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Redaktion: Kirstine Fratz I Illustrationen: Arno Dietsche

Klamotten statt Worte

Kleider machen immer noch Leute. Aber die Fashion-Industrie hat sich radikal gewandelt. Der Kunde kauft nicht mehr Image, sondern Identität. Man trägt nicht einfach Mode, sondern setzt Statements. Kleidung hat sich als stumme Sprache durchgesetzt. Provokationen inklusive.

Könige im Hermelin, Bauersleute in Lumpen und Stars in Designerklamotten. Kleider machen bekanntlich Leute, und diese Einheit von Stoff und Identität ist eine historische Größe. Die Idee, dass die äußere Erscheinung etwas über Stand, Status und damit über Identität aussagt, ist tief in unserer Kultur verwurzelt und findet im Wandel der Zeit immer wieder neuen Ausdruck.

Damals wie heute gibt es Zwänge, die eigene Identität einzukleiden. Heute entscheidet darüber nicht mehr die Geburt. Dafür gibt es andere Instanzen mit Entscheidungshoheit darüber, was den richtigen Look ausmacht und was nicht. Die Medienlandschaft bietet eine Fülle von Vorlagen, die Nachahmer suchen. Man kann Designern, Trends oder Influencern followen und dabei versuchen, eine gute Figur zu machen. Oder man sucht sich eine der zahlreichen Peergroups und Cliquen aus und passt sich äußerlich an, um dazuzugehören. Zugehörigkeit stiftet Identität. Andererseits: Oft geht das mit strengen Modegeboten einher. Der Wunsch dazuzugehören, kann zum Gruppenzwang werden, der die eigene Identität regelrecht verkleidet. Zwänge, sein Ich entsprechend zu kleiden, gibt es nach wie vor genug. Doch sie sind nicht mehr so starr wie einst. Sie sind in Bewegung. Damit entstehen neue Chancen.

Image sucht Identity

Der eigene Look gibt nicht nur Auskunft darüber, wie wir uns selbst sehen und wo wir uns zugehörig fühlen. Er verrät auch, wie wir von anderen wahrgenommen werden möchten. Zumindest was den Kleidungsmarkt angeht, darf heute jeder nach Herzenslust an seinem Image feilen, bis es zur eigenen Identität passt. Völlig losgelöst von Geburt und Stand. Selbst Geld ist nicht mehr so entscheidend. Kreativität und Stil sind wichtig.

Die Fashion-Industrie hat sich radikal gewandelt. Einst waren es Image-Welten, an denen man durch Konsum teilhaben durfte. Nun ist die Industrie bemüht, jeden Kunden kennenzulernen, um dessen persönliche Identität stilgerecht einzukleiden. Markenlogos reichen nicht mehr für den guten ersten Eindruck. Früher war ein Komplett-Outfit von Gucci, Boss und Co noch ein echtes Identitäts-Statement. Sich heute von Kopf bis Fuß in Boss oder Supreme zu kleiden, signalisiert lediglich, wenig kreativ zu sein.

Die eigene Identität modisch zum Ausdruck zu bringen, ist heute eine Frage persönlichen Stils. Was in den 90er Jahren begann, als jeder, der etwas auf sich hielt, Turnschuhe zum Anzug trug und H&M mit Prada mixte, gewinnt weiter an Dynamik. Der Umgang mit Mode ist zum individuellen Spiel mit Image und Identität geworden. Der Fashion-Kunde entwickelt sich vom Image- zum Identitäts-Shopper. Nur gelingt das nicht immer auf Anhieb.

Fehlkäufe, Moden, die nicht zu einem passen, nicht genug Geld für die Lieblings-Schuhe und das Gefühl, mit den falschen Jeans auf dem Schulhof zu stehen, kennt jeder mehr oder weniger. Mit der modischen Freiheit kommt die Scham, sich schlecht ins rechte Licht gesetzt zu haben – sowohl analog als auch digital. Ein Gefühl, das die Entfaltung der eigenen Identität ganz schön erschweren kann.

Die neue Freiheit ist eine Herausforderung. Wie und woran kann man sich orientieren? Sag mir, wer Du bist, und ich sage Dir, was zu Dir passt: Die eigene Identität stimmig einzukleiden, entwickelt sich zum neuen Beratungsthema. Die Fashion-Industrie ist wild entschlossen, ihren Kunden diesbezüglich beizustehen.

Kleiner Einblick gefällig? Bitte sehr: Der Identitäts-Shopper wird vor virtuelle Spiegel gestellt. Die zeigen an, wie sich ausgesuchte Artikel mit anderen Sachen kombinieren lassen. Der virtuelle Spiegel kommuniziert dann mit dem Smartphone und dem virtuellen Kleiderschrank des Kunden. Der virtuelle Kleiderschrank wiederum speichert gekaufte Artikel. Anschließend recherchiert er bei verschiedenen Marken, was sonst noch passen könnte. Er macht Vorschläge und berät, wie sich der eigene Stil erweitern lässt. Fehlkäufe und textile Identitäts-Störungen gehören damit der Vergangenheit an. Zukunftsmusik? Von wegen. Das gibt es längst. Etwa beim AI-Concept-Store des Internetriesen Alibaba in Hongkong. In New York hat das Label Nordstrom einen neuartigen Coaching-Tempel für identitätshungrige Fashion-Kunden eröffnet. Der Laden bietet das Rundum-sorglos-Paket in Sachen „wer bin ich?“ und „was ziehe ich an?“. Noch bevor man das Geschäft betritt, kann man den Service eines persönlichen Stylisten in Anspruch nehmen. Dieser kreiert ein individuelles „Styleboard“ mit Fashion-Vorschlägen und schickt es einem aufs Handy. Via App kann man die Vorschläge mit dem Stylisten diskutieren. Die getroffene Auswahl wartet anschließend in der reservierten Umkleidekabine.

Mit Amazons „Echo Look Camera“ kann man gleich ganz zu Hause bleiben. „Echo Look“ fotografiert oder dreht kleine Videos vom heimischen Kleidersortiment und nimmt Kommentare des Nutzers dazu auf. So wird der jeweilige Kleidungsstil analysiert und katalogisiert. „Echo Look“ schlägt neue, passende Styles vor und erklärt, was am besten zum Typ des Users passt. Man steht in Zukunft also nicht mehr alleine vor Schrank und Spiegel, wenn man sich individuell kleiden und gut dastehen will. Aber steht man so auch für etwas?

Stil und Überzeugung

Neben Image und Identität kann man auch Überzeugungen tragen. Von Biobaumwolle über Fairtrade bis zur totalen Transparenz der Herstellungskette: Es gibt viele Möglichkeiten, mit seiner Kleidung die Welt zu verbessern. Daraus hat sich längst ein Lifestyle entwickelt. Ein Beispiel:„Eileen Fisher Fashion“ in Brooklyn. Im „Concept Store“ namens „Making Space“ kann nicht nur nachhaltig produzierte Kleidung erworben werden. Es gibt auch Workshops, Filmvorführungen und Ausstellungen zum Thema. Wer wissen will, wie man aus Essensresten und Blumen Textilien färbt, der wird dort schlauer.

Gutes tun, indem man sich entsprechend anzieht, liegt im Trend. Kombiniert man das mit wahrer Kennerschaft für Material und Passform, kauft man in kleinen Manufakturen ein und unterstützt lokale Designer, wird daraus ein exklusiver Stil. Wer über den Look hinaus noch viel mehr auszudrücken vermag, setzt ein besonderes Identitäts-Statement.

Mode als Kampfansage

Aber Mode will mehr. Sie will nicht nur Identität stiften, sondern Kunden vor Angriffen schützen, die deren Identität betreffen. Auch daraus wird dann wieder eine Geschäftsidee. So hat die italienische Modemarke „Diesel“ Shitstorms und Cybermobbing den Kampf angesagt. Die Kampagne „Diesel Haute Couture – the more hate you wear the less you care“ will Kunden ein tragbares Schutzschild gegen Anfeindungen aus dem Netz bieten. Auf Sweatshirts und Jacken stehen weit verbreitete Hate-Sprüche wie „Fuck You Imposter“ oder „Not Cool Anymore“. Die Idee dahinter: Entsprechende Kommentare auf der Kleidung vorwegnehmen, um online keine lohnende Zielscheibe mehr darzustellen. Mode ist eben Geschmackssache.

Kleidung als Statement, das schließt die Kunst der Provokation mit ein. So sind „Nike“-Schuhe augenblicklich nicht nur Markenartikel, sondern eine Absage an die Politik von Trump. Für seine Kampagne „Just do it“ hat „Nike” den Football-Star Colin Kaepernick verpflichtet. Kaepernick hatte sich während der amerikanischen Nationalhymne nicht hingestellt, sondern hingekniet. Er protestierte damit gegen Rassismus in Amerika. Nach seiner Ernennung zum „Nike“-Botschafter waren Trump und dessen Anhänger „not amused“. Es kam zu öffentlichen Verbrennungen von „Nike“-Schuhen und zu Boykottaufrufen.

Nicht nur dieses Beispiel zeigt: Fashion hat sich als stumme Sprache durchgesetzt. Klamotten statt Worte sozusagen. Kleidung bringt zum Ausdruck, wer man ist und wie man tickt. Was man trägt, ist nicht nur Geschmacksfrage, sondern ein Frage der Überzeugung. Damit sagt Kleidung heute viel mehr über einen Menschen aus als früher. Mode-Freiheit hat ihren Preis, aber auch ihren Wert.

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