- Autor: Benedikt Bögle
- Fotos: Bernhard Spoettel
Residenz ist IN - mit Meike Kocholl
Menschen sehnen sich nach Sicherheit
Resilyou entstand an der Universität. Meike Kocholl stammt aus der Nähe von Stuttgart, in St. Gallen in der Schweiz hat sie Betriebswirtschaft studiert. In einem Projekt sollte sie eine Frage der reformierten Kirche St. Gallen beantworten: „Wie können wir junge Erwachsene dabei unterstützen, ein erfülltes Leben zu führen – was auch immer das konkret für sie bedeutet?“ Meike arbeitete an der Antwort auf diese Frage und erstellte einen ersten Prototypen für die App „Resilyou“. Am Beginn standen Interviews mit jungen Erwachsenen. Es ging darum herauszufinden, was sie sich für ihr Leben wünschen. Meike stellte fest: Die meisten wünschten sich Wachstum, Persönlichkeitsentwicklung, eine Komfortzone im eigenen Leben. „Sie wollten resilient werden“, sagt Meike, „auch ohne diesen Begriff selbst zu benutzen“. Nach dem Ende des Projekts und ihrem Studienabschluss wollte Meike Kocholl nicht, dass ihre Ideen einfach in der Schublade verschwanden. Sie bat die reformierten Kirche St. Gallen um eine Finanzierungshilfe, bekam sie und konnte so „Resilyou“ auf den Markt bringen.
So funktioniert die App Resilyou
Ihre App konzentriert sich dabei stark darauf, Rituale im Alltag zu etablieren. Ein Ritual ist etwas anderes als eine bloße Gewohnheit: Gewohnheiten passieren unterbewusst; ein Ritual lebt man bewusst. „Rituale sind ein einfacher Weg, die kleinen Dinge im Leben zu feiern. Ein Ritual kann etwas Normales in etwas Besonderes umwandeln. Rituale schaffen Orientierung“, so Meike. Die App will das Bewusstsein für das Positive im eigenen Leben stärken: So kann man etwa – wie in einem Tagebuch – täglich die Dinge aufschreiben, für die man dankbar ist oder die man als Erfolg erlebt hat, Dinge, auf die man stolz ist oder die man bei anderen bewundert.
Dieses Tagebuch kann man auch zu zweit führen, gemeinsam mit einem Freund oder einer Partnerin. Der Partner sieht, was man in sein Tagebuch geschrieben hat. „Growbuddy“ nennt Meike einen solchen Menschen, mit dem man seine Gedanken teilt und mit dem man gemeinsam wachsen kann. „Indem man diese Dankbarkeit teilt, verstärkt man sie noch“, sagt Meike. „Das macht auch etwas Magisches mit den Beziehungen.“ Die Inhalte der App wurden von Psychologen getestet. Werte des christlichen Menschenbildes sind in das Konzept ebenfalls eingeflossen.
Resilienz trainiert die Unerschütterlichkeit
Das Konzept der Resilienz knüpft an menschlicher Unsicherheit an. „Wir leben in einer Welt, die von sehr viel Unsicherheit geprägt ist“, sagt Meike. Der Mensch will möglichst viel kontrollieren, hat aber am Ende wenig selbst in der Hand. „Die schlüssige Antwort auf eine solche Unsicherheit ist, sich Resilienz aufzubauen. Man wünscht sich, unerschütterlich zu sein. Resilienz schützt nicht vor Krisen – die kommen mit Sicherheit. Aber Resilienz hilft, schneller wieder aufzustehen. Sie hilft, nicht so tief zu fallen und aus Krisen zu lernen und zu wachsen.“
Für Meike hat der Begriff der Resilienz mit Sehnsucht zu tun: Mit der Sehnsucht nach Sicherheit. Wann immer Krisen unser Leben erschüttern, wollen wir die Kraft zum Widerstand finden. „Es liegt nahe, dass diese Sehnsucht zunimmt in einer Zeit, in der Konflikt- und Krisenherde wieder bedrohlich nahe gerückt sind, antidemokratische Tendenzen weltweit erstarken und Belastungsfaktoren in der Arbeits- und Lebenswelt zunehmen“, erklärt Meike. Trotz aller Krisen wollen wir das Gefühl haben, dass das Leben einen Sinn hat und alles am Ende gut ausgeht. Diese Widerstandsfähigkeit kann man trainieren – und genau dabei will die App unterstützen. „Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum“, sagt Meike. Ein Beispiel: Man verpasst seinen Zug – das ist der Reiz. Man kann darauf verärgert reagieren oder genervt. Oder man nutzt diese eine Stunde als geschenkte Zeit. Man muss akzeptieren können, was man nicht verändern kann. „Das muss man trainieren“, sagt Meike.
Krisen können nicht vermieden werden
„Scheitern gehört zum Leben“
Der Wunsch, sich zu verbessern, steckt tief im Menschen. Eine der grundlegendsten Eigenschaften des Menschen ist es, Situationen nicht einfach hinzunehmen. Wir wollen mehr lernen, gesünder leben, besser sein. Diese Idee greifen auch Projekte wie der „Transhumanismus“ auf: Wir Menschen wollen uns immer weiter verbessern, eines Tages vielleicht mit künstlicher Intelligenz oder technischen Körperteilen verbinden – und so die Begrenztheit der menschlichen Natur überwinden. Die Idee, das menschliche Leben zu verlängern und sogar den Tod hinauszuzögern, ist uralt.
Meike geht es um etwas anderes: „Es geht darum, so geliebt zu werden, wie man ist.“ Die Krisen der menschlichen Existenz werden nicht umschifft, sollen und können nicht vermieden werden; es geht darum, wie wir damit umgehen.
„Resilienz“ heiße gerade nicht, unbesiegbar zu werden, betont Meike. „Scheitern gehört zum Leben.“ Die Frage ist, wie man mit dem Scheitern umgeht.