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Ausgabe 06 Freundschaft

Vertrauen verleiht Flügel

Vertrauen verleiht Flügel - Grandios christliches Magazin

Lesedauer: ca. 10 Min.

Autor: Markus Reder | Foto: Bernhard Spöttel

Vertrauen verleiht Flügel

Warum Greifvögel zum Beziehungscoach taugen und Geier prima Typen sind. Ein Besuch bei Falkner Gunter Hafner auf Schloss Rosenburg.

Der Mann hat nicht nur einen Vogel. Es sind gleich um die 50. Und wir reden nicht über Meisen, Kanarien oder Wellensittiche. Hier über dem Altmühltal, hoch droben über Schloss Rosenburg, ziehen Adler, Geier und Falken majestätisch ihre Kreise. Den letzten Anstieg zum Falkenhof geht es zu Fuß hinauf. Anders kommt man nicht zur Rosenburg. Wer ihr altes Holztor durchschreitet und eintritt, steht in einer mittelalterlichen Burganlage. Schön wie gemalt, aber real. Was, wenn diese mächtigen Mauern reden könnten? Wahrscheinlich würden sie von edlen Rittern, schönen Frauen und einer jahrtausendealten Tradition erzählen: von der Falknerei.

Schöne Frauen und schnelle Falken

Anfang des zwölften Jahrhunderts wurde die Rosenburg erbaut. Die Grafen von Riedenburg schufen sich mit ihr ein prachtvolles Domizil. Minnesänger umwarben hier die Schönheiten ihrer Zeit. Aber der Adel pflegte auch die Kunst der Falknerei. Genau dafür ist die Rosenburg noch heute bekannt. Da die Burgmauern nicht mit uns reden, haben wir uns mit Gunter Hafner verabredet. Seit rund 30 Jahren ist er hauptberuflich Falkner. Hafner ist ein Meister seines Fachs und ein Experte, wenn es um die Beziehung zwischen Mensch und Tier geht. Nur handelt es sich in seinem Fall nicht um possierliche Meerschweinchen, verspielte Katzen, treue Hunde oder anmutige Pferde, sondern um wilde, freiheitsliebende Raubtiere: um Greifvögel. Zu diesen hat Hafner ein außergewöhnliches, geradezu inniges Verhältnis.

Da steht er, inmitten des Burghofes. Braungebrannt, die blonden Haare zum Zopf gebunden, dunkle Sonnenbrille. Es ist Flugvorführung. Seinen ledernen Falknerhandschuh über die linke Faust gestreift, lässt Hafner „seine Vogerl“ fliegen. „Die Vogerl“, wie er sie nennt, flößen gehörigen Respekt ein. Wenn ein Geier mit bald drei Meter Spannweite auf einen zukommt, wird einem anders. Mit seinen mächtigen Schwingen gleitet ein Weißkopfseeadler dicht über die Köpfe des Publikums. Man spürt seinen Flügelschlag und zuckt unwillkürlich zusammen. Hafner ist bei alledem die Ruhe selbst. Mit Fachwissen und Humor erklärt er Flug- und Jagdverhalten seiner Greifvögel und sie führen genau das vor.

Geduld, Geduld! Druck macht alles kaputt

„Wie ist es möglich, Vögel so abzurichten?“, wollen wir nach der Flugvorführung wissen. Hafner legt die Stirn in Falten. „Damit kein Missverständnis entsteht: mit Dressur hat Falknerei nicht das Geringste zu tun. Hier springt kein Tier durch den Feuerreifen oder fährt mit dem Fahrrad durch die Manege! Wir zeigen ausschließlich das, was dem Wesen des jeweiligen Vogels entspricht“, betont er. Ein Tier sei ein Tier. Das müsse es auch bleiben dürfen, sonst werde man ihm nicht gerecht. Der Respekt vor diesen Kreaturen gebiete es, sie nicht in menschliche Kategorien zu zwängen. „Sie müssen ihr ureigenes Wesen entfalten können. Genau darum geht es in der Falknerei.“

„Aber wie macht man das? Wie werden gewaltige Greifvögel so zutraulich, dass sie im wahrsten Sinne des Wortes aus der Hand fressen?“, fragen wir nach. „Vertrauen ist die Basis von allem“, antwortet Hafner. „Damit Vertrauen wachsen kann, braucht es Geduld. Zwischen Falkner und Vogel findet ganz allmählich ein Beziehungsaufbau statt. Am Anfang steht ein dünnes Band des Vertrauens, das mit der Zeit fester wird. Mit den Jahren vertieft sich die Beziehung. Es entwickelt sich eine Art Band der Freundschaft.“

Anfangs ist die Beziehung zwischen Vogel und Falkner besonders störanfällig. „Druck auszuüben schädigt maximal. Der geringste Druck und alles wäre vorbei. Auf der Faust des Falkners darf dem Vogel nichts Negatives passieren. Der Vogel würde sich sofort verweigern.“ Adler haben ein enormes Langzeitgedächtnis. Macht ein Falkner in der Kennenlernphase Fehler, merken sie sich das ein Leben lang. Deshalb ist Sensibilität für einen Falkner sehr wichtig.

Kleine Kratzer, fette Beute

„Um das Vertrauen eines Vogels zu gewinnen, muss ich mich ganz auf ihn einlassen und ihm die Möglichkeit geben, mich in aller Ruhe kennenzulernen. Ich muss versuchen, mich in ihn einzufühlen. Wie ist sein Charakter? Welche Eigenheiten hat er? Ist er schüchtern, ängstlich, neugierig? Natürlich gibt es arttypisches Verhalten. Doch jeder Vogel ist anders. Das ist wie bei uns Menschen.“

Je besser sich Falkner und Vogel kennenlernen, desto mehr weicht die Scheu. „Der Vogel beginnt mir zu vertrauen und ich kann dem Vogel mehr und mehr vertrauen. Wenn ich dann einen Fehler mache oder von Seiten des Vogels etwas schief läuft, kann es schon mal Kratzer geben. Aber das ist nicht mehr so schlimm. Wenn es bereits eine Basis des Vertrauens gibt, verzeiht man sich das.“

Kratzer? Ein Steinadlerweibchen mit einer Spannweite von mehr als zwei Metern bringt bis zu sieben Kilogramm auf die Waage. Mit ungeheurer Kraft bohrt es seine Fänge in den Körper eines Tieres, das es erbeutet. Selbst Wölfe sind da nicht sicher. Aber bei Hafner sitzen solche Großgreife seelenruhig auf der Hand und schauen, als wollten sie sagen: „Hey, Gunter, schön, dass ich bei dir sein darf!“

„Wir binden sie an uns, indem wir ihnen jeden Tag die Freiheit schenken.“

Sie kennen mich genau und ich kenne jeden von ihnen“, sagt Hafner. Mit vielen seiner Greifvögeln ist er seit Jahren verbunden. Mit manchen arbeitet er seit Jahrzehnten. Adler können über 20 Jahre alt werden, Geier über 50. Die meisten seiner Vögel stammen aus der Zucht. Andere wurden ihm gebracht, weil sie verletzt oder in schlechtem Zustand waren. Dann braucht es viel Feingefühl.

Er habe Vögel erlebt, die so desolat gewesen seien, dass sie nicht mehr fliegen konnten, berichtet der Falkner. „Ihnen hat das ,Selbstvertrauen‘ gefehlt, als Vogel leben zu können. Sie zu bestärken, dass sie wieder aufsteigen, das zählt zu unseren Aufgaben als Falkner.“ Voraussetzung dafür ist intensive Beziehungsarbeit. „Wann sich bei einem Vogel die Bindung zum Falkner einstellt, wissen wir nicht. Sie sprechen ja nicht mit uns. Aber sie stellt sich ein. Das kann man an ihrem Verhalten ablesen“, sagt Hafner. „Wie lange das dauert, lässt sich nicht verallgemeinern. Es kann Monate dauern. Wichtig ist, das man nichts überstürzt und bei allem, was man tut, dem Wesen des Tieres gerecht wird. Man muss sie so fliegen und jagen lassen, wie sie es in freier Wildbahn tun.“

Genau das zeigt Hafner in den Flugvorführungen. „Aber warum fliegen die denn nicht weg? Sie hätten doch jederzeit die Möglichkeit dazu?“, ist eine der Fragen, die ihm immer gestellt werden. „Wir binden sie an uns, indem wir ihnen jeden Tag die Freiheit schenken“, antwortet Gunter Hafner dann. 1.000, 2.000 Meter trägt die Thermik den Adler noch oben. Nur noch als winziger Punkt ist er zu sehen, ehe er für das menschliche Auge ganz verschwindet. Aber der Adler erkennt von da oben seinen Falkner. Und auf den Schwingen der Freiheit kehrt er immer wieder zu ihm zurück. Das Band, das die beiden verbindet, ist viel fester als der kleine Lederriemen, den Hafners Greifvögel an ihren Füßen tragen. Es besteht aus Vertrauen und Freiheit.

Wenn die Geier kreisen

Die Bindung eines Greifvogels an seinen Falkner kann sehr eng sein. „Das geht bis zur ,Einehe‘“, erklärt Hafner und lacht. „‚Einehe‘ in dem Sinne, dass der Vogel eine feste, lebenslange Bindung an einen Menschen eingeht. Eifersucht eingeschlossen.“ Eine besondere Beziehung zu ihm hatte Mönchsgeierweibchen Rochus. „Nach einem Unfall lag ich im Krankenhaus. Da stieg der Geier auf, um mich zu suchen. Jede Nacht wurde sie auf einer anderen Burg gesichtet“, erinnert sich Hafner. „Sie hatte im Falkenhof ihre Unterkunft und ihre Verpflegung. Sie kannte auch die anderen Kollegen, aber sie hat mich gesucht. Als ich wieder daheim war, hat sie die Suche sofort eingestellt.“ Ein Geier, der seinen Falkner sucht und ein geradezu freundschaftliches Verhalten an den Tag legt? Ausgerechnet ein Geier. Sind das nicht Wappentiere des Todes? Hafner winkt ab. „Der Tod ist Bestandteil unseres Lebens. Nur will ihn jeder verdrängen. Aber so sehr wir das auch tun, der Tod bleibt fester Bestandteil unseres Daseins. Geier sind die ältesten Greifvögel überhaupt. Wenn sie uns aufgrund ihrer symbolischen Bedeutung daran erinnern, dass der Tod zum Leben gehört, leisten sie uns gewissermaßen einen Freundschaftsdienst.“

Vögel verstellen sich nicht

Was man von seinen Greifvögeln sonst noch über Beziehungspflege und Freundschaft lernen könne, wollen wir wissen. Hafner zögert. Sein Blick wandert hinüber zu seinen Adlern. Im Grunde ist das Wesentliche längst gesagt: sich Zeit nehmen, um einander richtig kennenzulernen. Sich in den anderen einfühlen, um auch dessen Eigenheiten zu verstehen. Keinen Druck ausüben, sondern sich mit gegenseitigem Respekt und in Freiheit begegnen. Einander wirklich vertrauen können: Das stiftet Beziehung und festigt Bindung. So lassen sich auch Fehler leichter verzeihen. Du meine Güte: Was die Vögel da vermitteln, hätte auch ein Beziehungscoach kaum besser sagen können. Dann kommt Falkner Hafner doch noch ein Gedanke. Vor allem könne man von den Vögeln etwas über sich selbst lernen, sagt er. „Sie halten mir jeden Tag den Spiegel vor. Wenn ich gestresst oder schlecht drauf bin, reagieren sie sofort darauf. Die nehmen jede Kleinigkeit wahr und zeigen mir das.“ Mit einem Lächeln fügt Günter Hafner hinzu: „Im Unterschied zum Menschen spielen einem Vögel nichts vor. Die sind sehr direkt. Sie verstellen sich nie. Sie sind ehrlich.“ Nein, der Mann hat keinen Vogel. Er kennt sich aus mit Vögeln und er weiß um die Menschen.