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Ausgabe 06 Freundschaft

Freundschaft kann man nicht spielen

Freundschaft kann man nicht spielen - Grandios christliche Zeitschrift

Lesedauer: ca. 11 Min.

Autor: Tobias Liminski | Fotos: Thomas & Thomas, Benjamin König, Bernhard Spöttel

„Freundschaft kann man nicht spielen.“

Michael König gehört zu den bekanntesten Schauspielern Deutschlands. Ob bei den Münchner Kammerspielen, auf der Berliner Schaubühne oder den Salzburger Festspielen und im Burgtheater in Wien – der gebürtige Münchner bleibt nachhaltig im Gedächtnis. Schon allein aufgrund seiner Stimme. Zwischen den Theaterrollen spielte er mittlerweile in fast 100 Fernseh- und ungezählten Hörfunkproduktionen mit. Trotz der Bekanntheit – seine Freunde wissen, was sie bei ihm erwartet: Respekt, Anerkennung, Freiheit und Treue. Wer seine besten Freunde sind, warum er nach seinem Kirchenaustritt wieder eingetreten ist und ob es auf den Theaterbrettern der Welt echte Freundschaft gibt, hat Michael König GRANDIOS verraten.

- GRANDIOS

Freundschaft? Worauf kommt es dabei an? Welche Wesenszüge von Freundschaft kann man sichtbar machen?

- MICHAEL KÖNIG

Freundschaft kann man nicht spielen. Es gibt aber bestimmte Haltungen, die zur Freundschaft gehören, die auch für das Schauspielen wichtig sind. Zum Beispiel das Zuhören. Wenn ich mit einem Kollegen ein Stück spiele, in dem wir den jeweiligen Freund des anderen spielen, ist es entscheidend, dass ich ihm wirklich zuhöre. Ich kann nicht nur auf mein Stichwort warten und dann meinen Text abliefern. Ich muss ganz auf ihn konzentriert sein, damit ich ihn höre, ihn spüre und seine emotionalen Befindlichkeiten wahrnehme. Dieses Feingespür ist enorm wichtig, wie bei einer realen Freundschaft. Alles andere kann man aus meiner Sicht nicht spielen. Man muss es leben. Dann eben auf der Bühne.

Gibt es unter Schauspielern wahre Freundschaft?

Ja natürlich. Ich habe einen bekannten Kollegen als Freund. Wir sind beide schon einen langen Weg gemeinsam gegangen: Peter Simonischek. Peter ist ein Mensch, den ich geradezu liebe, obwohl er ganz anders ist als ich. Ein wunderbarer, bärenhafter Hedonist, der sehr gerne isst, trinkt, und das Leben genießt, der aber immer da ist, wenn es darauf ankommt. Wir sind oft Konkurrenten, weil wir beide groß und kräftig sind. Wir haben schon oft Rollen gespielt, wo der andere dachte: „Mensch, das hätte ich auch gerne gespielt.“ Aber das hat uns nie wirklich beeinträchtigt oder unsere Freundschaft in eine ernstzunehmende Krise gebracht. Wenn Konkurrenz aufkam, dann eine sehr freundschaftliche. Wir mögen uns nicht nur im Leben, sondern auch auf der Bühne. Das ist nicht oft so. Grundsätzlich gibt es sehr viel Konkurrenz in unserem Metier.

Sie sind ein erfolgreicher Theater-, Film- und TV-Star. Wird mit dem Erfolg die Luft für Freundschaften dünner?

Ich habe gelernt, Erfolg nicht mehr auf mich zu beziehen. Der Herrgott hat mir diese Begabung geschenkt. Deswegen entsteht da bei mir nichts, was mich von meinen Freunden entfernen könnte. Das Gegenteil ist der Fall. Ich werde aus Dankbarkeit eher stiller. Das macht Platz, die anderen mehr wahrzunehmen. Sich selbst nicht so wichtig zu nehmen, ist ein wunderbares „Abfallprodukt“ des Glaubens.

Irrweg Egoismus

Was macht Freundschaft für Sie aus?

Ich habe gelernt, Erfolg nicht mehr auf mich zu beziehen. Der Herrgott hat mir diese Begabung geschenkt. Deswegen entsteht da bei mir nichts, was mich von meinen Freunden entfernen könnte. Das Gegenteil ist der Fall. Ich werde aus Dankbarkeit eher stiller. Das macht Platz, die anderen mehr wahrzunehmen. Sich selbst nicht so wichtig zu nehmen, ist ein wunderbares „Abfallprodukt“ des Glaubens.

Welche Charaktereigenschaften braucht es für eine gute Freundschaft? Was schätzen Sie an Ihren Freunden?

Es ist immer schwer über andere zu sprechen. Damit fällt man in gewisser Weise Urteile. Einen Freund beurteile ich nicht. Selbst kritische Dinge ändern nichts an meiner Grundeinstellung zu meinen Freunden. Auch wenn einer von ihnen im Zuchthaus sitzen würde, er bliebe mein Freund. Ich habe erkannt, wie gefährlich Egoismus in Verbindung mit Freundschaft ist. Egoismus verletzt immer. Das kann seelisch sein, das kann materiell sein. Deshalb muss man dem Egoismus Paroli bieten. Wer glaubt, als Egoist könne man echte Freundschaft pflegen, irrt sich gewaltig. Freunde sollten versuchen, den anderen so weit wie möglich zu erfassen. Mit allem was dazu gehört. Für mich ist es wichtig, dass man sich nicht unentwegt erklärt oder den anderen korrigiert. Als Freund muss man hin- und zuhören können. Man sollte auch auf Gefühle und Körpersprache achten. Auch das sagt etwas. Wer sich einem Freund so widmet, sieht von sich selbst ab. Insofern sind Hin- und Zuhören, den anderen sehen, für den anderen da sein wollen, Grundvoraussetzungen einer gelingenden Freundschaft. Alle anderen Eigenschaften wie Treue, Verbindlichkeit, Verlässlichkeit und Ehrlichkeit ergeben sich dann von selbst. Wer regelmäßig Kontakt pflegt, und ehrlich damit umgeht, wenn er es einmal versäumt hat, der geht sicher, dass seine Freundschaften lange halten.

Setzt Freundschaft voraus, dass man gemeinsame Werte teilt?

Ich will versuchen, das an einem persönlichen Beispiel zu erklären. Einer meiner Söhne studiert Mathematik. Er ist ein sehr guter Mathematiker und interessiert sich grundsätzlich für Naturwissenschaften. Gegenwärtig ist er Agnostiker. Wir sprechen über den Sinn des  Lebens, über Vernunft und Glaube. Das sind jedes Mal schöne Begegnungen. Sie zeigen aber, dass wir sehr unterschiedliche Positionen in Fragen haben, die wir für wesentlich halten. Trotzdem geben uns die Gespräche etwas. Was ich außerordentlich an ihm schätze: Die absolute Redlichkeit seiner Bemühungen, meine Sicht der Dinge zu verstehen. Ich versuche das umgekehrt ebenso. Auch wenn es mich schmerzt, dass er meinen Glauben gegenwärtig nicht teilen kann. Die Achtung, die wir voreinander haben, empfinde ich als sehr kostbar. Durch die Anfragen und Überlegungen meines Sohnes lerne ich etwas. Das bringt mich aber keineswegs vom Glauben ab, sondern vertieft vieles. Ich stelle mir Fragen, die ich mir ohne ihn nicht stellen würde. Und ich denke, das ist umgekehrt auch so. Es gibt also Gemeinsames, obwohl wir in wesentlichen Punkten nicht einig sind. Das ist für mich ein wesentliches Indiz für eine tiefe Freundschaft – trotz der in Teilen nicht vorhandenen Wertegemeinschaft.

„Ich trage dir das nicht nach. Ich möchte, dass wir Freunde bleiben.“

- Michael König

Gibt es Freundschaften, die Ihr Leben geprägt haben, die Ihren Werdegang vielleicht sogar mitbestimmt haben?

Ja, die gibt es. Zum Beispiel zu dem berühmten Regisseur Peter Stein, bei dessen erster Inszenierung ich noch als Schauspielstudent die Hauptrolle spielte. Wir hatten großen Erfolg und haben danach 28 Jahre einen gemeinsamen Weg bestritten – mit vielen tollen Theateraufführungen. Als ich die erste Hauptrolle gespielt habe, war ich wie ein Kind: Blauäugig, voller Leidenschaft und Träume, aber ohne Ahnung. Peter Stein wusste genau, wie alles geht. Ich habe von ihm viel gelernt. Dabei ist eine spezielle Art von Freundschaft entstanden: Eine Art väterliche Lehre. Peter war nicht dafür bekannt, besonders gütig zu sein. Er war ziemlich schwierig und knallhart, aber er war mir sehr zugewandt. Er hat mich gefordert und damit auch gefördert. Er hat mir Rollen gegeben, an denen ich reifen konnte. Ich verdanke ihm viel. Bis heute sind wir intensiv verbunden. Solche Freundschaften gibt es auch zu Schauspielkollegen. Zum Beispiel zu Bruno Ganz. Wir waren gemeinsam an der Schaubühne und haben beide viele Rollen gespielt. Bruno war ein ganz besonderer Schauspieler. Er war älter als ich und hatte dementsprechend mehr Erfahrung. Auch von ihm habe ich viel gelernt. Wie er sich Charakteren näherte, wie er mit Texten umging. Auch aus dieser Zusammenarbeit entwickelte sich eine Freundschaft, eine tiefe Verbundenheit.

Wann haben Sie Freundschaft besonders gespürt oder vielleicht sogar gebraucht?

Es gibt eine Geschichte in meinem Leben, die hätte fast eine Freundschaft gekostet. Die Person steht mir immer noch sehr nahe, obwohl sie mir – materiell gesehen – Furchtbares angetan hat. Ich stand damals kurz vor der privaten Insolvenz. Ich war fassungslos, weil ich es nie für möglich gehalten hätte, dass mir das mit diesem Menschen passiert. Ich habe gekämpft und gebetet. Durch das Gebet wusste ich, ich muss vergeben. Also bin ich hingefahren. Meine Knie haben gezittert. Alles in mir hat geschrien: „Mach das nicht! Nein, nein, überleg, was dir dieser Mensch angetan hat!“ Ich bin hin und hatte das Gefühl, ich kann nicht vergeben. An der Tür habe ich dann gesagt: „Ich trage dir das nicht nach. Ich möchte, dass wir Freunde bleiben.“ Daraus ist Segen entstanden. Heute hat die betreffende Person ihr ganzes Leben in den Dienst des Glaubens gestellt. Wir haben eine Freundschaft, die man sich besser nicht wünschen kann. Die Vergebung, die mir anfangs so schwergefallen ist, hat viel Gutes entstehen lassen. Da habe ich Freundschaft in intensiver Weise gespürt und gemerkt, was für eine ungeheure Kraft Freundschaft hat, wie wichtig sie im Leben ist, und wie wichtig Vergebung in einer Freundschaft ist. Wir sind unvollkommene Menschen. Jeder begeht hin und wieder leichte oder schwerere Vergehen. Deshalb ist es wichtig, dass wir verzeihen lernen. Wenn ich etwas in mir herumtrage, entsteht Groll. Daraus entwickelt sich Misstrauen. Dann entstehen Verletzungen, bei mir selbst und beim Gegenüber. Wer nicht verzeiht, schadet letztlich sich selbst.

Spielt Religion eine Rolle in Ihren Freundschaften? Prägt der Glaube Ihre Freundschaften?

Absolut. Ganz entscheidend. Das heißt nicht, dass der Glaube für mich Voraussetzung für eine Freundschaft ist. Natürlich spreche ich mit meinen Freunden darüber, weil der Glaube für mich die wichtigste Sache in meinem Leben ist. Ich habe auch noch nie verborgen, dass ich katholisch bin und dass ich Freude am Glauben habe. Glaube ist das größte Geschenk, das ich je bekommen habe. Das versuche ich klar zu machen, ohne dies in irgendeiner Weise zu einer Bedingung zu machen.

Glaube selbst hat für mich viel mit Freundschaft zu tun. Ich habe ja vorhin gesagt: Sich auf jemanden vollkommen verlassen zu können, egal in welcher Situation man ist, das macht für mich Freundschaft aus. Deswegen ist mein allerbester Freund der Herrgott. Jesus Christus und seine Mutter Maria sind für mich die wichtigsten Freunde. Ihre Freundschaft ist frei von jedem Zweckdenken. Sie sind vollkommen frei in ihrer Liebe und Zuwendung. Ich muss dafür nichts tun. In dieser Beziehung können sich Liebe und Freundschaft vollkommen frei entfalten.

„Die Menschwerdung Gottes ist für mich der absolute Inbegriff von Freundschaft. Im Leben Jesu vereinen sich Liebe und Freundschaft. Wer Liebe und Freundschaft erfahren will, dort ist sie.“

- Michael König

Freundschaft zu Gott, gibt es das? Wie muss man sich das vorstellen?

„Ecce homo – Jesus! Da, seht ihn euch an, den Menschen!“, heißt es im Evangelium, als Jesus vor Pilatus steht. Jesus Christus ist Gott und Mensch. Er ist der Mensch, der wir sein sollen. Und er hat uns gesagt: „Ich nenne euch nicht mehr Knechte, sondern Freunde.“ Jesus betrachtet uns als seine Freunde. In ihm begegnet uns Gott auf Augenhöhe. Die Menschwerdung Gottes ist für mich der absolute Inbegriff von Freundschaft. Im Leben Jesu vereinen sich Liebe und Freundschaft. Wer Liebe und Freundschaft erfahren will: Dort ist sie! Ohne jede Bedingung, ohne irgendeine Grenze! Es kann sein, was will, er verlässt dich nicht. Bei ihm bist du aufgehoben, geborgen, von Liebe aufgefangen. Das berühmten Gleichnis „vom verlorenen Sohn“ zeigt, was Liebe und Freundschaft für Gott bedeuten. Deswegen ist Gott für mich der bedeutendste Freund. Auf ihn kann ich vollkommen vertrauen. Er ist immer für mich da. Das ist das Schönste, was es gibt.

Haben Sie das immer so gesehen? Dann hätten Sie ja vielleicht auch Priester werden können und nicht Schauspieler. Haben Sie so etwas wie eine Berufung verspürt?

In der 68er-Bewegung bin ich in einem Kollektivaustritt der Schaubühne sogar aus der Kirche ausgetreten. Nach meinem Austritt habe ich zwar nie etwas gegen die Kirche gesagt, aber der Glaube spielte keine Rolle mehr. Aus heutiger Sicht bin ich den ganzen sozialistischen Flusen der 68er aufgesessen. Und zwar lange Zeit. Als ich das erkannte, habe ich eine Art geistigen Zusammenbruch erlebt. Ich habe dann wieder zum Glauben gefunden und bin – gemeinsam mit meiner Frau – wieder in die katholische Kirche eingetreten. Nicht einfach so, sondern nach langer und gründlicher Beschäftigung. Was wir vorfanden, war nicht das, was wir uns vorgestellt hatten. Uns fehlte das Heilige. Mir war wichtig, Nachfolge Christi wirklich ernst zu nehmen und mein Leben vom Glauben bestimmen zu lassen. In dieser Zeit habe ich nach Hilfe und Orientierung gesucht und in sogenannten Beichtgesprächen leider auch fürchterliche Erfahrungen gemacht.

Das war sehr enttäuschend. Ich habe dann autodidaktisch Theologie studiert und bin unendlich dankbar für die Begegnung mit Priestern und Laien, die mich gelehrt haben, dass man in ganz gewöhnlichen Lebensumständen sein Leben heiligen kann. Auch mit Familie und fünf Kindern. Das könnte man als Berufung bezeichnen. Eine Priesterberufung hatte ich nicht.

Ohne Liebe keine Freundschaft, ohne Freundschaft keine Liebe

Sie haben von Ihrer Frau und Ihren fünf Kindern gesprochen. Gibt es Freundschaft unter Ehepartnern? Können Eltern auch Freunde ihrer Kinder sein?

Und wie! Ich kann mir nicht vorstellen, die Liebe zu meiner Frau zu definieren und Freundschaft dabei auszuklammern. Nein, ausgeschlossen! Ich kann mit ihr über alles sprechen. Wenn es mir schlecht geht, brauche ich gar nichts sagen. Dann ist sie schon da. Das gilt auch umgekehrt. Von vielen anderen Paaren in meinem Bekanntenkreis kenne ich das genauso. Und natürlich kommen meine Kinder gleich nach meiner Frau. Ich habe das Gefühl, dass mich eine tiefe Freundschaft mit meinen Kindern verbindet. Auch wenn sich das im Alltag nicht immer zeigt. Jedes meiner Kinder geht seinen Weg. Freundschaft zu ihnen bedeutet vielleicht auch, als Eltern nicht immer gleich seinen Senf dazu zu geben. Man muss als Freund nicht immer aktiv sein. Manchmal heißt Freundschaft auch, im richtigen Moment den Mund zu halten.

Heute suchen viele nach echter Freundschaft – gerade junge Menschen. Was raten Sie?

Habt keine Angst, macht euch keine Sorgen, ob ihr morgen den richtigen Freund oder die richtige Freundin findet. Ihr werdet sie oder ihn finden. Betreibt keine Nabelschau. Sucht bei euch selbst nicht nach dem womöglich Unvollkommenen. Als junger Mensch will man sich selbst finden. Man will wissen, wer man ist. Das ist richtig und wichtig. Versucht dabei aber auch immer wieder hinzuhören und hinzusehen. Nehmt die Menschen um euch herum wirklich wahr. Nehmt euch Zeit, um herauszufinden, wer euch da gegenübersteht. Was euch an ihm gefällt und was euch anzieht. Der Mensch braucht Zeit für Zuneigung, Freundschaft oder Liebe. So etwas muss wachsen. Das schlägt nicht ein wie ein Blitz. Das gibt es zwar, ist aber selten. Das Wichtigste ist, jemanden zu haben, dem man alles erzählen kann und für den man ganz da ist. Dafür muss man wissen, wer man ist. Wenn man das weiß, ist das „ganz da“-Sein toll. Auch die Suche danach ist toll. Aber es braucht seine Zeit. Deswegen: Mit Gelassenheit und Ruhe zunächst sich selbst und dann den anderen von Grund auf kennenlernen. Das ist spannend. Und es ist eine große Freude, wenn man spürt: der Weg hat sich gelohnt.