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Theresa Baier interviewt Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz

Die große Versuchung

Liebe ist eine Sache des Herzens. Keine Frage. Emotionen, Leidenschaft, Sexualität. Und der Kopf? Hat der auch was zu sagen? Wir haben nachgefragt – bei einer Philosophin. Wie ist das mit der Liebe? Was macht sie mit uns und wir mit ihr?

Theresa Baier hat Professorin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz mit Zitaten konfrontiert und um Erläuterung gebeten. Die Antworten sind erstaunlich lebenspraktisch.

– Liebe – Was macht sie mit uns? 

– Liebe – Was macht sie mit uns? 

– Liebe – Was macht sie mit uns? 

– Liebe – Was macht sie mit uns? 

Dieser Satz ist eine große Erkenntnis, weil Liebe als alles umfassende Hingabe an das Leben verstanden wird. Das Leben ist hier kein abstrakter Begriff . Es ist nicht etwas, sondern jemand. Im Zusammensein von Fleisch, Geist und Seele entsteht eine große Einheit, wenn man alles auf eine Karte setzt.

Das heißt: Ich liefere mich aus und stelle mich zur Verfügung. Große Hingabe! Was wir auch tun, es kommt aus dieser schönen Einheit, weil die innere Zielrichtung und das innere Band so stark geworden sind. Fleisch und Geist bilden eine großartige Einheit. Wenn eine Frau einen Mann wirklich liebt, kann sie tun, was sie will, weil diese Zielrichtung, das Geborgensein in ihrer Liebe, ihr gar nicht möglich macht, bei Teilantworten und Halbheiten zu bleiben. Die ganze Antwort der Liebe schließt ein die drei Eheversprechen: Du allein — Du für immer — mit Dir ein Kind. Und: Wir heiligen unsere Liebe durch das Sakrament.

„Lieben heißt verschmelzen“, meinen viele. Verschmelzen heißt Spannung aufgeben, spannungslos werden, doch lieben heißt Eins werden. Liebe ist nicht Vernichtung der Identität, weil ich im Anderen aufgehe, sondern Stift ung von Identität. In der geschlechtlichen Erfahrung gibt es den Augenblick gegenseitiger Hingabe, ein Zeichen dafür, dass die beiden sich jetzt ganz begegnen und zugleich sie selbst bleiben. Manche weiblichen Spinnen fressen das Männchen nach dem Geschlechtsverkehr, weil sie Eiweiß brauchen. Zum Fressen gerne haben? Ist das Liebe? Im Kuss versucht man den Leib des anderen einzuholen. Aber ich werde nicht eins mit ihm im Sinne der Verschmelzung. Sonst wären wir 99 Prozent unserer Zeit nicht eins, weil wir gerade nicht verschmelzen. Wir sind auch eins mit dem Geliebten, wenn wir zusammen frühstücken.

Du bist mein. Und nun ist das Meine meiner als jemals“

— schrieb Johann Wolfgang von Goethe

Das Besondere ist, dass die Liebe mich Eins mit dem anderen macht und zugleich mit mir selbst. Vielleicht verstehe ich zum ersten Mal, wer ich bin, wo meine Schönheit und Besonderheit liegt. Je tiefer wir lieben, desto mehr drängt es uns daher, den anderen in unseren Radius, in unseren Reichtum zu ziehen. Das tun wir mit allen Mitteln der Überredung.

Dieses Gefühl, jemandem anzugehören, wird so stark, dass ich mich nicht aus vornehmer Distanz heraus anbiete, sondern aus einem inneren Drang. Eine Liebe, die vor die Wahl stellt, „nimmst du mich oder nicht?“, ist nicht sehr attraktiv. Man muss schon merken, dass der andere will – und haben will. Es gibt die Th ese, Liebe sei immer vornehm und gebe dem anderen Freiraum. Gerade nicht! Ich will nicht, dass du dich von mir abwendest. Ich will nicht, dass du frei bist von mir – ich will dich!

Was du liebst, lass frei, kommt es zu dir zurück, gehört es Dir für immer“

— meinte Konfuzius, chinesischer Philosoph

Der Satz der Liebe heißt nicht „ich lass dich frei“, sondern „du gehörst mir“. Sie geht nicht von Verzicht aus, sondern davon, dass der andere für mich geschaff en ist. Liebe leidet nicht nur, wenn sie das Geliebte nicht erreicht, sondern sie kämpft dafür. Liebe ist Hunger und Durst. Sie ist bedürft ig, brauchend, ja schenkend, aber gerade deshalb verlangt sie auch.

Gleichzeitig muss der Egoismus gebändigt werden. Das Werben um den anderen muss vornehm sein in der Weise, dass es zu erkennen gibt, dass ich mich nicht bedienen will. Es geht nicht um die eigene Befriedigung. Dann fühlt sich die Geliebte sicher, weil sie Raum für die eigene Hingabe hat.

"Aller Liebe, liegt die Selbstliebe zugrunde"

— steht bei Thomas von Aquin, dem großen Philosophen und Theologen

Selbstliebe heißt: einverstanden mit mir selbst sein. Das ist der Ausgangspunkt unseres Liebenkönnens. Also nicht: Du holst mich aus meinem Dreck und Elend, ohne dich bin ich leider gar nichts! Das wäre nicht attraktiv. Die Urgebärde der Liebe heißt: Ich bin wunderbar und ich möchte, dass du das entdeckst. Ich weiß, du gewinnst, wenn du mich liebst – nämlich meine Liebe!

Nur wer sich selber hat, kann sich auch geben. Liebe ist nicht kannibalisch, sie frisst nicht auf. Im Gegenteil: sie stabilisiert. So, dass ich mich wiederum ganz geben kann, denn der andere gibt mich mir wieder zurück. In der Liebe erkennen die Liebenden den eigenen und den anderen Wert.

Es ist Unsinn sagt die Vernunft. Es ist was es ist, sagt die Liebe.“

— meinte Erich Fried, österreichischer Lyriker

Die klassische Ehekultur basiert nicht in erster Linie auf Liebe. In einigen Kulturen bestimmen die Eltern, die Sippe oder Gründe der Vernunft, wer zusammenpasst. Es gilt, das Vermögen, den Besitz und die Nachkommenschaft zu sichern. Die Liebe ist gerade wegen ihrer unglaublichen Heftigkeit und Emotionalität etwas, das eine vernünftige Basis braucht.

Dante sagt: „Sie bewegt Sonne und Sterne.“ Sie ist der Motor, der das Unmögliche tut. Gerade deshalb scha fft sie etwas, was Vernunft gründe nicht bringen. Man sollte der Liebe trauen, als Schubkraft , ohne den Ratschlag der Vernunft auszuschließen. Wenn sie halten soll, muss auch Vernünft iges dabei sein.

Amare amarum est“

— Lieben ist bitter, heißt es bei Ovid

Agape ist die Liebe, die sich in jeder Sprache von Herz auf Schmerz reimt. Wenn ich wirklich liebe, kommt in jeder langen Phase ein Schuss Bitterkeit vor. Das schützt vor Verwesung. Die rosaroten Hollywood-Szenarien genügen nicht.

Die beständige Liebe hat ein Amaretto. Bitterkeit besteht in zwei Richtungen, auf der einen Seite alltäglich, wenn der eine nicht antwortet, wo wir Antwort erwartet haben. Ebenso gibt es die Bitterkeit über sich selbst, wenn man merkt, dass man dem anderen doch nicht gibt, was man wollte. Die Prinzessin, die man am Anfang war, wird entmythologisiert.

Die andere Bitterkeit, die Ovid meinte, ist jene, bevor die Liebe zu ihrer wirklichen Aussage kommt: „Liebt er/sie mich?“ Oder nach Jahren: „Liebt er/sie mich noch?“ Man empfindet jemanden als Mittelpunkt des Lebens, weiß aber nicht, ob der das überhaupt kapiert. Liebe geht durch solche Phasen, wo die Neigung zum anderen noch oder wieder unsicher ist – das ist bitter. Eine Phase der Unsicherheit und des Zweifels, eine innere Form des Quälens, ob der andere wirklich mich meint. Dann braucht man den glücklichen Moment, wo sich die Unsicherheit löst und das „Ja“ deutlich wird.

Aber junge Menschen, die sich liebhaben, werfen sich einander hin in der Ungeduld und Hast ihrer Leidenschaft und Sie merken gar nicht, welcher Mangel an gegenseitiger Schätzung in dieser unaufgeräumten Hingabe liegt […]. Sie müssen, wenn sie lieben, nicht vergessen, dass sie Anfänger sind […]. Sie müssen Liebe lernen, dazu gehört, wie bei jedem Lernen Ruhe, Geduld und Sammlung“
— steht bei Rainer Maria Rilke

Lieben ist zuerst ein seelischer Vorgang. Die Erziehung zur Liebe ist wichtig: Man setzt die leibliche Begegnung nicht an den Anfang, das wäre unreif. Die leibliche Vereinigung ruft alles in uns ab und bedeutet eine seelische Hingabe im letzten Sinn. Wird die leibliche Hingabe geprobt, wird sie entleert. So wird Sex wertfrei wie ein Glas Wasser bei Durst, der Leib wird zum animalischen Körper degradiert.

Wir sind leib-seelische Wesen. Wenn wir den Leib abkoppeln, so dass er seinen Lüsten nachgeht, dann bleibt die Seele so zurück, dass sie Ekel empfi nden kann. Man muss dem anderen in seiner brüchigen Leib-Seele-Einheit Zeit geben und sich erst aufeinander einspielen.

Akzeptiert nichts als Wahrheit, was ohne Liebe ist. Aber akzeptiert auch nichts als Liebe, was ohne Wahrheit ist! Eines ohne das andere wird zur Lüge, die zerstört“

— schrieb Edith Stein (1891-1942), Philosophin, Karmelitin und Märtyrerin

Liebe ohne Wahrheit, das ist unsere große Versuchung. Heute sprechen wir unentwegt von Liebe, in einer aff ektiven Redeweise, ohne ihren Grund zu sichern. Worauf steht der Affekt, worauf die Empfindung?

Die Liebe sichert sich nicht selbst vor ihrem Absturz; sie kann sogar direkt und unmittelbar in den Absturz führen. Sie ist Index dafür, dass etwas in Schwung kommt, etwas Vitales anspringt. Jetzt aber muss geklärt werden, wohin. Die Liebe muss sich über die Wahrheit klar werden. Fühlt die Liebe sich gezwungen, Dinge zu tun, die sie als unwahr und nicht richtig empfi ndet, wird sie sterben. Wir leben nicht in einer heilen Welt, wir sind alle gebrochen. Was wir Liebe nennen, kann unsere Brechung noch vervielfältigen.

Haben wir denn den richtigen Begriff von Liebe? Er ist bei uns sentimental und weichlich geworden. Die Moderne muss die Liebe als etwas viel Weiträumigeres, Furchtbareres und Gewaltigeres denken, als sie es tut“

— meinte der Theologe Romano Guardini

Alles Heilige ist furchtbar, weil es nicht vom Fleck weg zu erreichen ist. Man braucht eine Einordnung und Vorbereitung der eigenen Kräfte. Alles Heilige hat eine Schwelle, auf die wir unsere innere Gebrochenheit vorbereiten müssen.

Liebe benötigt Training. Oft tun wir so, als sei alles eine Frage von Hormonen, von Überdruck im Kessel, als sei Sexualität ein Ventil für unsere Probleme. Die brüchige Leib-Seele-Einheit ist auf ein Training angewiesen.

Wie kann ich meinen Egoismus so in den Blick nehmen, dass ich Geduld übe? Wie kann ich meine Liebeskraft konzentrieren? Eine Antwort lautet: Nicht so viel probieren! Ein Ziel haben: Den finden, den ich liebe – und er möge mich finden.

Das Furchtbare an der Liebe ist, dass sie eine enorme Bindungskraft hat und das Scheitern deswegen vieles zerstört. Das darf ich nicht aufs Spiel setzen, nicht damit experimentieren. Je öft er ich das versuche, desto schwächer wird die Bindungskraft. Wenn ich den Richtigen dann finde, habe ich mein Pulver möglicherweise schon verschossen.

Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz

Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz ist eine der bekanntesten Religionswissenschaftlerinnen des deutschen Sprachraums. Sie wurde 1945 im oberpfälzischen Oberwappenöst geboren. Gerl-Falkovitz ist eine Spezialistin für die Konvertitin und Philosophin Edith Stein – auch bekannt unter ihrem religiösen Namen, der heiligen Teresa Benedicta vom Kreuz. Sie promovierte 1971 in Philosophie und war von 1993 bis 2011 Professorin für Religionsphilosophie und vergleichende Religionswissenschaften an der Universität Dresden. Heute leitet Gerl-Falkovitz das Europäische Institut für Philosophie und Religion an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Papst Benedikt XVI. in Österreich.

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