- Autor: Sebastian Walter
- Illustrationen: Atelier 4
Klug, schlau, smart? Was wirklich dahinter steckt
„Bitte verhalten Sie sich angemessen!“, steht auf dem Schild am Friedhofseingang. Eigentlich trifft das ja auf jede Situation unseres Alltags zu: Wir müssen und wollen uns den Umständen entsprechend verhalten. Um so ein „angemessenes Verhalten“ hinzubekommen, hat unser Gehirn einiges zu leisten: Wir müssen Umstände richtig einschätzen, Trügerisches durchschauen, Handlungsoptionen realistisch ausloten und logische Schlüsse ziehen. Einen Menschen, der all das besonders gut hinbekommt, nennen wir klug. Oder? Oder schlau? Oder weise? Oder intelligent? Moment mal, so viele Begriffe für dasselbe? Oder das Gleiche? Zeit für ein paar hilfreiche Unterscheidungen.
vernünftig
vernünftig ist, morgens um 6 Uhr aufzustehen, auch wenn man weiß, dass 6:30 Uhr auch noch reichen würde, aber dann wird’s wieder so stressig.
Die Vernunft reguliert unsere Impulse und hilft uns dabei, langfristig zu handeln, statt uns von momentanen Emotionen treiben zu lassen. Vernunft steht für die Fähigkeit, den Verstand gezielt einzusetzen, um die Welt im Ganzen, aber auch einzelne Situationen zu analysieren, mit dem Ziel, moralische und verantwortungsvolle Entscheidungen treffen zu können. Für den Philosophen Immanuel Kant war die Vernunft ein zentrales Thema. „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ schrieb er und formulierte damit das Motto der Aufklärung. Ihr Anliegen: Die Vernunft sollte das erste Prinzip des Urteilens und Handelns sein – eine Kritik auch an traditionellen Glaubensüberzeugungen und überkommenen Herrschaftssystemen.
clever
In der Schlange vor dem Warenband stehen und als Erster merken, dass gleich eine neue Kasse aufmacht.
Clever sein bedeutet, binnen kurzer Zeit eine kreative oder trickreiche Lösung für ein Problem zu finden, meist in kniffligen Situationen. Clevere Personen können sich schnell an neue Umstände anpassen und Gelegenheiten spontan für sich nutzen. Cleverness ist eine Form von praktischer Intelligenz, die oft mit Einfallsreichtum gleichgesetzt wird. Im Gegensatz zu Weisheit oder Vernunft spielen größere moralische Kontexte beim Cleversein keine Rolle. Es geht vor allem darum, schnell und einfach eine Herausforderung zu meistern oder eine Situation zu nutzen. Ein cleverer Mensch versteht es, „aus der Not eine Tugend“ zu machen. Sein Motto: „Not macht erfinderisch.“
klug
Diesmal den Regenschirm mitnehmen.
Klugheit bedeutet, Wissen und Erfahrungen gezielt einzusetzen, um fundierte Entscheidungen zu treffen.
Wer aus Erfahrungen lernt und dieses Wissen in neuen Situationen anzuwenden weiß, ist klug. Im Gegensatz zur Intelligenz, einer eher mathematischen Logik, hat Klugheit also mit Lebenserfahrung zu tun. Dabei wählt die Klugheit, im Gegensatz zur Schlauheit, nicht nur das günstigste oder vorteilhafteste Vorgehen aus, sondern nimmt meist auch eine ethische Bewertung vor. Sie orientiert sich am Guten. Deshalb zählt die Klugheit – zusammen mit Gerechtigkeit, Mäßigung und Tapferkeit – seit der Antike zu den Kardinaltugenden. Dass Klugheit auch ein ganz praktischer Lernprozess ist, zeigt sich an der Redewendung: „Aus Schaden wird man klug.“
schlau
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Schlau sein bedeutet, in alltäglichen Situationen schnell und geschickt zu handeln. Schlauheit ist oft mit einer gewissen Raffinesse und dem Talent verbunden, Gelegenheiten zu erkennen und zu nutzen. Eine schlaue Person weiß, wie man mit wenig Aufwand viel erreicht und dabei manchmal auch unkonventionelle Wege geht. Schlauheit kann manchmal eine gewisse Listigkeit beinhalten, ohne dabei unbedingt moralisch fragwürdig zu sein. Der Begriff „schlau“ wird umgangssprachlich für fast alles verwendet, was klug, intelligent oder vernünftig ist – sogar für tiefgründige Bücher (ein „schlaues Buch“). Damit ist schlau der ungenaueste unserer Begriffe. Wer sie auseinanderhalten kann, ist ein Schlauberger.
weise
Entspannt bleiben, wenn andere toben, weil man weiß woher es kommt.
In vielen Kulturen wird Weisheit als eine der höchsten Tugenden angesehen. Wer weise ist, blickt über den Moment hinaus und ordnet das Einzelne in einen größeren Zusammenhang ein. Der Weise hat Einsicht in die großen Fragen des Lebens und einen klaren ethischen Kompass. Da er um „Größe und Elend“ (Pascal) des Menschen weiß, handelt er mit Verständnis und Mitgefühl. Wer weise ist, strebt danach, alles auf das Gute hin auszulegen und zum Guten zu führen. Nicht verwunderlich, dass Platon der Meinung war, die beste Staatsform sei nicht die Demokratie, sondern ein Gemeinwesen, das von Philosophen (Philosoph: „Freund der Weisheit“) regiert würde. Für Christen ist die Weisheit eine der sieben Gaben des Heiligen Geistes (Jes 11,2).
scharfsinnig
Sagen, dass nach dem Spiel vor dem Spiel ist.
Interviews im Fußball sind eine Fundgrube scharfsinniger Zitate. Mit „der Ball ist rund“ kann da schon mal das Wesentliche gesagt sein. Aber beim Scharfsinn geht es vor allem darum, den Kern einer Sache schnell zu analysieren und zu benennen. Scharfsinnige Menschen kennzeichnet ein ausgeprägtes analytisches Denken, verbunden mit der Fähigkeit, Wesentliches von Nebensächlichem zu trennen. Dass dabei auch Intuition eine wichtige Rolle spielt, zeigt die Figur von Sherlock Holmes, die am Tatort instinktiv das entscheidende Detail erfasst. Im Gegensatz zur Cleverness, die auf die Schnelle, vorteilhafte Lösungen abzielt, geht es beim Scharfsinn jedoch nicht so sehr um das Handeln, sondern um das theoretische Aufdecken des Wesentlichen.
intelligent
Den Gegner in scheinbarer Unterlegenheit in wenigen Zügen schachmatt zu setzen.
Intelligenz ist die Fähigkeit, abstrakt und logisch zu denken, Probleme zu lösen und neues Wissen zu erwerben. Neben den Fähigkeiten, analytisch zu denken und sich Dinge gut merken zu können, spielt auch Kreativität bei intelligenten Menschen eine große Rolle. Wirkliche Genies sind oft nicht nur brillante Mathematiker, sondern auch Schöpfer von Neuem. Da Vinci, Newton, Steve Jobs. Der beeindruckendste Niederschlag von Intelligenz ist die Technik: intelligente Hilfsmittel zur Lösung von Problemen. Die generative Künstliche Intelligenz bringt heute Mathematik und Kreativität zusammen. Die Gefahr dabei: die Welt und den Menschen auf logische, mathematische Funktionen zu reduzieren. Das macht vieles zwar effizienter, aber auch kälter und einsamer.