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Ausgabe 06 Freundschaft

Und wenn die ganze Welt zusammenfällt

Lesedauer: ca. 9 Min.

Autorin: Alexandra Linder | Illustration: Arno Dietsche

UND WENN DIE

GANZE WELT ZUSAMMENFÄLLT

Von „Flipper“ bis „Friends“, von „Sex and the City“ bis Steven King, von Dionys zu Dr. House: Was Literatur und Film über Freundschaft verraten. Über Kult-Cliquen, einsame Kommissare, handfeste Haudrauftypen, edle Weltenretter und unfassbaren Zusammenhalt.

Neben Liebe ist Freundschaft das Dauerthema der menschlichen Beziehung. Kein Wunder: Freundschaft ist für die Menschheit immens wichtig und so facettenreich wie die Menschen, die sie pflegen. Daher ist sie auch ein Dauerbrenner in Literatur und Film. Egal, ob es um die Freundschaft zwischen Kindern, Tierfreundschaften unter Bienen (Maja und Willi) oder Erwachsenenfreundschaften in verschiedenen Konstellationen geht: Vielfältig ist, was Freundschaft ausmacht. Beginnen wir mit unserem Überblick zur Abschreckung literarisch ganz oben:
Schillers Ballade „Die Bürgschaft“. Freund stellt sich nach Freveltat des Kumpels als aufzuhängendes Ersatzopfer zur Verfügung, damit der andere die Schwester verheiraten kann. Jener kommt in letzter Minute zurück und der Tyrann Dionys schmilzt ob so großer Treue dahin. Ganz ehrlich? Wegen einer Hochzeit braucht man sich nicht für andere hängen zu lassen. Aber konkurrenzlos edel
in Worte gefasst.

Da sein, wenn es darauf ankommt: tierisch gute Freunde

Dramatisch konnten Freundschaften auch in Fernsehserien der 70er Jahre sein, oft in der Kombination Kind/Tier. Ob der Colliehund „Lassie“, der Tümmler „Flipper“, der von seinem späteren Freund erlegt werden sollte, oder „„Skippy“, das Buschkänguruh, das auf Pfiff aus selbigem angehoppelt kam – sie waren da, wenn man sie brauchte, hörten zu, widersprachen nicht und retteten einem ständig das Leben: vor wilden Tieren, bösen Menschen, Feuersbrünsten und Naturgewalten. Tierfreundschaften sind ein Trost für Kinder, wenn die Erwachsenen nicht zuhören, die Kinder nicht ernstnehmen oder schlicht nicht da sind. Auch Kinderrudel haben zur Unterstützung tierische Gefährten dabei. „Die Fünf Freunde“, charakterlich höchst unterschiedlich, lösen Kriminalfälle und Rätsel, Freund Nummer fünf ist ein Hund. Toleranz und Respekt vor den Begabungen der Einzelnen spielen eine große Rolle und dienen der Sache erheblich. Dagegen kommen „Die drei ???“ (Kenner wissen: ??? = Detektive) ohne tierische Unterstützung aus, ihr Papagei redet nur Unsinn. Je mysteriöser und gruseliger der Fall, desto enger die Freundschaft zwischen Justus, Peter und Bob.

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Wenn Mischlingsdrachen diskriminiert werden

Bei „Pippi Langstrumpf“ (nie ohne Pferd auf der Veranda und Herrn Nilsson) und Tom und Annika geht es um Freundschaft zwischen Spießerkindern und Paradiesvogel. Heile bürgerliche Familienwelt trifft auf allein-lebende unkonventionelle Halbwaise. Beide Seiten lernen voneinander und passen aufeinander auf. Erwachsene, die bloß an Bestrafen, Erziehen und Ordnung denken, werden verdient lächerlich gemacht. Ein Kinderblick auf langweilige, unflexible Erwachsenenwelten. Alle Zwölfjährigen hätten gerne eine Pippi in der Nachbarschaft.

Ein Vorbild für Mitmenschlichkeit bieten „Jim Knopf“ (wurde als Postpaket nach Lummer-land geliefert) und sein bester Freund, Lukas, seines Zeichens Lokomotivführer. Auf ihren Reisen und Abenteuern helfen sie unter anderem dem Mischlingsdrachen Nepomuk, der wegen seiner Nilpferdmutter von Volldrachen diskriminiert wird, oder trösten Herrn Tur-Tur, der keine Freunde hat.

Eine aus Not geborene Freundschaft schildert „Die rote Zora und ihre Bande“: Die Freund-schaft zwischen dem Jungen Branko und Zora, der Chefin der Jungenbande Uskoken, wirft gänzlich unideologisch alle Klischees über den Haufen. Die vor Hunger zu Kleinkriminellen gewordenen Bandenwaisenkinder halten zusammen und dicht, es gibt sogar ein Happy End. Einer meiner Favoriten für Treue und Solidarität in Not und Gefahr.

Akute Lebensgefahr und nackter Horror: Freundschaft rettet die Menschheit

Häufig tun sich Charaktere mit außergewöhnlichen Begabungen in besonderen Situationen zusammen, um gemeinsam allein gegen Ungemach, Übel und Menschenfeinde anzugehen. Sam begleitet Frodo treu durch die „Herr der Ringe“-Trilogie. „Harry Potter“ wäre ohne seine Freunde Ron und Hermine nichts. Sieben Freunde mit gesellschaftlichen Handicaps von der Hautfarbe bis zum Stottern stehen in „Es“ von Stephen King gegen das Böse zusammen. Aus dem „Klub der Verlierer“ werden so gestandene Erwachsene.

Katniss, 16 Jahre alt, versorgt nach dem Tod ihres Vaters und der Krankheit ihrer Mutter die Familie und stellt sich als „Tribut von Panem“ zur Verfügung, um ihre Schwester zu verschonen. Die Hungerspiele sind eine Neuauflage der römischen Gladiatoren­gemetzel, nur darf einer übrigbleiben. Katniss und ihr Freund Peeta aber wollen lieber gemeinsam sterben als sich gegenseitig zu töten. Aus ihren Haltungen und Handlungen entwickelt sich eine Rebellion gegen Diktatur und Unterdrückung. Wertebasierte Freundschaft in Lebensgefahr rettet die Menschheit und besiegt das Böse. „Echte Fründe ston zesamme“, singt der Kölner dazu.

Von Haudrauf bis wortkarg: Zusammen machen wir alle Bösen alle

Weniger pathetisch, dafür mehr physisch umgesetzt wird diese Beziehung in den Haudrauf-Filmen von Bud Spencer und Terence Hill (ja, der mit den wunderbaren blauen Augen, der sein Leben lang mit derselben Frau verheiratet war und nie wegen Skandalen in der Zeitung stand – kaum zu glauben). Motto: Wir-machen-zusammen-­alle-Bösen-alle. Das Prinzip in Edelrahmen umgesetzt ergibt „Winnetou und Old Shatterhand“: Das sind die Wortkargen, hier gibt es keine Bussi-Bussi-Gesellschaft, sondern im Höchstfall ein leises Lächeln mit vornehmer Begrüßungsgeste. Sie sprechen nie über ihre Befindlichkeiten, verstehen sich ohne Worte, sind einfach füreinander da und beseitigen zusammen Banditen und böse Indianer. Hugh!

Mein Traumpaar in dieser Kategorie: „Don Camillo und Peppone“ – ein glühend-katholischer Dorfpriester und ein atheistisch-kommunistischer Bürgermeister. Jesus selbst berät und besänftigt Don Camillo als himmlische Freundesstimme, aber nur unter vier Augen in seiner Kirche. Die politische Ausrichtung hindert Peppone, der eine starke, gläubige Gattin im Nacken hat, nicht daran, seine vielen Kinder taufen zu lassen, was Don Camillo mit Freude und ironischen Nebenbemerkungen tut, natürlich nie ohne großzügige Gegenleistungen für die Kirche. Beide wollen das Beste für das Volk, allerdings auf höchst unterschiedliche Art. Wenn aber einer in Not gerät, springt der andere unverzüglich über seinen Schatten und ist da. Tiefgehende, humorvolle, verbal gepolterte Achterbahn-Freundschaft über Weltanschauungen hinweg.

Kommissar „einsamer Wolf“: Mörderjagd, kaputte Beziehungen und eine Frage an die Geheimdienste

Eine Sonderform der Männerfreundschaft wird von den Comedian Harmonists besungen. Ein guter Freund, wird fünfstimmig verkündet, ist da, „wenn die ganze Welt zusammenfällt“ und „„dein Schatz Dich nicht mehr liebt“. Dies trifft filmisch auf all die einsamen Wolf-Kommissarfreunde zu: Thiel und Boerne (das skurrilste Paar: arroganter Bildungsbürger mit Stil und abgewrackter, bildungsferner Ermittler), Batic und Leitmayr, Ballauf und Schenk. Da Kommissare seit Derricks Zeiten keine richtige Familie haben, saufen sie eben zusammen, durchleiden kaputte Beziehungen, jagen Mörder und beherbergen sich im Notfall gegenseitig in ihren heruntergekommenen Behausungen. Derrick hatte nicht einmal das, nur Harry, dem er übrigens nie gesagt hat, er solle schon mal den Wagen holen. Und sein Bier an der Theke konnte er auch nie austrinken. Als Werbung für Polizeikarrieren ist das frustrierende Privatleben der deutschen Krimihelden ungeeignet. Kleiner Trost: In Schweden sind die Lebensumstände der Ermittler noch prekärer.

Was läuft da zwischen Bond und Moneypenny?

Wo wir gerade bei der internationalen Verbrechensbekämpfung sind … Eine wichtige Frage wäre noch zu klären: Sind „James Bond“ und „Miss Moneypenny“ befreundet? Zarte Anbandelhinweise finden sich. Bond: „Was sollte ich nur ohne Sie anfangen?“ Moneypenny: „Warum kommen Sie nie auf die Idee, etwas mit mir anzufangen?“ (aus: „Im Geheimdienst Ihrer Majestät“). Die Hutwurf-Dialoge gehören zum Film wie Salz in die Suppe. Für eine Freundschaft spricht, dass Moneypenny eine der wenigen Frauen ist, die nicht von Bond verführt wurden. Doch die Wahrheit kennen wahrscheinlich nicht einmal die Geheimdienste.

Cliquenwirtschaft: US-Kultcomedy, deutsches Schmalzprodukt und Shopping als Therapieform

Da der Titel schon „Friends“ lautet, muss man die US-amerikanische Kultcomedyserie mit eingespielten Lachern erwähnen. Zugegeben: Es ist schon witzig, wie Rachel auf der Flucht vor ihrer Hochzeit in Brautmontur in das unverzichtbare Café Central Perk hineinplatzt, wo Ross gerade traurig verkündet, dass seine Frau ihn verlassen hat. Die drei Frauen und drei Männer reden wenig über Jobs. Wichtig sind Beziehungen, Träume, Gefühle, Lebensumstände. Man hört sich zu, neckt sich, baut sich gegenseitig auf, verliebt sich ineinander – flapsig verpackt, aber oft mit hintergründigem Humor und ernsten Lebenssituationen. Kein Vergleich mit dem deutschen Schmalzprodukt „In aller Freundschaft“, wo Dialoge wie Ohrdurchpuster sind und die stetige Hintergrundmusik die Atmosphäre schaffen soll, die der Film nicht bringt.

Frauenfreundschaften wollen ebenfalls filmisch gepflegt werden, wie in „Sex and the City“ von vier beruflich erfolgreichen Frauen  in New York. Hauptthemen sind Klamotten, Schuhe, Männer; sie treffen und sprechen sich täglich, sind füreinander immer erreichbar. Streiten sich, sagen sich die Meinung, versöhnen sich. Kommt eine in eine Krise, sind alle sofort da. Shoppingtouren sind eine Therapieform. Kern der Serie: Keinem Mann gelingt es, die Bedürfnisse der Frauen zu erfüllen. Wie auch, wenn die immer aufeinanderhocken.  Am Ende bleibt nur ihre Freundschaft. Eine Quasselstrippen-Serie mit lediglich rudimentär wahrheitsgetreuem Abbild echter Frauenfreundschaften. Vielleicht deshalb ein Renner, weil es in der Realität kaum gelingt, überhaupt noch Termine für ein Treffen mit Freundinnen zu finden.

Der Freundschafts-Zyniker: Raue Schale, weicher Kern

Freundschaft der anderen Art: „Dr. House“. Nicht Ihr Ernst, werden Sie sagen. Dieses schlechtgelaunte, knorrige, hinkende Medizingenie? Das überall unpassend hineinplatzt, jeden anblafft, seine Mitarbeiter tyrannisiert und seinem Freund Speed in den Kaffee schüttet, damit diesem klar wird, dass er keine Antidepressiva nehmen soll? Ja, stimmt. Eigentlich jedoch hat er ein weiches Herz und einen klaren Blick für vertrackte Situationen in seiner Umgebung. Er tut für seine Patienten alles, auch wenn er sie meistens nicht sehen will. Seine Ratschläge sind zynisch formuliert, brutal und rücksichtslos ehrlich, kommen aber immer zum rettenden Zeitpunkt und treffen den Kern. Lieber kauzig aber ehrlich als geschmeidig und verlogen. Vielleicht gelingt es seinen Freunden irgendwann, ihn vom permanenten Griff zu Whisky und Schmerz-tabletten abzubringen. Das wäre eine wahre Freundschafts-Meisterleistung.