Autor: Arno Dietsche | Illustration: Dall E
Gesichter der Liebe
Das Gesicht ist für uns Menschen der bedeutsamste Bezug zur Welt. Bestimmte Regionen im Gehirn sind nur dafür da, die Mimik anderer Menschen und Lebewesen zu verstehen. Wir suchen immer nach anderen Menschen, denen wir angehören oder denen wir zugehören können. Dies ist immer schon eine Notwendigkeit des schlichten Überlebens gewesen. Sterben Familienmitglieder oder Freunde, so verlassen uns ihre Gesichter nie. Wir leben mit ihnen weiter, die Liebe zu ihnen bleibt, und ihr Gesicht vor unseren inneren Augen verblasst nicht.
Der Religionslehrer einer Schule hat in Zusammenarbeit mit der Caritas ein Projekt gestartet, in dem die Schüler alleinstehenden alten Menschen die Einkäufe besorgen. Nach wenigen Wochen waren die Mehrzahl der Jugendlichen stolz auf sich. Sie haben die Botschaft in den Gesichtern der alten und oft einsamen Menschen lesen können, und verstanden, dass nur eine Welt mit Engagement für den Nächsten ein Gesicht hat.
Im Pflegeheim zu leben und auf die Zuwendung von „Pflegepersonal“ angewiesen zu sein, ist für viele, die sich ihrer Hilflosigkeit schämen, eine tief irritierende Zeit am Ende eines oft aktiven und erfüllten Lebens. Diese letzte Lebensphase wird durch die Pflegenden „gerettet“. Es braucht Gesichter der Zuneigung, die den Hilfebedürtigen zeigen, dass jeder Tag lebenswert ist, dass das Leben selbst jetzt noch Sinn hat und Würde behält.
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge haben oft jahrelang keinen Kontakt mehr zu ihren Eltern. Viele von ihnen sehnen sich dann nach einem vertrauten Gesicht im neuen Land, das ihnen nach der Flucht Halt und Hoffnung geben kann. Hunderte von deutschen Freiwilligen schenken diesen jungen Neuankömmlingen ihre Aufmerksamkeit und Zuwendung, und helfen ihnen so durch den noch unbekannten Alltag zu finden. Diese Ehrenamtlichen sind für die Gestrandeten das Gesicht einer neuen Heimat.
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