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Autorin: Maria König-Peronio I Illustrationen: Carina Crenshaw

Nur Mutter? Echt?

Ehefrau, Redakteurin, Mutter, Freundin… Sich der eigenen Identität bewusst zu werden, ist gar nicht so einfach. „Wer bin ich?” Aus Sicht meiner zweijährigen Tochter ist die Antwort auf diese Frage ganz einfach: „Du bist meine Mama!“ Mama ist man rund um die Uhr. Kann man sich als Frau damit identifizieren, vor allem Mutter zu sein? Eine Vollzeit-Mama kommentiert.

“Meine Tochter wird mal kein Heimchen am Herd, das sag ich dir, lieber Schwiegersohn.” Diese Botschaft war dem Brautvater auf einer Hochzeit in meiner Verwandtschaft so wichtig, dass er meinte, sie in seine Brautrede einbauen zu müssen. Die Tochter hielt sich daran: Wenige Wochen nach der Geburt ihrer beiden Kinder kehrte sie an ihren Arbeitsplatz zurück. Die Kinder kamen nach den ersten Lebenswochen mit einer Kinderfrau mit nur wenigen Monaten in die Kinderkrippe.

Mein Mann und ich haben uns für einen anderen Weg entschieden. Unsere Kinder sollen die jeweils ersten Lebensjahre mit mir zu Hause bleiben. Bin ich deshalb ein „Heimchen am Herd“?

Peinlich berührt

Oder habe ich vielleicht keinen festen, attraktiven Arbeitsplatz? Diese Unterstellung musste ich mir kürzlich auf dem Spielplatz anhören – von Großeltern, die auf ihre acht Monate alte Enkelin aufpassten, während die Mutter arbeitete und das größere Kind in der Krippe war. Auch die Kleine würde bald dort unterkommen. Als ich betonte, dass ich sehr wohl eine feste Anstellung habe, einen Job, der mich erfüllt, waren sie irgendwie peinlich berührt. Sie wären nicht auf die Idee gekommen, dass sich auch in der heutigen Zeit eine Frau bewusst und frei dafür entscheidet, ihre berufliche Karriere hinten anzustellen, um die ersten, so intensiven Jahre ganz für ihr Kind da zu sein. Mal abgesehen von den Müttern, die finanziell und existenziell darauf angewiesen sind, arbeiten zu gehen: Ich verstehe wirklich auch die Motive der Mütter – darunter sind auch Freundinnen –, die nach einiger Zeit, meistens nach etwa einem Jahr, wieder arbeiten gehen wollen. Man kann schon das Gefühl bekommen, dass einem die „Decke auf den Kopf fällt” oder man geistig nicht mehr ausreichend gefordert ist, wenn man als Ansprache „nur” mehr ein kleines Kind hat.

Identität braucht Bestätigung

Und dann sind da noch die Themen Anerkennung und Wertschätzung. Seien wir ehrlich, jeder sucht sie, jeder braucht sie. Am Arbeitsplatz erfährt man viel direkter das Ergebnis seiner Leistung, erhält nicht zuletzt durch einen Lohn eine sicht- und greifbare Anerkennung und leistet einen Beitrag zum Einkommen der Familie. Das tut dem Selbstwertgefühl gut.

Widmet eine Mutter ihre Arbeitskraft und ihre Hingabe ganz ihrem Kind, ist es mitunter schwieriger, sich der Sinnhaftigkeit und des Erfolgs der Arbeit sowie der eigenen Identität bewusst zu werden. Und dass man mit dieser Erziehungsleistung der Gesellschaft als Ganzes einen wertvollen Dienst erweist, darauf muss man auch von alleine kommen. Denn gesagt wird einem das von niemandem. Eher das Gegenteil wird suggeriert.

Die alles bewegende Frage: Was ist gut für unser Kind?

Warum also haben mein Mann und ich uns so entschieden? Wie für alle Eltern stand für uns die Frage im Vordergrund: Was ist das Beste für unsere Tochter und ihre Entwicklung?

Viel wurde in der Öffentlichkeit diskutiert über „Herdprämien” oder Wahlfreiheit, aber von wirklich erkenntnisreichen Studien über die Chancen und Risiken einer frühen Fremdbetreuung von Kleinkindern erfährt man nur wenig. Außer man recherchiert.

Dabei liegen wichtige Erkenntnisse der Bindungs- und Hirnforschung seit Jahren auf dem Tisch. Wissenschaftlich fundierte Ergebnisse groß angelegter Studien belegen die Risiken einer frühen Gruppenbetreuung und der Trennung von den Eltern. Die von vielen genannten Chancen, wie etwa die Förderung des Sozialverhaltens, lassen sich dagegen teilweise nicht nachweisen. Um welche Risiken geht es?

Abgesehen von Verhaltensauffälligkeiten der untersuchten Kinder bis ins Jugendalter hinein, wurde vor allem erkannt, dass eine große Zahl der früh fremd betreuten Kinder unter chronischer Stressbelastung steht und emotional massiv überfordert ist. Ein nicht zu unterschätzendes Risiko: Die ersten beiden Lebensjahre sind besonders heikle Entwicklungsphasen des Gehirns. Chronischer Stress in dieser Zeit kann sich in die Gene eingraben. Für die betroffenen Kinder besteht langfristig ein erhöhtes Risiko für seelische Erkrankungen.

Warum werden die Ergebnisse solcher Studien öffentlich nicht breit diskutiert? Warum hört man so wenig davon? Muss es der Gesellschaft nicht ein Anliegen sein, dass ihre kleinsten Mitglieder eine gesunde seelische Entwicklung nehmen? Mit dem Experten und Kinderarzt Dr. Rainer Böhm frage ich andersherum: Müsste ein freiheitlicher Staat, der frühkindliche Betreuung in großem Umfang fördert, nicht sogar nachweisen, dass die betroffenen Kleinkinder unter keiner chronischen Stressbelastung stehen?

Bezüglich echter Wahlfreiheit frage ich: Können sich Eltern wirklich frei entscheiden, wie und durch wen ihr Kind in den ersten Lebensjahren betreut werden soll – frei nicht nur von ökonomischen Zwängen und gesellschaftlichem Druck, sondern auch innerlich frei auf der Basis sachlicher Fachinformation? Nochmal: Es geht nicht darum, anderen vorzuschreiben, wie sie ihr Leben zu gestalten haben! Aber wenn wir es mit Wahlfreiheit wirklich ernst meinen, dann kann es nicht sein, dass die Interessen der Wirtschaft und des Staates Eltern diktieren, wie sie ihre Kinder erziehen.

Mutter zu sein, gehört zu meiner Identität. Ich finde, es lohnt sich in vielerlei Hinsicht, sich seiner Identität als Mutter beziehungsweise Vater bewusst zu sein und das zu leben, was einem entspricht – vor allem während der ersten Lebensjahre der Kinder. Das dürfte in der öffentlichen Wahrnehmung ruhig wieder deutlicher werden.

Was denkst Du zum Thema? Hast Du ähnliche oder vielleicht ganz andere Erfahrungen gemacht? Tut der Staat in Deinen Augen genug für Vollzeit-Mamas bzw. -Papas? Wie geht das heute, seine Identität als Mutter oder Vater zu leben?

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