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Ausgabe 04 Freiheit

Klimaschutz der Beziehungen, das wäre befreiend.

Lesedauer: ca. 6 Min.

Autor: Jürgen Liminski | Fotografie: Bernhard Spoettel, Tobias Morawetz, Simon Gehr

KLIMASCHUTZ DER BEZIEHUNGEN, DAS WÄRE BEFREIEND.

Freiheit und Verantwortung, Freiheit und Liebe, Freiheit und Autorität: Zum Spannungsverhältnis zwischen Lehrern, Schülern und Eltern.
Ein Gespräch mit Schuldirektor Günter Jehl und Lehrerin Veronika Briemle von den Dr.-Johanna-Decker-Schulen.

Lehrer sind selten die große Liebe der Schüler

Und dennoch meinte Goethe, man lerne nur von dem, den man liebt. Es ist die Bestätigung, die angeregte Motivation, die den Willen belebt und zu Anstrengungen beflügelt. Aber der Lehrer ist auch eine Autorität, die einen Auftrag zu erfüllen hat. Er soll den Lernenden den Weg zu mehr Erkenntnis ebnen, zu kleinen und großen Wahrheiten. Sind Schüler deshalb unfrei? Gibt es überhaupt Freiheit an der Schule? Wie ist das Verhältnis zwischen Freiheit, Autorität und Wahrheit?

Günter Jehl, Direktor an den Dr.-Johanna-Decker Schulen in Amberg, sieht das pragmatisch. Für ihn ist die Schule ein Abbild der Gesellschaft: „Wir sind alle Kinder unserer Zeit.“ In der Gesellschaft sehe man „Freiheit heute vorrangig als Freisein von Zwängen, vielleicht auch von Autorität“. Natürlich versuche die Schule in der Linie ihrer 180-jährigen Tradition und im Geist von Maria Theresia von Jesu Gerhardinger, der Gründerin der beiden Mädchenschulen (Gymnasium und Realschule), „das christliche Menschenbild zu leben“. Und dazu gehöre auch immer die Verantwortung. „Wir versuchen als christliche Schule auch dieses Menschenbild im Unterricht zu verorten.“ Und bei Freiheit und Verantwortung ist er sich mit den allermeisten Lehrern einig.

Das erste Bild der Freiheit

Der Oberstudiendirektor macht sich aber auch keine Illusionen. Ein Bild von Freiheit ist schon in den Köpfen, wenn die Kinder kommen. Denn das sehen und lernen „die Kinder zuerst zuhause, in der Familie“. Deshalb kommen die gut 700 Schülerinnen vielleicht nicht mit einem ausgeklügelten, philosophischen Konzept, aber doch mit einer Vorstellung von Freiheit in die Schule. Daran müsse die Schule anknüpfen und „mit den Eltern einen gemeinsamen Weg gehen“. Ideal wäre, so Jehl, wenn die Kinder sich „in der Schule als freie Christenmenschen“ fühlten und später in der Gesellschaft ihre Freiheit wirken ließen, etwa im Sinn des Thomas von Aquin, der Freiheit als vis operans, als „Kraft zur Entscheidung“ für das Gute definierte. Der Zusammenhang zwischen Wahrheit, Freiheit, Autorität ist an dieser Schule in Amberg eine Lebensweise. Es gibt keine bestimmte Definition. Das dürfte für fast alle Schulen zutreffen.

Das widerspricht auch nicht dem Bild von Autorität, die manche Entscheidung vorgibt, und das die Lehrkräfte zu verkörpern haben. Man hat Respekt, keine Angst. Man akzeptiert die Rollen, man achtet das Vorbild und hört hin, „meistens, fast immer“. Schwierig kann es werden, wenn gesellschaftliche Trends und Wellen sozusagen in die Schule hineinschwappen, Stichwort Freitagsdemos, genannt Fridays for Future. Günter Jehl war vermutlich der einzige Schulleiter in Amberg, der Anfang des Jahres, als die Bewegung begann, Unterrichtsbefreiungsanträge von Eltern mit dem Grund „Teilnahme an einer Schülerdemo während der Schulzeit“ nicht genehmigte. Das sei eine Prinzipienfrage gewesen. Und sie war problematisch. „Das Problem hat sich durch ein schönes Wunder Gottes insofern gelöst, weil an diesem Tag in Amberg – und (bayernweit) nur in Amberg – der Unterricht wegen Blitzeis ausgefallen ist. Deshalb fand die Demonstration dann außerhalb der Unterrichtszeit statt.“

Entscheidend ist das Wissen

Blitzeis gibt es im Sommer nicht. Das Problem war nur für den Moment gelöst, und dem Blitzeis waren auch viele Gespräche voraus- und nachgegangen. Auch an anderen Schulen. Veronika Briemle lehrt Religion an einer Regensburger Schule. Sie sieht diese Problematik als Lehrerin und Mutter. Es sei oft nur eine Frage der Alternative. So eine Demo sei, anders als der Unterricht, „auch ein wenig wie Party. Die wirkliche Motivation sieht man in den Ferien.“ Überhaupt sei Freiheit ein großes Wort für viele kleine Entscheidungen. Man könne Freiheit, die Entscheidungskraft, auch schon bei kleinen Kindern einüben, etwa wenn man sie vor die Alternative stelle, Birne oder Banane. Und wenn das Kind beides will, müssten Eltern eben erklären, warum das eine und nicht das andere. Erklärungen haben freilich Grenzen. Sie sei gelegentlich schon freudig erstaunt, dass Heranwachsende auf Ausflügen und Klassenfahrten eine Ansage („dann seid ihr bitte wieder hier“) einfach akzeptierten, „wenn sie nur klar kommuniziert ist“.

Die Klarheit der Kommunikation fördert die Anerkennung der Autorität, die Klarheit der Alternative schärft die Erkenntnis. Das sei leichter bei Jüngeren, schwieriger bei Älteren, denn bei älteren Schülern und Schülerinnen kommen schon die vom Relativismus geprägten Sätze wie „kann man so sehen oder auch so“, was wiederum verwechselt werde mit Toleranz. Aber, so die junge Lehrerin, das sei auch eine Frage des „Grundschatzes, den man an Wissen zur Verfügung hat, und das ist unsere Aufgabe als Lehrkräfte. Mit der Fähigkeit zu entscheiden ist auch ganz grundlegend dieses Wissen verbunden.“ Beim Thema Abtreibung zum Beispiel ist dieses Wissen eine Frage von Leben und Tod. Das heißt, wer entscheidet, „muss die ganze Wirklichkeit kennen.“ Vielfach höre sie „vor allem von Jungs in der Oberstufe dieses sehr gefühllose ‚ist doch nur ein Zellklumpen und jeder muss frei für sich entscheiden‘“. Dann müsse sie halt etwas Biologieunterricht geben und erklären, dass mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle eine neue genetische Identität, eine neue Person entstanden ist. Gelegentlich verwende sie „deutliche Aussagen“, um klar zu machen, wohin Unwissenheit führe, die die Wahrheit verdunkelt.

Problem Smartphone

Beim Thema Abtreibung geht es um Leben und Tod. Beim Thema Handy in der Schule geht es nicht mehr um Erkenntnis, sondern ganz praktisch um das Spannungsverhältnis Autorität und Freiheit. Das kann die Lehrer als Autoritäten auf die Probe stellen. In Frankreich sind Smartphones an Schulen schlicht verboten. „Auch in Bayern ist die Gesetzeslage eindeutig“, sagt Direktor Jehl. „Das bayerische Erziehungs-und Unterrichtsgesetz regele, dass digitale Medien, Mobiltelefone, Smartphones, Smartwatches etc., auf dem Schulgelände ausgeschaltet sein müssen.“ Insofern bräuchten Lehrer und Schulen nichts verbieten. Das Problem sei die Praxis. „Man sieht halt die eckigen großen Smartphones aus jeder Hosen- oder Jackentasche rausschauen. Ich sage mal, nach meiner Erfahrung an verschiedenen Schulen können Sie davon ausgehen, dass 90 Prozent der Handys, die in einer Schule mitgeführt werden, an sind.“

Günter Jehl hat die Problematik an seiner Schule auch thematisiert. Denn für ihn geht es in extremen Fällen dabei auch um Abhängigkeiten bis hin zu digitalem Mobbing und Sucht. Bei der Verabschiedung aller Schülerinnen in die letzten Sommerferien habe er angeregt, dass man, um die freie Zeit wirklich als befreiend zu empfinden, es mal ausprobieren solle, „mindestens eine Woche ohne Handy auszukommen“. Jehl: „Es war nicht gerade der große Applaus, den ich dafür geerntet habe.“ Aber im Schulforum (paritätisch besetzt aus Eltern, Schülerinnen und Lehrkräften) wurde der Gedanke aufgegriffen und zu Beginn des Jahres wurde „einstimmig beschlossen, dass wir in der Fastenzeit in den 5. Klassen ein Handyfasten betreiben.“ Die Eltern wurden informiert und von 8 bis 13 Uhr wurden die Handys abgegeben. Es war eine Befreiungsaktion.

Günter Jehl ist „nicht prinzipiell gegen Demos“. Natürlich sei das Klima des Planeten wichtig. „Ich würde als Schulleiter gern mal für das Klima demonstrieren“, sagt Jehl und präzisiert: „Ich meine allerdings das Klima der Beziehungen, damit die Menschen auch über den Klimaschutz unter ihnen selbst nachdenken. Also das Klima in den Freundeskreisen, das Klima in den Klassen, das KIima an einer Schule, das Klima zuhause und in der Gesellschaft.“ Die Umwelt der Beziehungen fange schon an bei zwei Schülerinnen. Ein solcher Klimaschutz liege in der Hand und Macht jedes einzelnen. Klimaschutz der Beziehungen – auch das wäre ein Gewinn für die Freiheit. Es ist für den Direktor „unabhängig von Wissensvermittlung in den einzelnen Fächern, das zentrale Thema“.

Freiheitsschlucker im Alltag

Für Veronika Briemle gibt es noch weitere „große Freiheitsschlucker“. Der Zeitdruck etwa hindere viele Kinder daran, Freiheit zu lernen und zu leben. Das fange an „um 7.30 Uhr, wenn die Kita wartet“ oder wenn die Kinder keine Zeit mehr haben zum Spielen am Nachmittag. Ein großer Schlucker ist auch der Medienkonsum. Es sei schon erstaunlich, „wie oft ich im vorhinein sagen kann, ob die Kinder zu Hause sitzen und glotzen oder ob sie draußen sind und Fußball spielen. Es sind ganz anders ausgeglichene Kinder.“ Und dann wären da auch noch „die Ängste der Eltern“. Das fange schon bei den Kleinen an, wenn sie klettern und wagen. „Da steht die Frage im Raum: Wie hoch darf ich klettern. Wo hab’ ich da Freiheit, wo darf ich mich da selber spüren und entscheiden und wo sagt die Mama ,Halt, stop, es ist zu hoch!‘.“ Oder bei der beruflichen Zukunft, wenn die Eltern Angst haben, dass das Kind sich gegen das Abitur entscheidet und sich nach Meinung der Eltern dann selber die Zukunft verbaut. „Das ist für manche Eltern ganz schwer zu akzeptieren, aber eigentlich kann einem nichts Besseres passieren, als dass ein Kind genau weiß, welcher Beruf der richtige ist. Ich bewundere eher, dass man in dem Alter, mit 16 Jahren, schon so eine Festigkeit hat in der Überzeugung.“

Für Veronika Briemle war und ist, wie für Direktor Jehl, „immer wichtig, dass Freiheit auch eine große Verantwortung mit sich bringt“. Wer das spüre, der hole sich auch das nötige Wissen, um der Verantwortung gerecht zu werden und die Konsequenzen einer Entscheidung abzuschätzen. „Das nennt man Reife.“ Dass Schüler das mitnehmen ins Leben, ist der Wunsch jedes Lehrers. Denn diese Erkenntnis oder Erfahrung verweigere ihnen die Wohlstandsgesellschaft sehr oft.

Freiheit der Kinder Gottes – auch heute

Hat Freiheit auch mit Liebe zu tun? „Unbedingt“, sagt die junge Lehrerin. Das würden Schüler auch schnell einsehen. „Also wenn ich einem sage, du bist frei, mach was du willst, dann ist es einfach eine Beliebigkeit, so eine Gleichgültigkeit, und das sehen Schüler sehr schnell. Andersherum, wenn ich jemanden zu etwas zwinge, dann ist es auch keine Liebe mehr.“ Das sei für Kinder oft nicht selbstverständlich, aber nach kurzen erklärenden Sätzen sehr leicht nachvollziehbar. „Den Zusammenhang von Freiheit und Liebe haben wir im Religionsunterricht sehr häufig. Schließlich geht es da um das Gottesbild. Ich kann eigentlich erst dann von Gott und Christus reden, wenn ich den Zusammenhang von Liebe und Freiheit verstanden habe. Erst dann kann ich verstehen, was und vor allem wer Gott ist.“

Das Thema Freiheit des Menschen in Verantwortung vor der Schöpfung und dem Schöpfer sei, so Günter Jehl, zwar abstrakt zu beschreiben und zu verstehen, aber seine Verwirklichung hänge immer von den jeweiligen Lebensumständen ab. „Man muss das auf Personen und Situationen herunterbrechen.“ Seit Jahren beschäftige ihn die Frage, „Was möchte ich jungen Menschen mitgeben?“ und immer wieder lande er bei dem „zentralen Begriff der Vorbilder und der Folgefrage: Können Heilige noch Vorbilder in heutigen Zeit sein?“. Die Antwort ist ein klares Ja. Er denke da „an den heiliggesprochenen Pater Maximilian Kolbe, der die größtmögliche Freiheit verwirklicht hat, indem er im Konzentrationslager sein Leben hingab für einen Familienvater. Das hört sich paradox an, ist für mich aber diese größte Freiheit, die ein Kind Gottes haben kann, nämlich für den anderen sein Leben hinzugeben.“ Oder der Journalist „Fritz Gerlich, der mit seiner Zeitung ‚Der Gerade Weg‘ gegen Hitler angeschrieben hat, der 16 Monate lang inhaftiert war, dann erschossen wurde, und für den der Seligsprechungsprozess jetzt läuft. Der die Freiheit gehabt hätte zu fliehen, der gewarnt wurde, nicht in seinem Redaktionsbüro in München zu bleiben und der gesagt hat, nein, ich bleibe hier, weil sonst meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Rechenschaft gezogen werden. Und der letztlich in dieser Freiheit sich eigentlich schon für den absehbaren Tod entschieden hat.“ Solche Personen und Gestalten der kleinen und großen Geschichte versuche er Schülern und Eltern nahe zu bringen, zum Beispiel mit monatlichen Vorträgen. „Dabei geht es um viele Themen, natürlich die neuen Medien, auch die Klimaforschung, aber eben auch um Menschen, die in unserer Zeit die Freiheit der Kinder Gottes leben oder gelebt haben.“

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