So sehen Sieger aus – Yemisi Ogunleye

Von Mobbing-Opfer an die Weltspitze: Yemisi Ogunleye

Yemisi Ogunleye im Grandios Interview

Von Mobbing-Opfer an die Weltspitze: Yemisi Ogunleye war bei der Leichtathletik-WM in Budapest einer der wenigen deutschen Lichtblicke. Die Kugelstoßerin begeisterte durch ihre Leistung und Lebensfreude. Dabei war sie als Kind schüchtern und wurde diskriminiert.

Sportlerin im Kugelstoßen - Yemisi Ogunleye

„Jaaaaaaa!“ – Yemisi Ogunleye schrie ihre Freude hinaus. Soeben hatte sie die vier Kilogramm schwere Eisenkugel explosionsartig aus dem Ring befördert. Ein perfekter Stoß. Die 24-Jährige wusste gar nicht, wohin mit ihren Emotionen. Sie rannte wie von der Tarantel gestochen auf die Tartanbahn des riesigen Budapester Stadions. Sie klatschte in die Hände, reckte ihren Arm in die Höhe und rief laut „Jesus“. Dann schaute sie zur Anzeigetafel und sah ihre Weite: 19 Meter 44. Noch einmal jauchzte sie vor Glück. Es war eine persönliche Bestleistung für die deutsche Kugelstoßerin. Mit dieser Weite hatte sie sich für das Finale bei dieser Leichtathletik-Weltmeisterschaft qualifiziert.

Auf den Zuschauerrängen lagen sie sich in den Armen: ihre Mama, die Trainerin, Freunde – und ihr Pastor. „Er kennt mich, seit ich klein bin“, sagte sie später in der Interviewzone zu den erstaunten Journalisten. „Jetzt erlebt er mich hier auf der größten Bühne meines Lebens. Ich wusste gar nicht, dass er nach Budapest kommt.“ Hinter der Sportlerin liegt ein langer, beschwerlicher Weg. Sie war ein „Underdog“ und kämpfte sich in die Weltklasse. Dies alles, sagt sie, habe sie Gott zu verdanken. „Er hat mir die Zuversicht gegeben, trotz aller Rückschläge weiterzumachen. Der Glaube ist mein Antrieb.“

Wenn die Hautfarbe nicht in Ordnung ist

Alltagsrassismus erlebt sie auch heute...

Yemisi Ogunleye, die fast alle nur „Yemi“ nennen, wächst in Bellheim (Rheinland-Pfalz) auf, in einer „eher hässlichen Wohngegend“. Sie erlebt eine glückliche Kindheit in der Kleinstadt mit 8.000 Einwohnern. Aber es gibt auch Schattenseiten. Ihre Mutter ist Deutsche, der Vater Nigerianer. „Ich war damals wegen der Hautfarbe meines Vaters die einzige Farbige in der Grundschule und musste unschöne Erfahrungen machen,“ erzählt sie. Die Klassenkameraden machen sich über sie lustig. Ihre Hautfarbe sei nicht in Ordnung und ihre Nase zu groß. Yemisi fühlt sich minderwertig. „Als Kind und junges Mädchen wusste ich noch gar nicht, wer ich bin. Ich habe es als meine Identität angenommen, was andere über mich sagten.“

Sie redet mit niemandem über diese Erniedrigungen. Die Eltern und ihr fünf Jahre älterer Bruder Simon ahnen nicht, was Yemisi schweigend erträgt. „Ich war gut darin, das zu verstecken. Diese Diskriminierungen kamen erst später über eine Lehrerin heraus. Dann gab es ein klärendes Gespräch.“ Alltagsrassismus erlebt sie auch heute noch immer wieder. „Mal sind es Blicke, die ich bekomme. Mal sind es Menschen, die mir einfach in die Haare fassen.“ Als Erwachsene, sagt sie, könne sie aber besser mit diskriminierenden Erfahrungen umgehen. Während ihrer Kindheit hilft ihr der Sport, die Beleidigungen und Hänseleien der Schulkameraden besser zu verarbeiten.

"Ich merkte, dass ich beim Sport Stark war!"

Hier konnten mich die anderen Kinder nicht aufziehen, denn ich war ihnen überlegen.“ Ogunleye hat sportliche Gene. Ihr Opa und die Mama waren leidenschaftliche Turner. Auch Yemisi beginnt früh mit dem Leistungsturnen und nimmt an deutschen Meisterschaften teil. Doch weil sie schon als Kind relativ groß ist, hat sie als Turnerin keine Perspektive. Also wechselt sie mit 13 zur Leichtathletik. Sie macht Mehrkampf, der aus sieben verschiedenen Disziplinen besteht. Yemisi ist auch hier ein großes Talent.

Kugelstoßen - Nichts für junge Frauen?

Ihre sportliche Entwicklung erhält mit 15 einen erheblichen Dämpfer. Als sie beim Hochsprung ihren Fuß beim Absprung eindreht, schießt ein höllischer Schmerz in ihr Knie. Im Krankenhaus erfährt sie die bittere Diagnose: Kreuzband und Menisken sind kaputt, der Knorpel ist beschädigt. Nach der Operation geht es ihr miserabel. „Die Ärzte sagten mir, dass ich mir den Mehrkampf aus dem Kopf streichen kann. Springen und Sprinten seien nicht mehr möglich“, erinnert sie. Doch plötzlich gibt es neue Hoffnung. Der Bundestrainer im Kugelstoßen reist extra aus Magdeburg an. Im heimischen Wohnzimmer in Bellheim schlägt er vor: „Yemi, hör mit dem Mehrkampf auf. Mach Kugelstoßen!“ Für Yemisi bricht zunächst eine Welt zusammen. „Kugelstoßen?!“, fragt sie fassungslos. Sie hat sofort das Bild von großen, kräftigen Frauen vor Augen. „Als junge Frau willst du alles sein, nur keine Kugelstoßerin“, sagt sie lachend.

Irgendwann kann sie sich doch mit diesem Gedanken anfreunden. Sie will unbedingt mit dem Leistungssport weitermachen. Dann eben als Kugelstoßerin. Sie wechselt den Verein und geht zur MTG Mannheim. Hier findet sie in Iris Manke-Reimers eine Trainerin, die sich auf die junge, frisch operierte Sportlerin einlässt. „Das war für sie ein Risiko“, weiß Yemisi rückblickend zu schätzen. „Auf diesen Vertrauensvorschuss meiner Trainerin baut unsere ganze Beziehung auf.“ Bis heute ist es eine erfolgreiche gemeinsame Reise.

Ihr Leben außerhalb des Sports

Mit 16 startet die junge Kugelstoßerin bei der Junioren-WM in Kolumbien für Deutschland. Sie belegt einen guten siebten Platz. Damit ist sie weiter auf dem Weg in die Weltspitze. Kurz darauf meldet sich ihr Knie ein weiteres Mal, Yemisi muss erneut unters Messer. Wieder ist das Kreuzband kaputt, der Knorpelschaden hat sich noch verschlimmert. Zwei schwere Verletzungen mit langen Auszeiten und beschwerlichem Aufbautraining in der Reha sind eine harte Prüfung für die Jugendliche. Durch die Verletzungspausen ist sie fast ein Jahr raus aus dem Sport.

Plötzlich hat sie Zeit für andere Dinge. Yemisi geht wieder regelmäßig in ihre Kirchengemeinde, die Christ Gospel City-Church in Karlsruhe. Als kleines Kind war sie auch schon dort, aber vorrangig, „weil ich meine Mutter glücklich machen wollte“.

Nun macht sie es für sich. Yemisi nimmt an Freizeiten teil, die Jugendleiterin der Gemeinde kümmert sich liebevoll um sie. „Ich war ein zurückgezogenes Mädchen. Meine Vergangenheit mit dem Mobbing in der Schule hatte mich eingeschüchtert. Ich traute mich nicht, meine Meinung zu sagen. Ich hatte viele negative Gedanken und fühlte mich verloren.“ Die Jugendleiterin hilft ihr aus ihrem Schneckenhaus heraus. Yemisi entdeckt auch ihre Stimme neu. Die Chorleiterin der Gemeinde gibt ihr privaten Gesangsunterricht. „An Weihnachten stand ich mit meinen Krücken vorne auf der Kirchenbühne und sang mein erstes Solo“, erzählt sie strahlend.

Ihre Schüchternheit wandelt sich in Selbstvertrauen. Sie blickt dankbar zurück: „Gott hat mir viele Menschen geschickt, die mich aufgebaut haben. Ich kam ich aus der Mobbinggeschichte meiner Kindheit raus. Ich wurde Schritt für Schritt eine starke Persönlichkeit.“

Erfolge kommen und gehen - Gottes Liebe bleibt!

Inzwischen hat die Spitzensportlerin einen anderen Blick auf das, was sie tut. „Als junges Mädchen dachte ich, Sport sei alles“, berichtet sie. „Aber durch meine längeren Verletzungen ist mir klar geworden: Es gibt ein Leben jenseits von Sporthalle oder Trainingsplatz. Leistungssport ist ein schmaler Grat. Wenn ausschließlich die Ergebnisse meine Emotionen und meine Identität bestimmen, kann es gefährlich werden. Denn das bedeutet: Nach jedem Wettkampf, der nicht gut lief, bin ich am Boden zerstört. Dies kann schnell zu negativen Gedanken oder gar Depressionen führen.“

Yemisi hat sich inzwischen aus diesem gedanklichen Hamsterrad verabschiedet. Sie macht ihr Lebensglück nicht mehr abhängig von ihren sportlichen Resultaten. „Erfolge kommen und gehen, aber Gottes Liebe bleibt. Wenn ich morgen meinen Sport nicht mehr ausüben kann, wird die Welt nicht zusammenbrechen. Ich weiß, da ist noch so viel anderes, das auf mich wartet.“ Zum Beispiel ihre künftige Arbeit als Sonderpädagogin.

In diesem Sommer hat sie ihre Bachelorarbeit geschrieben. Studium und Leistungssport ist eine anstrengende Doppelbelastung. Nach Wettkämpfen kam sie oft müde nach Hause und setzte sich noch bis tief in die Nacht an den Schreibtisch. „Krass, dass ich das geschafft habe“, sagt sie stolz. Später will sie mit behinderten Menschen arbeiten. Ihre Mutter war in einem Behindertenwohnheim tätig und nahm ihre Tochter oft mit. „Ich habe die Behinderten als extrem liebevolle Menschen erlebt, die viel Zuwendung brauchen. Ich freue mich sehr auf diese Arbeit.“

Doch in den nächsten Monaten will sich Deutschlands beste Kugelstoßerin erst einmal voll auf den Sport konzentrieren. Im Sommer 2024 will sie in Paris an den Olympischen Spielen teilnehmen. Mit ihrer WM-Weite von 19,44 m hat sie die nationale Olympianorm (18,80 m) bereits erfüllt. Yemisi freut sich nicht nur auf die einzigartige Atmosphäre bei den Olympischen Spielen, sondern auch auf die Gebetstreffen mit anderen gläubigen Sportlerinnen. Immer wieder kämen gerade jüngere Athletinnen auf sie zu, sagt sie. Sie habe das Gefühl, diese sähen etwas in ihr, wonach sie sich selbst sehnten. Yemisis Lebensgeschichte macht anderen Mut.

Meine Karriere ist nicht gespickt mit Medaillen und Titeln! Ich stand nie im Rampenlicht. Aber trotzdem stehe ich hier!

…sagte sie nach ihrem 10. Platz im WM-Finale von Budapest und strahlte alle an. Die Journalisten in der Interviewzone wirkten leicht irritiert. So glücklich sehen sonst nur Sieger aus.

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