wechselte eine alte Musizier-Bekannte von Carola nach Karlsruhe: Zora war definitiv die Richtige! So konnte es im Jahr 2000 losgehen mit dem Mignon-Quartett.

Die Vision

Vier gute Instrumentalisten machen noch kein Quartett. Ein Streichquartett mit musikalischen Ambitionen ist eben nicht nur ein Hobby oder eine beliebige Weise, sein Musikerdasein zu leben. Ein Streichquartett ist „eine ganz spezielle Verbindung – ursprünglich musikalisch, aber das betrifft dann alle Lebensbereiche, weil man natürlich viel zusammen reist, zusammen Zeit verbringt“, erzählt Carola Eva-Richter. Was die vier Mädels von Anfang an verband, war – über eine große gegenseitige Sympathie hinaus – die Liebe zu einer spezifischen Art, Musik zu machen, und die Bereitschaft, ungeheuer viel Arbeit in die Verwirklichung eines gemeinsamen Ziels zu stecken. Und dieses Ziel war zunächst ausgesprochen vage: gute Kammermusik. Was das hieß und was dazu vonnöten war, das musste sich erst herausstellen.

Von links: Zora (Bratsche), Maria (Geige), Myriam (Cello) und Carola (Geige)

Die Hüllen fallen

Der Anfang war hart. Es wurde unfassbar viel geprobt. Es dauerte oft Stunden, bis man sich einig wurde, wie ein Stück zu interpretieren sei. Dabei mussten alle vier sehr kritikfähig sein. Schließlich ging es in den Proben immer darum, was man noch besser machen könnte. „Man muss sich einiges anhören!“, klagt Carola Eva-Richter scherzhaft. Ein rhythmisches Gefühl, das der einen richtig erscheint, kann die Nachbarin ganz anders empfinden. So lernten sich die vier auch schnell sehr gut kennen. Wer dominiert gerne, wer schlichtet eine Diskussion? Einige prägende Lehrergestalten halfen mit ungewöhnlichen Experimenten: Einmal sollte das Quartett Rücken an Rücken, quasi blind, spielen. Ungläubige Blicke. Wie sollte das der Weg zu einem besseren Zusammenspiel sein? War der Augenkontakt nicht unentbehrlich, um sich musikalisch zu verständigen? Aber: Es funktionierte. Von dieser Erfahrung zehrt das Quartett bis heute. „Man hört den Atem der anderen, man spürt sie“, erläutert Carola Eva-Richter. „Man muss hellwach sein. Es geht darum, wirklich bereit zu sein dafür, den anderen mitzubekommen und wahrzunehmen. Das ist mehr als nur zu schauen, wer bewegt seinen Bogen wann und wie.“ Manchmal gab und gibt es bis heute in den Proben auch einen Punkt, an dem wirklich nichts mehr weitergeht. Einer weiteren Erkenntnis des Mignon-Quartetts zufolge hilft da eines immer: Essen. „Unsere Männer behaupten alle – was nicht stimmt – wir treffen uns nur zum Kochen,“ sagt Carola Eva-Richter und lacht.

Ein Wille

Als schwierigste Hürde erwiesen sich die Konzerte. In den Proben hatte das Quartett langsam gelernt, zu einem einzigen Willen zu verschmelzen. Doch in den Konzerten ging dieser „Quartettwille“ regelmäßig verloren. „Wir haben ja alle in erster Linie unser Instrument studiert – da ist man total auf sich fokussiert. Und da geht’s dann erst mal darum, dass dieser eine Ton richtig ist. Das ist sehr existenziell. Es ist schwer, da raus zu treten“, sagt Carola Eva-Richter, „aber wer gute Kammermusik machen will, muss aus der reinen Ich-Fokussierung heraus. Anders geht es nicht.“ Bei Carola, Maria, Zora und Myriam hat es viele Jahre gedauert, bis sie erstmals in einem Konzert diesen entspannten Zustand erlebt haben, in dem jede sich ganz auf die anderen einlassen und von ihren eigenen Vorstellungen absehen konnte. Es war plötzlich möglich, den Zuhörern etwas mitzuteilen und dennoch die Kammermusikpartner nicht aus dem Auge zu verlieren. Es wäre ein Missverständnis, betont Carola Eva-Richter, zu meinen, es ginge dann nicht mehr darum, dem Publikum etwas zu vermitteln, aber der Wunsch, „da soll was passieren in dem Moment“, ist doch ein anderer Wunsch, der nicht mehr so auf einen selbst zentriert ist.

Mehr als ein Quartett

Mittlerweile hat sich das Mignon-Quartett nicht nur ein großes Repertoire erarbeitet und zahlreiche erfolgreiche Auftritte hinter sich. Die vier Damen haben inzwischen jeweils einen Musiker zum Mann – dass die einzelnen Kennenlerngeschichten im Mädels-Quartett immer intensiv beobachtet und besprochen wurden, versteht sich von selbst. Die Familiengründungen sorgten darüber hinaus bei den vier Frauen auch für reichlich Nachwuchs. Folglich gibt es heute neben Bogenstrichen, Artikulation und dem richtigen Tempo noch viele weitere verbindende und wichtige Themen. Am Anfang stand die Leidenschaft für die Kammermusik. Die beständige Arbeit am gemeinsamen Ideal hat die Freundschaft der vier Frauen in die Tiefe geführt. Das Ziel war schlicht, gute Kammermusik zu machen. Aber so ganz nebenbei hat das gemeinsame Verfolgen dieses Zieles auch die Beziehung der vier geformt und reifen lassen.