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Ausgabe 04/23 Sehnsucht

Ich sehnte mich nach Liebe und Anerkennung

Autoren Johannes Seemüller und Tobias Liminski  |  Fotos Bernhard Spoettel 

Ich sehnte mich nach Liebe und Anerkennung

Die gebürtige Dresdnerin Andrea Ballschuh moderierte viele große TV-Shows und war das bekannte Gesicht der ZDF-Sendung „Volle Kanne”. Sie war ständig auf der Suche nach Liebe und Anerkennung. Nach einem Zusammenbruch ordnete sie ihr Privatleben neu und machte sich als Video-Coach selbstständig.

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Andrea Ballschuh im Gespräch mit GRANDIOS über die Sehnsucht nach Freiheit, Selbstliebe und Gott.

Andrea, Du bist in der ehemaligen DDR aufgewachsen. Welche Erinnerungen hast Du an Deine Kindheit?

Ich war drei, als wir als Familie von Dresden nach Berlin zogen. Ich war ein braves, angepasstes Kind und passte sehr gut ins politische System. Ich war bei den Pionieren (politische Massenorganisation für Kinder), bei der FDJ und Klassensprecherin. Mit 11 kam ich zum Kinderfernsehen der DDR – als Ansagerin und Moderatorin. Ich rutschte also in ein Leben, in dem ich es immer allen recht gemacht habe.

Fühltest Du Dich in der DDR gut aufgehoben?

Ja, wir wurden gut versorgt. Im Rückblick würde ich zwar sagen, das hatte was von Gehirnwäsche. Aber wir Kinder hatten damals einen großen Zusammenhalt. Wir waren vom ersten bis zum zehnten Schuljahr in einem Klassenverband. Wir waren füreinander da, ich empfand eine große Solidarität.

Wann hast Du begonnen, das System kritisch zu hinterfragen?

Mit 16 oder 17. Ich merkte, hier läuft irgendwas komisch. In mir entstand das Gefühl: Wir sind eingegrenzt. Ich schaute die „Tagesschau“ im West-Fernsehen und die „Aktuelle Kamera“ im DDR-Fernsehen – das waren zwei Welten. 1989 wurde es immer unruhiger im Land. Es ging los mit Glasnost und Perestroika, Michail Gorbatschow war unser Held.

Ich erinnere mich noch gut an den 4. November 1989. Da fand auf dem Alexanderplatz in Ost-Berlin die größte Demo der DDR-Geschichte statt. Fast eine Million Menschen sollen dabei gewesen sein. Ich stand weit vorne, die Menschen hielten Plakate hoch. Wir durften ja nicht unsere Meinung sagen, aber auf den Transparenten standen plötzlich Meinungen drauf. Ich spürte, jetzt verändert sich was, jetzt wird es freier. Aber ich hätte nicht im Traum daran gedacht, dass die Mauer fünf Tage später fallen würde.

Wie hast Du Deine Sehnsucht nach Freiheit gestillt?

Der Drang nach Freiheit war damals bei mir gar nicht so ausgeprägt. Ich war eigentlich ganz zufrieden. Aber als ich dann 18 wurde, ging ich direkt nach dem Abitur als Au-pair in die USA. Von Ost-Berlin nach Los Angeles – das war ein Kulturschock. Dort war alles laut und bunt, die Menschen waren so anders. Diese Zeit hat mich sehr selbständig gemacht.

Was bedeutet es heute für Dich, frei zu sein?

Mir geht es darum, frei zu sein im Denken. Das durften wir in der DDR nicht. Freiheit heißt für mich auch, frei in meinem Handeln zu sein. Den Spielraum zu haben, meine Ideen und Pläne umzusetzen. Freiheit bedeutet für mich zudem, keine Angst vor Bewertungen haben zu müssen. Und: Freiheit hat viel mit Treue mir selbst gegenüber zu tun. Ich lebe meine Wahrheit und spreche sie offen aus, und ich lasse mich nicht in die Erwartungen anderer Menschen reinpressen.

Genau das ist Dir mit 21 passiert. Im Ägypten-Urlaub hat Dir der Reiseleiter schöne Augen gemacht, sechs Monate später habt ihr geheiratet. Das ging schnell…

Ich habe ihn nicht geheiratet, weil ich so wahnsinnig verliebt war. Ich habe ihn geheiratet, weil ich nicht Nein sagen konnte. In der Nacht vor der Hochzeit hat in mir zwar alles „Nein“ geschrien, aber ich hatte nicht den Mut, es zu sagen. Ich bin auf jeden reingefallen, der vorgegeben hat, mich zu lieben. Einige Jahre später habe ich erkannt, dass das ein Fehler war. Wir ließen uns scheiden.

Diese Sehnsucht, geliebt zu werden, scheint sich wie ein roter Faden durch Dein Leben zu ziehen.

Eigentlich bestand mein ganzes Leben aus dieser Suche nach Liebe und Anerkennung. Ich habe sie mir im Außen geholt – zum Beispiel über meine Arbeit beim Fernsehen. Ich bekam viel Anerkennung, aber es war das Feedback für eine Rolle, die ich spielte. Ich war total angepasst. Ich hatte immer Angst, meine ehrliche Meinung sagen, weil ich niemanden vor den Kopf stoßen wollte. Trotz all dieser Anerkennung war eine Leere in mir.

Wie hast Du es geschafft, so lang diese Rolle zu spielen?

Ich bin eine Meisterin im Verdrängen und im Schönreden. Meine Seele hatte schon lange geschrien, aber ich habe es nicht gehört oder nicht hören wollen. Ich war damals in zweiter Ehe verheiratet, aber wir waren nicht mehr glücklich miteinander und kamen auch nicht mehr weiter. Eigentlich wollte ich die Trennung schon Jahre vorher vollziehen. Aber ich traute mich nicht zu gehen.

Dann haben Deine Seele und Dein Körper das Heft selbst in die Hand genommen…

Genau. Kurz vor einer Livesendung bin ich zusammengebrochen. Ich musste im Rollstuhl zum Arzt gefahren werden. Ich wusste nicht, was mit mir los war. Ich hatte das Gefühl, jemand hat den Hahn aufgedreht und mein ganzes Leben fließt aus mir raus. Beim Arzt wurde ich komplett durchgecheckt, aber es war körperlich nichts festzustellen. Es war wie eine Reinigung. Dieser ganze Schlamm war weg. Ich konnte plötzlich wieder klarsehen. Ich sah, dass ich ein Leben führte, das ich nicht leben will und das mich unglücklich macht. Kurz danach ging ich in ein Schweigekloster.

In ein Schweigekloster? Ungewöhnlich für eine Moderatorin.

Mir fehlte komplett die Orientierung. Ich hatte mich selbst aufgegeben. Ich wusste nicht mehr: Wer bin ich eigentlich? Ich wusste nicht, was meine Bedürfnisse sind. Die Zeit im Schweigekloster war das Beste, was mir passieren konnte. Ich hatte keine Ablenkungen mehr, ich war mit mir alleine. Ich hatte große Angst davor, mit mir alleine zu sein. Aber es war das Wertvollste, was ich jemals erlebt habe. Denn plötzlich wurde meine innere Stimme ganz laut. Ich hatte nur ein leeres Buch dabei und einen Stift. Ich habe einfach all das, was da kam, aufgeschrieben. Im Kloster bin ich mir meiner selbst bewusst geworden. Als ich rauskam, wusste ich, was zu tun ist. Ich habe mich zwei Wochen später von dem Vater meiner Tochter getrennt. Wir haben eine sehr respektvolle Trennung vollzogen. Obwohl ich auch seinen Schmerz gesehen habe, wusste ich, es ist für uns und für unsere Tochter richtig. Ich wollte nicht, dass meine Tochter aufwächst mit einem Bild von einer Beziehung, in der man sich anpasst.

Was hast Du damals im Kloster in dieses leere Buch geschrieben?

Da taucht ganz oft das Wort „Liebe“ auf. Ich habe mir damals die Erlaubnis gegeben, zu lieben und geliebt zu werden. Auch die Erlaubnis, mich hinzugeben, denn ich hatte immer einen Teil von mir zurückgehalten. Gott hat mir damals den unverblümten Blick auf mich selbst geschenkt. Ich bin mir meiner selbst bewusst geworden. Außerdem habe ich meiner inneren Stimme zugehört und sie zum ersten Mal ernst genommen.

Als weitere Konsequenz hast Du dem ZDF Adieu gesagt und als selbständiger Video-Coach einen Neustart gewagt. Für Außenstehende sieht das wie ein beruflicher Abstieg aus.

Ich wurde von Kolleginnen und Kollegen im Fernsehen für diesen Schritt tatsächlich teilweise belächelt. Der Job als Fernsehmoderatorin machte zwar Spaß, aber mir war der Sinn abhanden gekommen. Ich habe mich gefragt: Welche Spuren hinterlasse ich, wenn ich irgendwann mal gehe? Was habe ich bewegt oder verändert? Ich erlebe jetzt durch das Video-Coaching, dass ich bei Menschen etwas Gravierendes in Bewegung setzen kann.

Was genau meinst du?

Beim Video-Coaching geht es auch um Persönlichkeitsentwicklung. Es geht um tieferliegende Ängste. Die Menschen trauen sich oft nicht vor die Kamera, weil sie Angst vor Ablehnung haben. Sie sehnen sich nach Anerkennung. Das sind genau diese Themen, die ich auch hatte. Ich darf ihnen nun ihre Angst nehmen. Ich möchte verhindern, dass sie sich vor der Kamera anpassen, um bei Social Media einem bestimmten Bild zu entsprechen. Durch das Video-Coaching habe ich meine Aufgabe im Leben erkannt. Ich kann Menschen helfen, ihre Wahrheit auszusprechen.

Einige Jahre nach Deiner Zeit im Schweigekloster ist Gott noch einmal deutlicher in Dein Leben getreten. Was ist passiert?

Im vergangenen Sommer habe ich mir die Serie „The Chosen“ angeschaut. Eigentlich wollte ich nur, dass meine Tochter für ihren Religionsunterricht ein besseres Verständnis vom Leben Jesu bekommt. Damals in der DDR spielte der Glaube ja überhaupt keine Rolle. Aber plötzlich konnte ich nicht genug von dieser Serie bekommen. Die Botschaft ging mir direkt ins Herz. Ich begann, in der Bibel zu lesen. Die Serie war für mich der Türöffner zu Gott.

Liebe Andrea, Danke für deine Offenheit!

Ich danke euch!

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