- Autor: Peter Seewald
- Illustration: Carina Crenshaw
Sechs Menschen - was haben sie gemeinsam?
Da ist der braungebrannte Nordafrikaner Aurelius Augustinus, ein Liebhaber der Frauen, der sich mehr schlecht als recht durchs Leben schlug. Er zeugte ein uneheliches Kind, war Anhänger diverser Sekten. Seine leidenschaftlichen „Bekenntnisse“ wurden zu einem Markstein in der Geistesgeschichte der Menschheit.
Augustinus zur Seite, die geheimnisvolle Norwegerin Sigrid Undset, Expertin für das Mittelalter, Kämpferin für Frauenrechte, Autorin. Ihre Ehe ging in die Brüche, von den drei Kindern, die sie alleine aufzog, starb eines früh. Ihr letztes Buch widmete sie der feurigen Katharina von Siena, die furchtlos in stinkende Elendsquartiere stieg und gleichzeitig Visionen von Christus empfing. Die Nationalheilige Italiens wurde nur 33 Jahre alt und schrieb dennoch Kirchen- und Weltgeschichte.
Der nächste in der Runde ist ebenfalls ein Italiener, Benedikt von Nursia, Abkömmling einer adligen Familie aus Umbrien. Die Sittenlosigkeit Roms trieb den Studenten in die Einsamkeit. In dem Kloster, in dem er landete, versuchten ihn die Mitbrüder zu vergiften. Am Ende gründete er eine eigene Niederlassung, wurde Stammvater der Benediktiner und mit seiner „Regula Benedicti“ der Patron Europas, das sich nach den Wirren der Völkerwanderung unter Benedikts Wahlspruch „Ora et labora“, bete und arbeite, neu konstituieren konnte.
Der Herr mit der Pfeife, ein Gentleman aus England namens Robert Hugh Benson, löste in seiner Heimat einen gewaltigen Skandal aus. Zunächst, weil er als Sohn des Erzbischofs von Canterbury, der ihn zum Priester der anglikanischen Kirche weihte, zum Katholizismus übertrat, um als katholischer Kaplan zu missionieren. Dann, weil er mit seinem Zukunfts-Thriller „Der Herr der Welt“, die Vision einer gottvergessenen Menschheit zu Papier brachte, die, wie er fand, notgedrungen in den Untergang führen musste.
Dann sind da noch die zwei Franzosen, auf die Pater Brown nun seine Augen richtet:
der schmalgesichtige François Mauriac, Sohn eines Weinhändlers aus Bordeaux, der es bis zum Literaturnobelpreis brachte, und Julien Green, ein in Paris geborener amerikanischer Protestant, der mit 15 in die katholische Kirche fand, sie dann wieder verließ, um einige Jahre später erneut einzutreten. Auf den Spuren Franz von Assisis schrieb er das Buch seines Lebens.
Alle diese Persönlichkeiten waren Suchende
Pater Brown schreitet im Zimmer auf und ab, die Hände auf dem Rücken. Als katholischem Priester waren ihm die Herrschaften nicht unbekannt. Augustinus „Bekenntnisse“ gehörten zu seiner Lieblingslektüre. Bensons Science-Fiction-Roman über die letzten Tage der Menschheit hatte ihm schon als Kind einen Schauder eingeflößt. Klar, alle diese Persönlichkeiten waren Suchende gewesen, unruhige Menschen. Zweitens: alle hatten etwas mit Religion zu tun. „Crede, ut intelligas“, glaube, damit du erkennst, hatte Augustinus ausgerufen.
Benedikt wiederum empfahl in seiner Lebenshilfe-Regel, Christus im Leben den ersten Platz einzuräumen. Sigrid Undset appellierte: „Wir brauchen wahrlich das Wissen der Heiligen.“
Undset, katholische Konvertitin wie Benson und Green, machte die religiöse Idee zum hervorstechenden Merkmal ihres Schaffens und erhielt dafür den Literaturnobelpreis. Robert Hugh Benson wurde mit seinem „Herr der Welt“ zum Vorläufer dystopischer Romane wie Orwells „1984“ und Huxleys „Schöne neue Welt“. Mauriac hatte gegen die Nazis gekämpft und wurde zum bedeutendsten Vertreter der Erneuerungsbewegung Renouveau Catholique. „Ich zeige die Finsternis“, schrieb er, „und glaube an das Licht.“
Wer die Wahrheit sucht – der sucht Gott
Aber noch immer fehlte Pater Brown ein wichtiges Mosaikstück. Da. Warum war er nicht gleich drauf gestoßen? „Wer die Wahrheit sucht, der sucht Gott“, hatte die im KZ ermordete Ordensfrau und Philosophin Edith Stein erkannt, „ob es ihm klar ist oder nicht.“ Jeden der Protagonisten im Kaminzimmer beschäftigte die Frage nach dem Woher und Wohin. Nach dem Sinn in seinem Leben. Es war die Suche nach der Wahrheit, die sie miteinander verband, und die sie so kreativ und scharfsichtig, die sie zu Gottsuchern und am Ende zu Gottfindern werden ließ. Das Rätsel war gelöst! Ihre Umwege, ihre Zweifel, letztlich ihre Erkenntnis ließ sie zu bedeutenden literarischen Zeugen werden, die als geistliche Meister, Denker und Autoren Millionen von Menschen inspirierten und durch ihren Beitrag zum Christentum die Welt veränderten.
Anmerkung:
Die genannten Personen sind die Autoren der ersten sechs Bände der „Bibliothek katholischer Klassik“ in der Edition Credo, die es sich zur Aufgabe macht, die großen und teils vergessenen Schätze christlicher Literatur in einer modernen Aufmachung neu zu präsentieren (Info unter: edition-credo.de).