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Ausgabe 03/22 Wahrheit

Wir können Lügner nicht zweifelsfrei erkennen.

"Wir können Lügner nicht zweifelsfrei erkennen."

Lesedauer: ca. 8 Min. | + Video zum Beitrag

Autor: Tobias Liminski, Stefan Rehder | Fotos: Bernhard Spoettel

Der Hessische Rundfunk hat ihn den „Rockstar der Körpersprache“ genannt. Der 49-jährige Österreicher Stefan Verra zählt zu den gefragtesten Körpersprache-Experten in Europa. Im vergangenen Jahr erschien sein Besteller: „Die Körpersprache der Mächtigen“. Den Körper betrachtet der Sohn eines Bildhauers als ein komplexes System, in dem jedes Element von mehreren weiteren abhängig ist. Deshalb gebe es in der Körpersprache, so der studierte Schlagzeuger und ehemalige Berufsmusiker, auch kein einziges Signal, das per se positiv oder negativ zu bewerten sei.

GRANDIOS: Stefan, Du selbst hast mal gesagt: „Dein Körper lügt nicht.“ Und: „Auch wenn Du gar nichts sagst, Dein Körper spricht und das entwaffnend ehrlich.“ Warum lügt der Körper nicht?

Stefan Verra: Das muss man natürlich präzisieren. Gemeint ist nicht, dass unser Körper immer schon die ganze Wahrheit sagt oder wir Gefühle, die wir innerlich verspüren, stets sofort und vollständig nach außen transportierten. Aber insgesamt ist unser Körper ein System, das die Emotionalität, die es verspürt, auch offenbart. Das lässt sich gar nicht unterdrücken. Und daher können wir zum Bespiel an der Körpersprache erkennen, ob jemand ängstlich, unterlegen oder aggressiv ist. Zugegeben, manche Menschen können auch das überspielen, wenn auch nur über einen gewissen Zeitraum. Was wir allerdings nicht sagen können – und das ist mir sehr wichtig – ist, was die Ursache für derartige Emotionen ist. Was ich ablehne, ist dieses „Psycho-Deuteln“, also dass jedes Gesicht oder jede Handhaltung etwas mit irgendeinem schlimmen Ereignis in der Kindheit zu tun habe. Das ist wissenschaftlich gesehen totaler Nonsens.

Woran machst Du fest, dass jemand ehrlich ist, die Wahrheit sagt, nicht lügt?

Zu behaupten, es gäbe Signale, an denen man Lügner zweifelsfrei erkennen könnte, ist wissenschaftlicher Humbug. Ich kann auch angelogen werden und bekomme es nicht mit. Viele behaupten, Lügner würden immer den Mund verschließen, den Blickkontakt meiden oder die Körperachse wegdrehen. Das mag alles richtig sein, aber wir wissen trotzdem nie, was der Grund dafür ist. Natürlich kann für eine derartige Körpersprache eine Lüge ursächlich sein. Es kann aber auch sein, dass dem Betreffenden eingefallen ist, dass er vergessen hat, daheim das Bügeleisen abzudrehen. Was ich an der Körpersprache erkennen kann, ist, ob der Betreffende gerade Angst oder Nervosität verspürt. Was ich nicht erkennen kann ist, warum.

Körpersprache gendert nicht.

Stefan Verra

„Körpersprache gendert nicht.“ Wer sich auf Facebook bei Dir umschaut, wird mit diesem Satz begrüßt. Bewegen, verhalten sich Frauen und Männer anders? Und wenn ja, wo liegen die Unterschiede?

Ja, Frauen und Männer bewegen sich anders. Aber – Achtung Paradoxon – sie tun es, weil Männer und Frauen sich so ähnlich sind. Menschen gehören zu einer der Spezies, deren Geschlechter sich optisch vergleichsweise geringfügig unterscheiden. Wenn du Pfauen anschaust, weißt du sofort, wer das Männchen und wer das Weibchen ist. Auf einer Säuglingsstation musst du Windeln öffnen, um das zweifelsfrei festzustellen. Deswegen müssen Menschen, wenn sie einen Partner finden wollen, nach außen viel deutlicher zeigen, welchem Geschlecht sie angehören. Und deshalb betont unsere Körpersprache die kleinen Unterschiede auch so deutlich. Das gilt aber nicht nur bei der Partnersuche und der Fortpflanzung, sondern etwa auch im Job und in der Kindererziehung. Hier ist noch ein weiterer Punkt wichtig.

Nämlich?

Oft erkennen wir gar nicht, dass wir nicht wegen unseres Geschlechts abgelehnt werden, sondern weil unsere Körpersprache nicht das verspricht, was bei einer Aufgabe gerade gefragt ist. Dann neigen wir schnell dazu, einander Sexismus zu unterstellen. Dabei geht es meist gar nicht um Sexismus, sondern bloß darum, dass die Körpersprache des Betreffenden legitime Erwartungen nicht erfüllt. Zwei Beispiele: Wenn jemand sein Auto in die Werkstaat fährt und dort eine Mechanikerin antrifft, die ihn mit ausgestellter Hüfte, keckem Augenaufschlag und wedelndem Handgelenk zur Hebebühne dirigiert, denkt er: und wann kommt der Mechaniker, der es draufhat? Nicht, weil Frauen keine kompetenten Mechaniker sein könnten oder er etwas gegen Frauen in einer Werkstatt hätte, sondern, weil die Körpersprache der Mechanikerin ihm nicht die Kompetenz und Anpackmentalität vermittelt hat, die er mit einem guten Mechaniker verbindet. Oder: wenn ein Mann in einer Parfümerie Kundinnen gelangweilt mit „wir haben neuen Lippenstifte, probieren Sie die aus“ begrüßt, geht es auch nicht darum, dass Frauen einem Mann unterstellten, keine Ahnung von Lippenstiften besitzen zu können. Sondern darum, dass die Körpersprache des Verkäufers Desinteresse und wenig Feingefühl signalisiert, das nicht zu den Erwartungen passt, die wir haben, wenn wir ein Geschäft betreten.

Spätestens mit der Pubertät wollen wir vor allem cool sein.

Stefan Verra

Kann man Körpersprache lernen? Oder präziser: Was ist angeboren und was kann man mit der Zeit lernen?

Wir kommen mit Körpersprache auf die Welt. Wir müssen sie nicht erst mühsam erlernen. Das Problem ist vielmehr, dass wir unsere Körpersprache im Laufe des Lebens reduzieren. Spätestens mit der Pubertät wollen wir vor allem cool sein. Wir wollen elegant wirken, fehlerfrei sein und uns nicht blamieren. Das hat einen evolutionären Hintergrund. Wer sich zu oft blamiert, ist als Fortpflanzungspartner unattraktiv. Männer tendieren deswegen dazu, ihre Körpersprache stark zu reduzieren und stattdessen Statussymbole sprechen zu lassen. Kinder sind da noch ganz anders. Wenn ein kleines Kind sich ärgert oder weint, dann zittert es am ganzen Körper und alle fühlen sofort mit. Warum? Weil das deutliche Zeigen von Emotionen Bindung erzeugt. Wir sollten uns also merken, wer wenig Emotionen zeigt, der kann auch keine Bindung erzeugen. Angeboren ist das, was wir Temperament nennen. Ich zum Beispiel bewege mich sehr viel. Ein anderes Beispiel: Angela Merkel bewegt sich relativ wenig. Und das kann man nicht ändern. Aus ihr würden wir nie eine Rampensau machen können. Darüber hinaus gibt es natürlich schon kulturelle Verstärkungen, die sich erlernen lassen. Aber auch hier müssen wir aufpassen: Es ist nicht alles aus einem Menschen machbar, selbst wenn der Mensch das wollte. Der größte Hebel, den wir alle haben, ist daher zu erkennen, welches Temperament wir selbst haben und dies dann zu verstärken.

Stichwort Wahrhaftigkeit, Ehrlichkeit oder Wahrheit, die ja das Thema dieser Ausgabe ist. Ist es in diesem Kontext klug, seine Körpersprache zu trainieren?

Wir sollten wissen, was wir tun. Und das wissen wir in der Regel nicht. Denn wir sind ja die Einzigen, die unsere Mimik nicht sehen. Ob es klug ist, an unserer Körpersprache zu arbeiten oder nicht, hängt daher davon ab, ob wir wissen, welches Bild wir nach außen vermitteln und ob wir mit der Reaktion, die wir darauf bekommen, zufrieden sind. Manche Menschen leben zum Beispiel in der Illusion, sie schauten immer freundlich drein. Oft stimmt das aber gar nicht. Daher denke ich schon, dass man sich regelmäßig damit beschäftigen sollte, was man nach außen transportiert.

Emotionen hast Du schon mehrfach angesprochen. Wie wichtig sind Emotionen bei der Körpersprache?

Wichtig insofern, als unsere Körpersprache festlegt, ob wir überhaupt miteinander ins Gespräch kommen. So funktioniert übrigens auch Politik. Ein plakatives Beispiel dafür ist Donald Trump, der in den USA immer noch sehr populär ist. Um zu verstehen, warum das so ist, schauen wir uns zunächst einen typischen US-amerikanischen Wähler an. Nehmen wir einen Truck-Fahrer. Der macht diesen Job schon sein ganzes Leben. Nun liest er in der Zeitung, dass Truck-Fahrer demnächst nicht mehr gebraucht werden, weil bald Trucks autonom führen. Er weiß aber, er muss die Familie ernähren und Kredite bedienen. Also bekommt er Zukunftsangst und wird zornig. In der Kneipe trifft er auf andere zornige Trucker. Dort wird herumgebrüllt und auf den Tisch gehauen. Und dann sehen sie im Fernsehen zwei Politiker. Einen, der eine zurückhaltende, diplomatische Körpersprache zeigt, und einen, der genau wie sie, brüllt und aufs Rednerpult haut. Was denken da die Trucker? Natürlich – endlich einer von uns, einer der uns versteht. Um das Vertrauen von jemandem zu gewinnen, müssen wir mit unserer Körpersprache zeigen, dass wir seine Emotionen verstehen. Darüber reden reicht nicht, wir müssen die non-verbalen Signale widerspiegeln! Deswegen zeigen Menschen beim Begräbnis, der Hochzeit und im Fußballstadion eine ähnliche Körpersprache. Wer da aus der Reihe schlägt, verspielt das Vertrauen.

Körpersprache ist Kommunikation von Emotionen.

Stefan Verra

Wie wichtig ist bei der Körpersprache die Stimme? Gehört sie überhaupt dazu?

Die Stimme ist wahnsinnig wichtig und sie gehört natürlich zur Körpersprache. Ich erkläre das immer anatomisch. Einmal ist die Stimme angeboren. Manche Menschen haben eine tiefe, manche eine hohe Stimme. Aber dann modellieren wir unsere Stimme auch. Wenn ich zum Beispiel zornig bin, dann spanne ich bestimmte Muskeln an und diese Anspannung kann dann auch jeder hören. Ähnlich ist es, wenn ich begeistert oder euphorisch, niedergeschlagen oder genervt bin. Die Stimme ermöglicht uns Rückschlüsse auf den emotionalen Zustand, in dem sich unser Gegenüber befindet.

Gibt es regionale Besonderheiten der Körpersprache. Verhält sich ein Bayer anders als ein Hamburger?

Wir nehmen jedenfalls an, dass dies so sei. Und erst recht, wenn es sich um Österreicher und Chinesen oder Senegalesen handelt. Richtig aber ist: Körpersprache ist ganz überwiegend universell. Warum? Weil die menschliche Körpersprache – noch ein Paradoxon – viel älter ist, als der Mensch selbst. Und deswegen gehen wir auch so gerne in den Zoo. Wenn wir vor dem Affengehege stehen, wollen wir etwas Anthropomorphes sehen, etwas das menschlich ist. Und tatsächlich sehen wir dann, dass Primaten eine Körpersprache haben, die unserer teilweise zum verwechseln ähnlich ist. Und da wir alle einen Primatenursprung haben und selber auch noch dazu zählen haben wir eben alle die gleiche Körpersprache. Sie ist also universell. Daneben gibt es kleine Unterschiede. Die sind wichtig, um uns kulturell abzugrenzen. Dazu zählen zum Beispiel unterschiedliche Begrüßungsrituale. Ein sehr plakatives Beispiel sind hier die US-amerikanischen Gangs, deren Mitglieder sich zur Begrüßung ganz kompliziert die Hand schütteln. Da sie nur Eingeweihte verstehen, dient es zu Abgrenzung gegenüber nicht eingeweihten. Aber selbst wenn wir bestimmte kulturelle Signale und Rituale nicht kennen: Ob sie sympathisch oder unsympathisch gemeint sind, können wir immer entschlüsseln.

Unsere Körpersprache legt fest, ob wir überhaupt miteinander ins Gespräch kommen. So funktioniert übrigens auch Politik. Ein plakatives Beispiel dafür ist Donald Trump.

Stefan Verra

„Alles Reden ist sinnlos, wenn das Vertrauen fehlt.“ Ein Satz von Franz Kafka. Wie wichtig ist Körpersprache, um echtes, tiefes Vertrauen zu bilden?

Wichtig insofern, als unsere Körpersprache festlegt, ob wir überhaupt miteinander ins Gespräch kommen. So funktioniert übrigens auch Politik. Ein plakatives Beispiel dafür ist Donald Trump, der in den USA immer noch sehr populär ist. Um zu verstehen, warum das so ist, schauen wir uns zunächst einen typischen US-amerikanischen Wähler an. Nehmen wir einen Truck-Fahrer. Der macht diesen Job schon sein ganzes Leben. Nun liest er in der Zeitung, dass Truck-Fahrer demnächst nicht mehr gebraucht werden, weil bald Trucks autonom führen. Er weiß aber, er muss die Familie ernähren und Kredite bedienen. Also bekommt er Zukunftsangst und wird zornig. In der Kneipe trifft er auf andere zornige Trucker. Dort wird herumgebrüllt und auf den Tisch gehauen. Und dann sehen sie im Fernsehen zwei Politiker. Einen, der eine zurückhaltende, diplomatische Körpersprache zeigt, und einen, der genau wie sie, brüllt und aufs Rednerpult haut. Was denken da die Trucker? Natürlich – endlich einer von uns, einer der uns versteht. Um das Vertrauen von jemandem zu gewinnen, müssen wir mit unserer Körpersprache zeigen, dass wir seine Emotionen verstehen. Darüber reden reicht nicht, wir müssen die non-verbalen Signale widerspiegeln! Deswegen zeigen Menschen beim Begräbnis, der Hochzeit und im Fußballstadion eine ähnliche Körpersprache. Wer da aus der Reihe schlägt, verspielt das Vertrauen.

Du bist sehr gefragt, wenn es darum geht, die Körpersprache von Politikern zu analysieren. Hand auf Herz, gibt es einen Politiker, den Du für besonders glaubwürdig hältst?

Das ist eine Frage, die ich als Experte für Körpersprache nicht beantworten kann, denn die Wahrheit liegt hier immer im Auge des Betrachters. Es gibt Menschen, die halten Donald Trump für den glaubwürdigsten Politiker in der Geschichte der USA. Und es gibt genauso viele, nämlich jeweils rund 50 Prozent, die halten ihn für den größten Betrüger und Scharlatan, den es je gab. Wie kann das sein? Nun, weil es immer darum geht, was der Betreffende mir verspricht. Wer Stabilität, wenig Veränderungen und alles ganz ruhig will, der fühlt sich von den emotionalen Versprechen angezogen, die Politiker wie Angela Merkel oder Olaf Scholz durch ihre Körpersprache aussenden.

Stefan Verra, danke für Deine Zeit. Das war sehr spannend.

Sehr gerne! Danke für Euren Besuch!