Skip to main content
Ausgabe 04 Freiheit

„Ich bin nur ein Medium meiner Musik“

Lesedauer: ca. 4 Min.

Autor: Tobias Liminski | Fotos: Bernhard Spoettel

„ICH BIN NUR EIN MEDIUM MEINER MUSIK“

Wenn Lorenz Kellhuber Freiheit in ein Musikstück fassen müsste, bekämen wir ein leeres Notenblatt zurück. Kein Notenschlüssel, keine Noten. Nur der Titel stünde darauf: ,Spiel’, was in Dir erklingt‘. „Entscheidend ist das Gehör“, sagt einer der besten Jazz-Musiker des Landes. „Und die Fähigkeit, alles, was Dich ablenkt auszublenden. Wer das beherrscht, ist frei.“

Lorenz Kellhuber wirkt erstaunlich aufgeräumt, als wir ihn zum Interview treffen. In sich ruhend, mit sich und seinem Leben im Reinen. Der Mann weiß, was er will. Vor allem aber, was er nicht will. „Dieses Entertainment, dieses schnelle Leben, was wir durch Social Media etc. einfach haben – es passiert so viel die ganze Zeit. Eigentlich vergisst man immer wieder, sich auf das Wesentliche zu besinnen und zu fragen: was brauche ich denn wirklich? Wie will ich mein Leben gestalten? So, dass ich frei bin. Dazu brauche ich nicht viel.“

Minimalismus – Eine Entscheidung für „weniger ist mehr“

Lorenz Kellhuber ist Minimalist. Keine Muster im Hemd, keine Logos auf der Kleidung. „Punkte und Karos engen ein, lenken ab“, sagt der 28-Jährige. „Ich brauche nicht viel zum Leben. Die meisten brauchen weniger als sie denken, und das ist es, was Minimalismus für mich ausmacht. Das Wesentliche vor Augen. In mir drin.“ Der Lebensstil passt zur Musik: „Das Gefühl Musik zu machen, Musik im Kopf vorzuhören, das trägt man immer in sich. Letztlich brauche ich nicht einmal ein Instrument, um Musik zu machen.“ Für seine Art von Musik braucht Kellhuber nur seinen Kopf. Einen freien Kopf. Denn hier hört und kreiert, spielt er die Musik, die dann aus ihm erklingt.

Mode und Lebensstil sind eindeutig definiert. Klare Linie, ein Highlight. Der Pulli strahlt gelb-orange. Auch seine Augen leuchten, als wir ihn fragen, was seine Musik freier macht. „Die Musik gibt mir die Freiheit zu tun, was ich will. Nicht nur beim Spielen, sondern in jeglicher Hinsicht im Leben. Ich richte mich zwar nach der Musik, aber die Musik hat so einen Mehrwert und so etwas Erfüllendes für mich. Egal was ich mache, ich trage die immer in mir und gestalte dann dementsprechend meinen Alltag, und das ist für mich meine Freiheit. Und freies Improvisieren ist insofern freier, weil man in dem Moment wirklich erst entscheidet, wo man hingeht, welchen Weg man einschlägt. Wenn ich Literatur- oder auch Jazz-Stücke spiele, wo Harmonien vorgegeben sind, dann kann ich mir immer nur anhand der Harmonien oder der Vorgaben die Freiheit nehmen, aber ich muss mich immer auf das Vorgegebene beziehen. Wenn ich komplett aus dem Moment heraus spiele, es quasi passieren lasse, dann bin ich meiner Meinung nach frei. Dann gibt es keine musikalischen Grenzen.“

„Mich hat die Heirat frei gemacht“ – Wer sich entscheidet, verpflichtet sich auch

Wer heiratet, enge sich ein, sagt der Volksmund. Für Lorenz Kellhuber gilt das nicht. Bei ihm funktioniere das anders. Seine Frau habe gelernt, dass sie sich „seine Liebe mit der Musik teilen“ müsse, lacht Lorenz. „Spaß beiseite, mich hat die Heirat auf jeden Fall frei gemacht. Sie ist natürlich auch Verpflichtung. Man hat Verpflichtungen dem anderen gegenüber und muss dann auch manchmal einen Kompromiss machen. Dieses berühmte Wort: Kompromiss. Ist das jetzt gut oder schlecht? Für mich und meine Frau ist das gut.“ Lorenz Kellhuber verliert auch hier nicht viele Worte. Viel lieber schafft er Fakten, regelt. Ordnet die wichtigen Dinge im Leben. Er bindet sich. Verpflichtend. Setzt die Qual der Wahl, das ewige Suchen nach dem vielleicht noch perfekteren Partner, bei dem man noch weniger Kompromisse eingehen muss, vor die Tür. Das macht ihn frei. Schafft Platz und Energie für die perfekte Gestaltung seiner Entscheidungen.

Babies don’t come from babies, it’s like music doesn’t come from music.

Er lernte von den ganz Großen seiner Zunft, um sich am Ende von ihnen loszusagen. „Irgendwann muss man seinen eigenen Weg gehen. Im besten Fall will man das. Und dann muss man auch ganz bewusst entscheiden: Jetzt ist gut, ich höre nicht mehr acht Stunden am Tag Miles Davis, ich fange jetzt an, selber zu komponieren, zu schreiben, mache mein eigenes Ding.“ Heute hört er seine eigenen Melodien. Nimmt Alben auf und spielt reihenweise Konzerte.

„‘Babies don’t come from babies, it’s like music doesn’t come from music’, hat Keith Jarrett einmal gesagt. Er hat recht. Musik, die ich mir anhöre und nach der ich suche, kann immer wieder eine Inspiration sein. Aber letztendlich, das was aus mir spricht, das ist das Wichtige. Meine Stimme, die ich dann versuche aus mir rauszulassen. Das ist es, was man fördern sollte.“ Lorenz lächelt. Er weiß, dass der Vorsatz leichter gesagt ist, als getan.

Die Welt im Herzen – In der Hochschule zu Hause

Weil er das weiß, lehrt er es. An der Regensburger Hochschule für katholische Kirchenmusik und Musikpädagogik, kurz HfKM. Seinem „Wohnzimmer“ wie er sagt. Keine 30 Jahre und trotzdem zählt Kellhuber schon zu den begnadetsten Freestyle-Jazzmusikern Deutschlands. In Endorf bei Regensburg als einer von zwei Söhnen zweier Kirchenmusiker aufgewachsen, zog er mit 16 hinaus in die weite Welt, um sich voll und ganz der Jazz-Musik zu widmen. Dem freien Improvisieren. Erst hier, in New York und Berlin, wo Kellhuber zusammen mit weiteren Künstlern das freie Improvisieren perfektionieren kann, fühlt er sich wohl. „Wer darf das schon? Der Schritt war für mich enorm wichtig. Musiker zu treffen, die auf einem ganz anderen Level sind als man selbst. Sich mit denen auszutauschen und Musik zu machen, eigene Bands zu gründen, der Unterricht an der Hochschule, dort und am Jazzinstitut Konzerte zu hören, das alles prägt, lässt Dinge frei und gibt Freiraum, sich zu entwickeln. Das hat mich in meiner Freiheit, bei dem was ich machen will, inhaltlich und künstlerisch, wo ich hin will, doch sehr geprägt und gefördert. In jeglicher Hinsicht.“ Diese Möglichkeiten, diese Freiheiten, die ihm das Leben, seine Eltern boten, will er weitergeben.

Was aber sagt ein Dozent seinen Studierenden, die kaum jünger sind als er? Wie geht ein Improvisationskünstler vor? „Eigentlich übernimmt der Körper. Man lässt das im besten Fall passieren, lässt sich selber von der Musik überraschen. Die Musik lenkt. Man sollte nicht zu viele eigene Emotionen mit einbringen, sondern die Musik sprechen lassen. Eigentlich bin ich nur das Medium für die Musik, und die Musik spricht aus mir und meinem Instrument, dem Flügel in meinem Fall.“ Medium, das die Gefühle der Musik transportiert. Wann ist man dann ein gutes, oder sehr gutes Medium? „Ich glaube, es gibt keine Kriterien, wonach man das bewerten kann. Es gibt die Momente, die einen berühren. Die das Publikum berühren, den Musiker berühren.“

Wenn man Lorenz Kellhuber zuhört, wird man das Gefühl nicht los, dass es doch eine ganz wesentliche Regel, ein ganz wesentliches Kriterium gibt. Nur, wer in sich ruht, im Einklang mit sich selbst ist, nur wer seine Entscheidungen mit Leben füllt, der ist wirklich in der Lage, Emotionen einzuordnen und damit frei, um ein Medium für freie Improvisationsmusik zu sein.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden