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Ausgabe 05 Geschenk

Mutter Teresa. Ein Geschenk an die Menschheit

Lesedauer: ca. 7 Min.

Autor: Stephan Baier I Fotos: Bernhard Spoettel

EIN GESCHENK AN DIE MENSCHHEIT

Mutter Teresa eine Frau, die etwas zurückgeben wollte

Ein amerikanischer Journalist beobachtete Mutter Teresa einst dabei, wie sie einen Kranken mit üblen Geschwüren versorgte. Angeekelt soll er gesagt haben, das würde er nicht einmal für eine Million Dollar tun. Mutter Teresa lächelte: „Ja, für eine Million Dollar würde ich es auch nicht tun.“ Wofür – oder für wen – tat sie es? Was trieb diese bemerkenswerte Frau an, die mit ihrem Wirken zunächst in Kalkutta, dann in ganz Indien und schließlich weltweit zu einer Ikone der Nächstenliebe wurde? Mutter Teresa und ihre Schwestern gaben und geben nicht etwas aus ihrem Überfluss, sondern alles: die letzte Rupie, den allerletzten Sack Reis, ihre ganze Zeit, ihr ganzes Leben – ohne zu sparen, zu planen, für schlechte Zeiten zu reservieren. Klingt irgendwie unvernünftig. Wer kann so radikal geben und wegschenken? Dazu kommt noch: Mutter Teresa wandte sich gerade denen zu, die von niemandem etwas geschenkt bekommen und sich erst recht nichts kaufen können – den Ärmsten der Armen, den Weggeworfenen der Gesellschaft, den Vergessenen. Denen, die in der Finsternis leben, weil kein Scheinwerferlicht irgendeiner Öffentlichkeit auf sie fällt; denen, die oft nicht einmal Dank zurückgeben können.

Das Evangelium an fünf Fingern erklärt

Leo Maasburg weiß eine Antwort, denn der österreichische Priester durfte den „Engel der Armen“ sieben Jahre lang auf Reisen rund um den Globus begleiten. Als Reisemanager, Beichtvater, Berater und „Kofferträger“, wie er im Gespräch mit GRANDIOS selbst schmunzelnd ergänzt, stand er ihr zur Seite. Mutter Teresa sei ganz davon überzeugt gewesen, in den Ärmsten der Armen Jesus selbst berühren zu können. Nie sei sie an jemandem vorbeigegangen, den sie in Not sah. „Das war ihr einfach nicht möglich.“ Sie nahm ganz wörtlich, was Jesus laut dem Evangelisten Matthäus seinen Jüngern zu bedenken gibt: „Was immer ihr für den Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ Kindern sagte sie oft, man könne das ganze Evangelium an fünf Fingern erklären. Dann zählte sie vor: „You – did – it – to – me“ (Das habt ihr mir getan). „Für sie war die Gegenwart Jesu in den Ärmsten der Armen so real, dass sie die Volunteers in Kalkutta mit Jesus in Berührung bringen wollte, durch den direkten Kontakt mit den Armen und den Sterbenden“, sagt Pater Leo. Als Papst Johannes Paul II. einmal Kalkutta besuchte, da habe die willensstarke kleine Ordensfrau sogar ihn an der Hand genommen und persönlich zu einem Sterbenden gezogen. Dort angelangt, sagte sie: „Heiliger Vater, bitte segnen Sie ihn!“

Nur ein Gott kann so viel Freude schenken

Warum fasziniert Mutter Teresa bis heute – und zwar gerade Jugendliche, die in Scharen aus aller Welt nach Kalkutta kommen, um das einfache Leben der „Missionarinnen der Nächstenliebe“ (der Schwesterngemeinschaft, die Mutter Teresa gründete) zu teilen und den Ärmsten der Armen zu dienen? „In den Herzen der jungen Menschen brennt die Sehnsucht, etwas Großes, etwas Wesentliches für ihr Leben zu tun“, sagt Pater Leo, der viele von ihnen kennengelernt hat. „Alle sind verändert zurückgekommen. Man erlebt eine Bereicherung, wenn das Handy einmal keinen Empfang hat und man erfahren kann, warum diese Schwestern ihr Leben herschenken!“

In seinem Buch „Mutter Teresa. Die wunderbaren Geschichten“, das in mehr als 20 Sprachen erschien, erzählt Leo Maasburg von einem Mann, der das „Haus für die Sterbenden“ in Kalkutta besuchte. Nachdem er lange geschwiegen und gestaunt hatte, sagte er beim Weggehen: „Ich habe nicht an Gott geglaubt, aber jetzt glaube ich, dass es einen Gott gibt, denn nur ein Gott kann den Schwestern in einer so schrecklichen Umgebung so viel Liebe und Freude schenken.“ Sind die Schwestern Beschenkte, die etwas vom empfangenen Geschenk weiterschenken? „Kalkutta ist überall“, sagte Mutter Teresa. Niemand müsse nach Indien kommen und mit ihr durch die Slums ziehen, um Gutes zu tun.

Arme gibt es überall – sogar in den feinen Häusern der reichsten Länder. Es gibt nämlich nicht nur materielles, sondern auch soziales Elend, meint Leo Maasburg im Gespräch mit GRANDIOS. „Die größte Armut jedoch ist, wenn ein Mensch Gott nicht kennt, und nicht kennen darf.“ Darum brachte Mutter Teresa ihre Schwestern auch in den Westen, und sogar in die kommunistische, atheistisch regierte Sowjetunion. Den Widerstand der sowjetischen Behörden brach sie mit der Ansage, ihre Schwestern brächten zu jenen, die niemanden im Leben hätten, das, was der Staat ihnen nicht geben könne: „zärtliche Liebe und Fürsorge“.

Hunger nach Brot und Liebe

Mutter Teresa sagte: „Es gibt in der Welt mehr Hunger nach Liebe und nach Wertschätzung als nach Brot.“ Hinter all den Armenspeisungen, der Pflege von Leidenden und Sterbenden war die Liebe ihr eigentliches Geschenk an die Welt. Und diesbezüglich sind nicht nur die Elenden in den Slums von Indien oder Afrika arm, sondern auch viele der Mächtigen, Wohlhabenden und Prominenten. Vielleicht schrieb Mutter Teresa darum tausende Briefe an Menschen in aller Welt, um ihnen Trost und Rat, oder auch nur ein Zeichen ihrer Freundschaft zu geben. Sogar an viele Politiker. Wollte sie damit einer dunklen Zeit etwas Licht und Liebe schenken? Es gebe eine Sehnsucht im Menschen, gut zu sein, ja sich den anderen zu schenken, meint Pater Leo. „Liebe ist nur Liebe, wenn sie gegeben wird.“ Das gelte etwa in der Ehe: „Wenn ich egoistisch bin und die Liebe für mich behalten will, dann wird sie abnehmen.“ „Je mehr ich gebe, desto mehr empfange ich: das ist die Mathematik der Liebe“, erklärt Pater Leo. Und er erzählt von einem jungen indischen Hochzeitspaar, das zu Mutter Teresa kam, um ihr eine stattliche Summe für die Armen zu geben. Ihre Begründung lautete: „Wir lieben einander so sehr, dass wir die Freude des Liebens mit den Menschen, denen Sie dienen, teilen wollten.“

Die Macht der Zärtlichkeit

Mutter Teresa wusste stets, dass Gott die Menschen liebt. Aber in einem bestimmten Moment des Jahres 1947 erfuhr sie auch, dass Gott selbst sich nach der Liebe seiner Geschöpfe sehnt. Laut Johannes-Evangelium sagt Jesus am Kreuz: „Mich dürstet!“ Mutter Teresa sah in diesem Durst Jesu die Sehnsucht Gottes nach der Liebe der Menschen. Mit ihrem selbstlosen Leben für die Ärmsten der Armen, mit ihrer radikalen Zuwendung zu den Ausgegrenzten und Ungeliebten, mit ihrem Leben für die anderen versuchte sie, darauf zu antworten. Angeblich sprach Mutter Teresa nie ein negatives Wort über jemanden. „Es ist besser zu entschuldigen, als zu beschuldigen“, soll sie gesagt haben. Gerade wenn sie gelobt und gerühmt wurde, und das war in ihren späten Jahren – nachdem sie 1979 den Friedensnobelpreis erhalten hatte – oft der Fall, bezeichnete sich Mutter Teresa selbst als „Bleistift in der Hand Gottes, der gerade im Begriff ist, einen Liebesbrief an die Welt zu schreiben“. Wir Menschen müssten nur wie Rohre sein, durch die Gott etwas ausgießen kann. Und zwar (keine falsche Bescheidenheit!) ganz gleich, ob diese Rohre aus Plastik sind oder aus Gold. Jeder könne etwas weitergeben, meinte Mutter Teresa – und wenn es nur ein Lächeln ist: „Die größte Macht in der Welt ist die Zärtlichkeit, und die beginnt mit einem Lächeln.“ Darum mahnte sie ihre Schwestern: „If you don’t smile, make a smile!“ Frei übersetzt: „Wenn dir gerade nicht nach lächeln zumute ist, dann mache ein Lächeln!“ Wirkliche Liebe – davon war Mutter Teresa überzeugt – ist immer ein Geschenk, das von Gott kommt. Aber wie kommt diese Liebe beim Menschen an? Leo Maasburg erklärt: „Wir brauchen Heilige als Kanäle der Liebe Gottes. Sie machen für uns die Liebe Gottes fühlbar, greifbar.“

Kleine Dinge mit großer Liebe tun

Viele von uns haben diese Erfahrung bereits gemacht: Es gibt Menschen, die ganz für andere leben. Sie gehören nicht nur ihrer Familie, ihrer Gemeinschaft, ihrem Volk oder ihrer Glaubensgemeinschaft alleine. Sondern irgendwie der ganzen Menschheit, uns allen. Menschen, die in ihrer Selbstlosigkeit und Zuwendung zu den anderen zu einem Geschenk werden – zu einem Geschenk des Himmels. Mutter Teresa, die bis heute Menschen aller Generationen, aller Länder und unterschiedlichen Glaubens fasziniert, dürfte ein solcher Mensch gewesen sein. Dazu nochmals Pater Leo Maasburg: „Mutter Teresa wird für uns lebendig, wenn wir unsere eigene Not sehen und bei Gott Zuflucht suchen. Sie ist für jeden Menschen zugänglich, darum ist sie eine Jahrtausend-Heilige!“ Papst Johannes Paul II. nannte Mutter Teresa gar eine „Ikone der Nächstenliebe“. „Hey, ich bin doch nicht Mutter Teresa!“, hört man manchmal. Der Satz soll klarstellen, dass Selbstlosigkeit, Großzügigkeit und Opferbereitschaft auch Grenzen haben. Aber vielleicht entdecken wir manchmal doch, dass Mutter Teresa uns inspirieren könnte? Die wenigsten von uns werden etwas leisten, was mit dem Friedensnobelpreis gewürdigt werden müsste. Aber jeder kann, wie Mutter Teresa empfahl, „kleine Dinge mit großer Liebe“ tun.

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