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Ausgabe 05/23 Liebe

Von der Höhlenzeichnung zum Hohenlied

Autor: Josef Kraus | Illustrationen: Carina Crenshaw

Von der Höhlenzeichnung zum Hohenlied

Sprachbilder, Symbole, Sinnlichkeit und die große Frage:
Macht Liebe nun blind oder sehend?

Von der Höhlenzeichnung zum Hohenlied - Sprachbilder der Liebe

Reflexionen über die Liebe – 

Reflexionen über die Liebe – 

Reflexionen über die Liebe – 

Reflexionen über die Liebe – 

Reflexionen über die Liebe – 

Reflexionen über die Liebe – 

Reflexionen über die Liebe – 

Reflexionen über die Liebe – 

Liebe ist ein menschliches Urphänomen.

Ohne Liebe, zumindest ohne den biochemisch-hormonell geprägten Trieb zur Arterhaltung, gäbe es den heutigen Menschen, den nunmehr etwa 40.000 Jahre alten „Homo sapiens“ nicht. Wann der Mensch erstmals über Liebe reflektierte, wann Liebe zu etwas Magischem wurde, wann Sehnsucht nach Liebe (siehe GRANDIOS-Ausgabe 4/2023) entstand, wissen wir nicht genau. Höhlenzeichnungen deuten allenfalls sexuelle Rituale an.

Reflektiert hat der Mensch über Liebe wohl erst, als er Wörter, Worte, Begriffe dafür fand. Das dürfte vor etwa 8.000 Jahren der Fall gewesen sein. Damals entstand die indoeuropäische Wortwurzel leubh. Diese Wortwurzel schlug sich Jahrtausende später im Lateinischen nieder in libido/libere, im Gotischen in liufs, im Althochdeutschen in liob, im Mittelhochdeutschen in liep, dort aber auch als entrückte Liebe der minne, im Englischen in lief/love, im Schwedischen in ljuv und so weiter.

Ein Schatz an Wörtern

Bleiben wir beim Deutschen. Die deutsche Sprache hat einen riesigen Wortschatz – einen „Schatz“ an Wörtern. Auf mehr als 400.000 Wörter wird dieser Schatz ge-„schätzt“.

Für „lieben/Liebe“ hat unsere Sprache aber nur relativ wenige Synonyme parat: gernhaben, mögen, liebhaben, wertschätzen, Altruismus, Bindung, Zuneigung, Hingabe, Zuwendung, Brüderlichkeit. Was die deutsche Sprache nicht hat, das ist die Unterscheidung von drei Arten von Liebe, wie sie das Altgriechische kennt: eros (ἔρος) – philia (φιλία) – agape (ἀγάπη).

Diese verschiedenen Formen von Liebe lassen sich im Deutschen nur mit Komposita und Ableitungen näher defi nieren: als Gottesliebe, elterliche Liebe, Freundschaftsliebe, Nächstenliebe. Oder mit Hilfe von Adjektiven oder Partizipien: als begehrende, sinnliche, zuneigende, hingebende, sorgende, schenkende, verzeihende, vergebende, suchende, platonische Liebe …

Ferner kennen wir Wörter wie liebenswert, liebenswürdig, lieblich, Liebling, Liebschaft, liebäugeln, liebkosen. Liebe kennt auch das Spielerische, Kokettierende: „Was sich liebt, das neckt sich.“ Das heißt: Liebe ist Ernsthaftigkeit und Leichtigkeit zugleich.

Liebe manifestiert sich in Sprachbildern und Symbolen:

etwa in den Sprachbildern „ans Herz gewachsen“ und „Herzenswärme“. In Ringen, im keltischen Knoten mit seinen unendlichen Schleifen, in den Pfeilen Amors, im Kussmund, im Bild eben eines Herzens. Gerade letzteres hat mit am meisten Aussagekraft, denn dieses Bild symbolisiert, das heißt, es steht für Innigkeit und für ein quasi sehendes Herz. „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ („Der Kleine Prinz“, Antoine de Saint-Exupery, 1942).

Liebe in der Literatur, Musik & Kunst:

Liebe ist ein seit Jahrtausenden wiederkehrendes Motiv in Literatur, Musik und Kunst. Das birgt die Gefahr in sich, dass Liebe ebenso wie Freundschaft verkitscht wird. Der Valentinstag neigt zur Verkitschung, die „Liebe“-Smileys und -Emojis, Tausende von Facebook-„Freunden“ und Twitter-„Followern“ ebenso, wenn die inflationäre Bekundung von Liebe und Freundschaft im Kern hohl ist.

„Liebe deinen nächsten wie dich selbst”

„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!“, heißt es im Evangelium (Markus 12,28-34) Was ist damit gemeint? Nächstenliebe im Sinne des nächsten Umfeldes oder universalistische Fernstenliebe, Philanthropie, genereller Humanismus und Humanitarismus?

Paulus gibt darauf im Galaterbrief (6, 10) eine Antwort: „Deshalb wollen wir, solange wir noch Zeit haben, allen Menschen Gutes tun, besonders aber den Hausgenossen des Glaubens“.

Nächstenliebe kann jedenfalls nicht in einer totalen Emanzipation gänzlich weg von der Eigenliebe stattfi nden. Das Gebot, den Nächsten zu lieben wie sich selbst, bedeutet kein Mehr und kein Weniger – auf keiner der beiden Seiten. Denn wer sich selbst nicht mag, den mögen auch andere nicht.

Das Hohenlied der Liebe:

Nächstenliebe hat im Sinne der Katholischen Soziallehre mit Subsidiarität zu tun. Denn totale Versorgung entmündigt, macht lahm. Ein noch so allmächtiger Staat kann zudem nicht das Wesentliche geben, was der leidende Mensch — jeder Mensch — braucht: die liebevolle persönliche Zuwendung.

Es ist auch ein Aberglaube, der Mensch lebe „nur von Brot“ (Mt 4, 4; vgl. Dtn 8, 3); eine solche Vorstellung erniedrigte den Menschen. Im „Hohenlied der Liebe“ (1 Kor 13) geht es denn auch um mehr als um Almosen: „Und wenn ich meine ganze Habe verschenkte und wenn ich meinen Leib opferte, um mich zu rühmen, hätte aber die Liebe nicht, nützte es mir nichts.“

Hyperindividualismus:

Den Nächsten lieben wie sich selbst? Im Zeitalter eines fortschreitenden Hedonismus und Hyperindividualismus ist bisweilen eine Schieflage eingetreten. Das Selbst wurde zum eigenen Gott. Selbstbestimmung, Selbstentfaltung, Selbsterfahrung, Selbstevaluation, Selbstregulierung, Selbststeuerung, Selbstvergewisserung, Selbstverwirklichung, Selbstwerdung, Selbstwirksamkeit, Selbstzentrierung.

Weniger angesagt scheinen: Selbstvergessenheit, Selbstbeherrschung, Selbstbesinnung, Selbstdisziplin, Selbstironie, Selbstkritik, Selbstlosigkeit. So wird daraus geradezu narzisstisch oft Selbstbesessenheit, Selbstbespiegelung, Selbstbetrug, Selbstgefälligkeit, Selbstgerechtigkeit, Selbstherrlichkeit, Selbstsucht, Selbsttäuschung, Selbstüberschätzung.

Liebe, Arbeit und Gemeinschaft

Die großen Lebensaufgaben, Lebensziele, zugleich Ziele einer erfolgreichen Erziehung und/oder Psychotherapie sind: Liebe, Arbeit und Gemeinschaft. So hat es Alfred Adler (1870 – 1937), einer der großen Tiefenpsychologen, vormals Mitstreiter, dann Widerpart von Sigmund Freud, definiert.

Sigmund Freud (1854 – 1939) kam in puncto Liebe nicht über die Theorie der Libido mit ihrem Zweck der Selbst- und Arterhaltung hinaus. Freuds Lebensziel bzw. Therapieziel war Förderung bzw. Wiederherstellung der Arbeits- und Genussfähigkeit. Ein Altruismus hatte in Freuds Werken keinen Platz. Ebenso wenig bei Friedrich Nietzsche: Für beide war Altruismus nichts als Selbsttäuschung. Für Nietzsche war „Mitleidsmoral“ gar das, woran das Christentum zugrunde gehe.

Eros – Philia –Agape:

Die aktuell wohl eindrucksvollste Betrachtung von „Liebe“ stammt aus der Feder des verstorbenen Papstes Benedikt XVI. Es ist die von ihm acht Monate nach seiner Wahl zum Papst am 25. Dezember 2005 unterzeichnete Enzyklika „DEUS CARITAS EST“. Benedikt XVI. unterscheidet darin zwischen Eros – Philia –Agape: idealiter vereint in ehelicher Liebe.

Eros ist für ihn aufsteigende, verlangende, glücksverheißende, gottsuchende Liebe, Agape absteigende, schenkende. Über Agape schreibt er: „Er kann nicht immer nur geben, er muss auch empfangen. Wer Liebe schenken will, muss selbst mit ihr beschenkt werden.“

Benedikt schreibt auch, dass die Behauptung der Gottesliebe zur Lüge wird, wenn der Mensch sich dem Nächsten verschließt oder ihn gar hasst. Denn die Abwendung vom Nächsten macht, so Benedikt, auch für Gott blind.

Glaube – Hoffnung – Liebe:

Es geht um den Dreiklang „Glaube – Hoffnung – Liebe“ als christliche Tugenden (Korinther 13,13). Liebe als die größte unter ihnen. Hier wiederum vorne dran die Nächstenliebe als Dienst am Nächsten. Institutionalisiert als Diakonie (griech. διάκονος = Diener, Helfer) und als Caritas (lat. Nächstenliebe). Das heißt: Dienen auch dem „geringsten“ Mitmenschen.

„Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan („Vom Weltgericht“, Mt 25, 36. 40). Der Barmherzige Samariter, der dem von Räubern überfallenen Wanderer hilft (Lk 10,25-37) und der Heilige Martin als Schutzheiliger der Reisenden, Armen, Bettler und Flüchtlinge stehen hier als Vorbilder, die zeigen, dass sich Liebe und Zweck-/Mitteldenken gegenseitig ausschließen. Nächstenliebe ist eine Sache der Freiwilligkeit, des inneren Antriebs, der Herzensbildung.

Dauer – Zuverlässigkeit – Treue:

Liebe bedarf der Dauer, der Zuverlässigkeit und der Treue. Freie oder frei fl ottierende Liebe ist ein Widerspruch dazu. Es kann sie nicht geben. Auch wenn dies üblich zu werden scheint. Liebe, egal zu welchem Mitmenschen, zu welchem Objekt, zu welcher Sinnfrage lebt von Neugier. Man will etwas erfahren, lernen und wissen. Will einer Frage oder Ungewissheit auf den Grund gehen. Liebe sucht insofern Wahrheit. Alle großen Fortschritte der Menschheit haben mit Suche nach Wahrheit und Liebe zur Wahrheit zu tun.

Liebe kann aber auch blind machen: als naive Liebe zu einem vergötterten Mitmenschen; siehe die Redensart „Liebe macht blind“ bzw. im Lateinischen „amantes – amentes“ (Liebende von Sinnen). Blind kann man auf der Suche nach Wahrheit aber auch werden, wenn man sich dabei zum Gefangenen einer Ideologie macht. Hier tritt ein, was man die – manchmal auch verführerische – Allmacht der Liebe nennt. Durchaus in Vergils Sinn: OMNIA VINCIT AMOR (Die Liebe besiegt/unterwirft alles).

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