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Ausgabe 06 Freundschaft

Ein paar Minuten, die das Leben verändern

Lesedauer: ca. 8 Min.

Autor: Matthias Wagner | Redakteur: Markus Reder | Illustration: Arno Dietsche

Ein paar Minuten, die das Leben verändern

Er hätte Karriere in der Wirtschaft machen können. BWL-Studium, Personalverantwortung für rund 800 Mitarbeiter: All das hatte er bereits. Doch dann hat sich Matthias Wagner für einen ganz anderen Weg entschieden. Das Ganze hat mit einer sehr speziellen Freundschaft zu tun.

Am Anfang waren zwei Hefeweißbier. Zum ersten Mal sind wir uns im Kloster Weltenburg begegnet. Nicht in der Kirche, sondern in der Wirtschaft. So viel Ehrlichkeit muss sein. Wir trafen uns bei einer Tagung, an der wir beide teilnahmen. Abends ließen wir den Tag beim Bier ausklingen. Woher man komme, was man so mache? Sympathischer Small Talk. Vielleicht hätten wir launig weiter geplaudert, wäre da nicht auf einmal diese Frage im Raum gestanden: Was bewegt einen jungen Mann, der beruflich bereits auf dem Sprung nach oben war, dazu, Karriere und Kohle hinter sich zu lassen und sich für ein Leben im Orden zu entscheiden? Die Antwort war einigermaßen verblüffend: „Freundschaft!“ – „Wie bitte?“ – „Ja, Freundschaft“, wiederholte Matthias. Und als ob das nicht schon erstaunlich genug gewesen wäre, setzte er noch eins drauf: „Die Freundschaft zu Jesus.“

Freundschaft mit Gott: Gibt es das? Wie soll das gehen? Ist das nur was für besonders Fromme? Oder hat das mit meinem Leben zu tun?

Freundschaft mit Jesus? Der Mann war Betriebswirt und nach einem halben Glas Hefe absolut zurechnungsfähig. Freundschaft mit Gott? „Ist nicht Dein Ernst?“ – „Doch“, erwiderte Matthias. Im Grunde sei es das, was das Leben jedes Christen ausmache. Ganz egal, ob man Geistlicher sei oder in einer Ehe lebe. Christ sein bedeute, eine persönliche Beziehung zu Jesus Christus zu haben. Wie eine Freundschaft. Auch wenn das natürlich eine besondere Freundschaft sei.

„Freundschaft mit Gott: Wie funktioniert das? Mit Gott sitzt man nun mal nicht gemütlich beim Bier und tauscht sich aus. Macht man sich da nicht doch was vor?“, wollte ich wissen. Es begann ein intensives Gespräch. Hätte die Bedienung nicht irgendwann Feierabend signalisiert, wären wir wahrscheinlich noch lange gesessen. So blieb am Ende die Frage, ob Matthias aus seinen Erfahrungen nicht einen Beitrag für dieses Magazin machen könne. Er zögerte. Das Thema sei doch ziemlich persönlich und außerdem nicht so einfach in Worte zu fassen. „Schon, aber es kann zum Nachdenken und zum Austausch anregen. So wie eben.“ Am Ende sagte Matthias zu: „Ich versuche es, aber es wird dann eher ein persönliches Zeugnis.“ Hier ist es:

Ein paar Minuten, die das Leben verändern

Wer nicht miteinander spricht, hat sich irgendwann nichts mehr zu sagen.
Darum ist es wichtig, sich Zeit füreinander zu nehmen.

Was ein guter Freund für mich ist? Auf jeden Fall jemand, der für mich Zeit hat. Egal ob Tag oder Nacht, oder wie voll der Terminkalender ist – er ist da für mich. Einem guten Freund kann ich alles anvertrauen und ihn um Rat fragen. Er bekommt mit, wenn es mir nicht gut geht. Und gerade wenn es schwierig ist, wenn ich jemanden brauche, der mich begleitet, dann ist er da. Als diesen guten Freund kann ich Jesus in meinem Leben bezeugen. Er ist für mich der Inbegriff wahrer Freundschaft.

„Wie jetzt“, könntest du einwenden, „wie soll das denn gehen? Du bist 28 Jahre alt. Ich dachte die Zeit, in der man unsichtbare Freunde braucht, ist spätestens gegen Ende der Grundschule vorbei.“

Und es stimmt ja irgendwie. Jesus ist nicht in dem Sinne mein Freund, dass ich mich mit ihm auf ein Eis treffen, einen Filmabend verbringen oder zum gemeinsamen Kochen verabreden könnte. Und so gesehen sind unsere Gespräche ehrlich gesagt auch einigermaßen einseitig. Noch dazu antwortet er anders als ich das gemeinhin gewohnt bin. Die Freundschaft mit Jesus ist einfach anders, als die Freund schaft, die wir aus dem Alltag kennen. Allerdings bin ich absolut davon überzeugt, dass Jesus jedem Menschen seine Freundschaft anbietet und dass auch jede und jeder von uns diese Freundschaft auf eine ganz eigene und spannende Art und Weise leben kann. Gott möchte wirklich in Beziehung zu uns treten. In Jesus wird das ganz konkret. Als Christen sind wir täglich neu vor die Entscheidung gestellt, dieses große Angebot Gottes anzunehmen. Ich habe mich entschieden, meine Freundschaft mit Jesus als Ordensbruder im Deutschen Orden zu leben. Seit sechs Jahren bin ich Teil dieser Ordensgemeinschaft, die sich vor allem den Einsatz für die Ausbreitung des Reiches Gottes und den Dienst an den Mitmenschen zur Aufgabe gemacht hat.

Wenn man in einen Orden eintritt, kommt erstmal eine Zeit der intensiven Ausbildung. In erster Linie zielt diese auf eine Vertiefung der Freundschaft mit Jesus. Obwohl ich Jesus zuvor schon kannte und das, wie ich damals dachte, auch sehr gut – habe ich in der ersten Zeit im Orden meine Freundschaft mit Jesus vertiefen und ihn dabei neu kennenlernen dürfen. Das persönliche Gebet beispielsweise war mir schon zuvor wichtig. Was ist das denn für eine Freundschaft, wenn man nicht miteinander spricht? Im Gebet rede ich mit ihm, wie im Alltag mit meinen Freunden. Ich teile meine Erlebnisse mit ihm, die Fragen, die mich beschäftigen, Probleme, Sorgen, Höhe- und Tiefpunkte meiner Tage. Im Stress des Alltags ging zuvor mancher Gedankenaustausch mit Jesus unter. Es fehlte mir dann merklich etwas.

Mit dem Ordenseintritt war ich dann in die Situation geworfen, dass jeder Tag sich intensiv um die Freundschaft mit Jesus drehte. Puh, das war schon was anderes als das gelegentliche, mal unregelmäßige, mal allabendliche Zusammentreffen. Ich spürte auch, welche Marotten ich eigentlich habe. Und auch, was Jesus von mir als Freund erwartet. Kurzum: ich lernte, zumindest anfanghaft, wie ein Leben aus der tiefen Freundschaft mit Jesus gelingen kann.

Später beim Theologiestudium habe ich inmitten der Herausforderungen des Uni-Alltags gemerkt, dass die Freundschaft mit Jesus in der Zwischenzeit zum Traggrund meiner täglichen Herausforderungen geworden ist. Ich habe erlebt, wie mir Jesus hilft, Aufgaben zu meistern, die ich alleine für unmöglich gehalten hätte. Und, dass ich mich bei ihm immer gut aufgehoben wissen darf, auch wenn es mir manchmal so gar nicht gut geht oder der Stress mich derart fordert, dass die Zeit knapp wird. Gerade dann weiß ich, dass er auch in dieser Zeit nicht die Freundschaft aufkündigt, sondern erst recht da ist. Inzwischen begegnet mir Jesus viel bewusster in verschiedenen Situationen. Oft treffe ich ihn in meinem Mitmenschen. In meinen Mitbrüdern, wenn wir uns über etwas gemeinsam freuen können oder schöne Zeiten miteinander teilen, aber auch, wenn mir ein Mitbruder gerade auf die Nerven fällt. Ich denke mir dann: wenn mein bester Freund mir auf die Nerven geht, ist das völlig o.k., ich tue es ja wohl auch oft genug. Neben meinem Theologiestudium arbeite ich in der Krankenhausseelsorge. Dort begegne ich Jesus immer wieder in den Patienten, mit denen ich Gespräche führen darf. Auch in der Begegnung mit meinen Kommilitonen und Kollegen sehe in dem Anderen Züge meines Freundes Jesus. Diese allem zugrunde liegende Freundschaft hinterlässt mich immer mit dem Gefühl des Beschenktseins.

„Das klingt ja alles schön und gut“, könntest du jetzt sagen, „aber wie ist das jetzt mit dem gemeinsamen Eisessen? Also wie verbringt ihr Zeit miteinander? Mit Jesus kannst du nicht einfach mal eben telefonieren. Wie läuft das bei euch? Wie bleibt ihr in Verbindung?“

Wie in jeder Freundschaft ist Kommunikation das A und O. Wer nicht miteinander spricht, den Alltag teilt, der hat sich irgendwann nichts mehr zu sagen und geht getrennte Wege. Daher ist das Gebet für mich sehr wichtig. Mein Tag beginnt mit der Laudes, dem Morgengebet der Kirche, das ich zusammen mit meinen Mitbrüdern bete. Danach verbringe ich Zeit mit der Bibel. In der Bibel zu lesen ist mir seit meiner Jugend wichtig. Und bis jetzt ist es tatsächlich noch nie langweilig geworden. Ich habe immer das Gefühl, Jesus sagt mir etwas für meinen Alltag oder zu den Dingen, über die ich gerade nachdenke. Ich weiß nicht, wie oft ich die Evangelien schon durchgelesen habe und trotzdem werde ich immer wieder aufs Neue angesprochen, lese eine Stelle und frage mich: stand das schon immer da? Das ist, als würde Jesus im Gespräch eine Antwort geben, als würde ich immer einen Freund haben, der zuhört und der mir auch mal sagt: „so nicht“, oder „versuch’s doch mal damit“. Jesus gehört zu meinem Leben. Er ist für mich wie mein bester Freund. Er ist Begleiter und Ratgeber und ich habe das Gefühl, dass ich nur halb wäre, wäre er nicht da. Selbstverständlich gibt es auch Zeiten, da scheint er mal ferner zu sein, oder ich habe den Eindruck, dass er nicht so zuhört, wie ich es mir wünschen würde. Mir helfen gerade dann der regelmäßige Empfang der Eucharistie, die festen Zeiten des Gebets und die Gemeinschaft mit den Mitbrüdern. Und jeden Tag, bevor ich schlafen gehe, gehe ich meinen Tag mit Jesus nochmal durch. Ich bitte um Verzeihung, wo ich in der Freundschaft und Liebe zu ihm und meinem Nächsten zurückgeblieben bin und lege es in seine Hände. Im Vertrauen, den nächsten Tag wieder gemeinsam mit ihm zu bestreiten.

„Schön für dich“, könntest du einwenden. „Du bist ein Ordensmann, da gehört gemeinsames Beten, Messfeier und tägliches Bibellesen wohl dazu. Aber du meintest ja, dass jeder Mensch eine Freundschaft mit Jesus pflegen kann...“

Ich denke, es gibt ein paar Dinge, die für eine gelingende Freundschaft grundlegend sind. Das gilt auch für die Freundschaft mit Jesus. Kommunikation ist ganz wichtig, sich wirklich Zeit füreinander nehmen! Dafür muss man nicht im Orden sein. Das kann jeder in seinem Alltag leben. Einem guten Freund erzählt man, was man erlebt, wie es einem geht. Genauso kann man im Gebet mit Jesus sprechen. Man kann ihn wie einen guten Freund auf dem Laufenden halten oder um Rat fragen. Für mich antwortet Jesus auf meine Fragen oft durch die Heilige Schrift. Ich empfehle, mit den Evangelien anzufangen. Im Internet findet man die Texte, die an den jeweiligen Tagen im Gottesdienst gelesen werden. Hier kann man ansetzen und beispielsweise morgens einfach das Tagesevangelium durchlesen. Das dauert nicht lang, eröffnet aber vielleicht einen ganz anderen Blick auf den Tag, der vor dir liegt.

Ein anderer wichtiger Schritt könnte sein, sich ein oder zwei feste Zeiten am Tag zu setzen, an denen man bewusst betet. Sich einfach ein paar Minuten Zeit nehmen. Still werden, zur Ruhe kommen, innehalten und all das, was der Alltag gerade mit sich bringt, Jesus sagen. Sorgen und Stress, Freude und Fragen, Ängste und Ärger, einfach alles. Auch das „Vater unser“, die Psalmen oder andere Gebete der Kirche bieten sich an. Es kommt nicht darauf an, viele oder große Worte zu machen, sondern bewusst und offenen Herzens in Beziehung zu treten. Wer das regelmäßig tut, wird merken, da verändert sich etwas in seinem Leben. Er wird feststellen, dass ihm diese Zeiten immer wichtiger werden. Gott ist nicht abstrakt und fern, sondern persönlich und nah. Er wartet auf uns, auf dich und auf mich, und er will das Beste für uns. Es liegt an uns, auf seine Zuwendung zu antworten und diese Freundschaft zu pflegen. Ein wichtiger Punkt dabei ist die Feier der Eucharistie. In der Eucharistie kommt uns Gott so nahe wie sonst nirgends. Jesus begegnet uns leibhaftig. Deswegen ist der Sonntagsgottesdienst auch ein Fest der Freundschaft. Hier erneuert und vertieft sich die Beziehung zu Gott. Hier kann man auftanken. Mit dem, was sich in der Eucharistiefeier vollzieht, sagt Gott: du bist gemeint, du bist gerufen, du bist geliebt. Ich bin mir sicher: Jesus will auch dein Freund sein. Es liegt an uns, sich jeden Tag neu zu entscheiden, diese Freundschaft mit Leben zu füllen.